Ein kleiner Ort in den argentinischen Anden leistet – bisher noch erfolgreich – Widerstand gegen ein Goldminenprojekt. Aus dem beschaulichen Bergdorf berichtet Yvonne A. Kienesberger.
Wir schreiben das Jahr 2012. Weltweit sind große Goldförderunternehmen im Vormarsch. Auch in Argentinien scheinen sie unaufhaltbar und haben in den Anden alle möglichen Abbauorte für sich eingenommen. Wirklich alle? Nein! Es gibt ein kleines Dorf, das unbesiegbar scheint, das sich erfolgreich gegen jeden Angriff auf „seinen Berg“ zur Wehr setzt: Famatina.
Im Norden der argentinischen Provinz La Rioja liegt Famatina an der gleichnamigen Bergkette, deren höchster Gipfel mit 6.250 Metern der Cerro General Belgrano ist, im Volksmund „El nevado del Famatina“. Dieser Berg ist nicht nur schön anzusehen, sondern er birgt in seinem Gestein unter anderem Gold. Schon 1592 machte sich der spanische Eroberer Ramírez de Velazco hier auf die Suche nach dem Edelmetall. Seither folgten viele seinem Beispiel. Bis sich im Jahr 2003 auch das kanadische Minenunternehmen Barrick Gold für den Famatina zu interessieren begann.
Die Menschen in Famatina lebten bis dahin ein friedliches Bergdorfleben. Nur langsam drangen die Nachrichten zu ihnen durch, dass ein ausländisches Unternehmen Gold an ihrem Hausberg im Tagebau fördern wollte. Es schien bereits, als würde das Projekt ohne größere Hindernisse umgesetzt werden können. Doch dann begannen die EinwohnerInnen Fragen zu stellen. Was bedeutete „Tagebau“? Was wären die Konsequenzen einer solchen Förderung? Antworten darauf fand man im Internet: Zunächst wird der Berg mit gezielten Explosionen in Einzelteile zerlegt. Aus den gewonnenen Brocken werden mit Hilfe hochgiftigen Zyanids Edelmetalle, eben auch Gold, ausgewaschen. Unnötig zu sagen, dass das Abfallprodukt dieses Prozesses eine erhebliche Gefährdung für Umwelt und (Grund-)Wasser darstellt.
Die Bevölkerung Famatinas war geschockt. Sie lebt in einer kargen Umgebung. Ihre einzigen Wasservorräte stellen die Gletscher der Famatina-Kette dar, die durch den Tagebau stark gefährdet wären. Zunächst waren es nur wenige Menschen, die sich trafen, um über das Goldminenprojekt zu sprechen. Doch es wurden immer mehr, bis man ganze Dorfversammlungen abhielt. Die Regionalpolitik wurde darauf aufmerksam und schickte Vertreter in den Ort, die aber mit ihren einstudierten Floskeln gegen die ausgezeichnet informierten EinwohnerInnen keine Chance hatten und sprachlos wieder abziehen mussten. Der Slogan „¡El Famatina no se toca!“ (Hände weