Das große Umdenken

Von Irmgard Kirchner · · 2005/07

Seit 25 Jahren werden Menschen und Projekte, die hoffen lassen, mit dem „Right Livelihood Award“, dem so genannten „Alternativen Nobelpreis“, ausgezeichnet. In Salzburg wurde das Jubiläum denkwürdig begangen.

Überwältigt“ ist Jakob von Uexküll vom Interesse an dem Preis und an der Arbeit der PreisträgerInnen. Zum 25-jährigen Geburtstag des „Right Livelihood Award“ kann sich der Stifter der Auszeichnung nicht über einen Mangel an Aufmerksamkeit beklagen. Weder vom Publikum noch von den Medien. Salzburg, die einzige Stadt der Welt, die zwei alternative Nobel-Preisträger hervorbrachte (Leopold Khor 1983 und Robert Jungk 1986), hatte zum großen Treffen der PreisträgerInnen ins Bildungszentrum St. Virgil geladen.
Uexküll, der in Schweden geborene, groß gewachsene schlaksige Mann ohne sichtbare Alterserscheinung, wollte vor 25 Jahren mit dem Verkaufserlös seiner Briefmarkensammlung eigentlich einen neuen Nobelpreis für Umweltschutz und Entwicklung initiieren. Das Nobelpreiskomitee lehnte ab, der Right Livelihood Award, von den Medien bald griffig „Alternativer Nobelpreis“ genannt, wurde ins Leben gerufen.
Aus jährlich etwa 100 Vorschlägen wählt eine internationale zwölfköpfige Jury zwei bis fünf PreisträgerInnen aus, die an „praktischen und beispielhaften Lösungen für die drängendsten Herausforderungen, mit denen die Welt heutzutage konfrontiert ist, arbeiten“.
Zu Beginn hielt man Uexküll für einen Agenten, der dem „echten“ Nobelpreis schaden wolle, dann für „einen komischen Kauz, einen unrealistischen Idealisten, der pittoreske Projekte unterstützt“. Mittlerweile, so Uexküll, habe sich die Atmosphäre geändert: „Man sieht die Arbeit nicht mehr als Alternativen an. Das ist der neue Mainstream.“

Diesen neuen Mainstream konnte man Mitte Juni in Salzburg erleben. Etwa 70 der noch lebenden rund 100 PreisträgerInnen reisten in die Mozartstadt: eine bunte Schar von Persönlichkeiten aus allen Ecken und Enden der Welt und aus allen gesellschaftlichen Spektren. Die meisten sind keine SpezialistInnen, sondern Allrounder, die, das ist dem Stifter wichtig, Beiträge zu einem „größeren Ganzen“ leisten. Frei nach dem Zukunftsforscher und Pionier der Ökologiebewegung Robert Jungk dürfe die Zukunft nicht den ExpertInnen überlassen werden.
Was die PreisträgerInnen untereinander verbindet? Uexküll: „Die Indianer sagen dazu ‚to walk the talk’. Unsere Preisträger haben nicht gewartet, bis die Welt reif für ihre Vision ist. Die haben einfach angefangen und haben gezeigt, was sie alles machen können mit sehr geringen Mitteln.“

Der Alternative Nobelpreis wirkt. Er stärkt PreisträgerInnen und ihre Arbeit. Nicht nur durch das Preisgeld von insgesamt umgerechnet etwa 190.000 Euro, das unter den Ausgezeichneten eines Jahres aufgeteilt wird. Er wirkt als Schutzschild vor Gefängnis und Ermordung oder als Türöffner.
Martin Almada aus Paraguay, der Entdecker der geheimen Archive des Terrors und Preisträger 2002, fühlt sich durch den Preis gestärkt genug, die geplante Rückkehr des Ex-Diktators Stroessner verhindern zu können oder ihn andernfalls ins Gefängnis zu bringen.
Uexküll: „Wir haben sehr schnell erreicht, dass unsere Preisträger ernst genommen werden. José Lutzenberger wurde zwei Jahre, nachdem er unseren Preis bekam, Umweltminister in Brasilien. Er sagte, das habe er dem Preis zu verdanken.“ Oder Wangari Maathai. Der Right Livelihood Award 1984 war der erste internationale Preis der Gründerin des Green Belt Movements, einer Umweltschutzbewegung in Kenia. 20 Jahre später gewann sie den Friedensnobelpreis. Uexküll: „Da sieht man, was daraus wachsen kann.“
Nicht immer hält das Schutzschild. Die negativste Erfahrung der letzten 25 Jahre war für Uexküll die Hinrichtung von Ken Saro-Wiwa vor zehn Jahren. Der Schriftsteller, Preisträger des Jahres 1994, kämpfte als Sprecher des „Movement for the Suvival of the Ogoni Peole“ gegen die Zerstörungen durch die Ölförderung in seiner Heimat Ogoniland in Nigeria. „Wir hatten gedacht, der Preis würde ihn schützen.“ Und auch die Tatsache, dass ein Preisträger wie Munir, ein junger indonesischer Rechtsanwalt, umgebracht wurde. „Obwohl Indonesien jetzt angeblich eine Demokratie ist, ist es dem Militär gelungen, ihn letztes Jahr auf einem Flug nach Europa zu vergiften.“ Schockiert ist der Preis-Stifter auch über die anhaltenden Repressionen gegen den Preisträger Mordechai Vanunu, der das israelische Atomprogramm enthüllte. Letztes Jahr kam er nach 18 Jahren Gefängnis frei. Unter strengen Auflagen – wie Ausreiseverbot, Bewegungsverbot und Redeverbot mit Ausländern –, die im April um ein Jahr verlängert wurden.
Der Alternative Nobelpreis wirkt auch auf die Öffentlichkeit. „Die Arbeit der Preisträger verbreitet Hoffnung“, sagt Uexküll. Hoffnung angesichts einer globalen Krise, die übereinstimmend diagnostiziert wird. Zentrale Elemente dieses Krisenbefundes sind Klimadestabilisierung, Verschlechterung der Umweltsituation, wachsende Armut, Verlust von Vielfalt, Ressourcenverschwendung und -knappheit und Arbeitslosigkeit.
Uexküll: „Die Lösungen sind da. Wir sehen auch ganz klar, dass sie funktionieren. Die Defizite bei der Umsetzung müssen noch überwunden werden.“
Auch wenn in den einzelnen Projekten sehr unterschiedliche Strategien im Umgang mit Politik und Wirtschaft verfolgt werden, haben die Lösungen doch einige Gemeinsamkeiten. Es geht um Dezentralisierung von Wirtschaft und Politik, um Selbstbestimmung, den Erhalt der kulturellen und biologischen Vielfalt, einen schonenden Umgang mit Ressourcen, um das menschliche Maß.

Begegnung und Vernetzung sollen durch den Alternativen Nobelpreis gefördert werden. Die PreisträgerInnen tauschen untereinander ihre Erfahrungen aus und initiieren gemeinsame Projekte. Und sie begegnen der Öffentlichkeit. Nach einer organisatorischen Meisterleistung von Jean-Marie Krier vom Klimabündnis Salzburg und Robert Müllner von der Gewerkschaft der Grünen, AUGE, schwärmten am „Tag der Begegnung“ die NobelpreisträgerInnen ins Umland bis über die deutsche Grenze aus. In 69 bunt gemischten Veranstaltungen begegneten sie mindestens 3.500 Menschen: SchülerInnen, Bio-Bauern, PolitikerInnen, NaturschützerInnen, BuddhistInnen, WissenschaftlerInnen, VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen etc.
Als Publikumsmagnet erwies sich der israelische Friedensaktivist Uri Avnery (Preisträger 2001). Seinen Erzählungen in der Rudolf Steiner Schule lauschten über 200 BesucherInnen.
Am höchsten hinauf wollten Lara Lutzenberger, die Tochter des 2002 verstorbenen brasilianischen Umweltministers José Lutzenberger (Preisträger 1988), Helena Norberg-Hodge, die Schützerin der Kultur und Umwelt von Ladakh (Preisträgerin von 1986) und Vilmar Schneider von der brasilianischen Landpastorale CPT (Preisträger 1991).
Einen Tag verbrachte das Grüppchen in 1.100 Meter Höhe am Hiasnhof in Göriach im Lugau. Um im Gespräch mit etwa 60 Menschen aus der Umgebung festzustellen, wie sich die Globalisierung lokal für Bäuerinnen und Bauern auf der ganzen Welt ähnlich auswirkt. Man leidet unter Kulturverlust, Wissensverlust und Abhängigkeit von der Agrarpolitik und den Agrarkonzernen.

Etwa 600 Menschen hingen an den Lippen der HauptrednerInnen beim öffentlichen Symposium der Alternativen NobelpreisträgerInnen zum Thema „Alternativen, die sich rechnen: Arbeit – Kultur – Menschenwürde“.
Helena Norberg-Hodge plädierte für Vielfalt und Dezentralisierung. Dringend notwendig sei ein umfassender Überblick über die Weltwirtschaft, deren Mechanismen für den Einzelnen entgegen oft gehörter Meinung sehr wohl verständlich seien. Die Globalisierung beschleunige alles und lasse keine Zeit zum Nachdenken, keine Zeit für Weisheit.
Mit spektakulären Ideen und Projekten ließ der Philosoph, Buchautor und Unternehmensberater Frithjof Bergmann – bislang kein Alternativer Nobelpreisträger – aufhorchen. Der Protagonist einer „Neuen Arbeit“ beschäftigt sich mit der Frage der Umsetzung von Utopien. Die Schlüsselfrage zur Änderung des Bewusstseins laute: „Was ist es, das du wirklich willst?“ Wünsche müssten hörbar gemacht und respektiert werden. Heute gebe es eine Menge Begabter, Erfolgreicher, besonders im IT-Sektor, die nicht länger Galeerensklaven sein wollen. Sie wollten andere Produkte, einen anderen Lebensstil, anders arbeiten. Mit ihnen solle man ein Bündnis eingehen.

Weiters gehe es darum, eine kleine, dezentrale Art der Produktion zu verwirklichen. In vertikaler Agrikultur könne man zum Beispiel Kraut in die Höhe züchten, mit wenig Platz, wenig Wasser und wenig Arbeit. Als ein weiteres Beispiel für eine dezentrale Produktion präsentierte Berghof die „monolithische Kuppel“: eine Art riesiger Luftballon, der mit Lehm, Hanf oder Beton bespritzt wird. Nach dem Trocknen wird die Luft herausgelassen, die leere Haut durch die Türe herausgezogen. In dem einfachen Bau könne man gemeinsam essen, singen, tanzen oder beten. Berghof erzählte von den so genannten Stirling-Maschinen, angetrieben nur mit Wärme, zum Beispiel durch gebündelte Sonnenstrahlen. Wesentlich sei auch die Größe. An der Technischen Universität in Chemnitz würden bereits kleine mobile Fabriken entwickelt. Man könne damit Brillen, Kontaktlinsen, Schmuck, Kleidung, Herde oder Kühlschränke herstellen.
Auf jeden Fall einig sind sich die HautptrednerInnen in ihrem Optimismus. Sie erwarten das große Umdenken in vielleicht zehn Jahren (Berghof) oder in fünf bis sechs Jahren (Norberg Hodge). Ein weltweiter Bewusstseinswandel sei klar zu erkennen.
Die Veranstaltung in Salzburg trug bestimmt ein Mosaiksteinchen dazu bei.

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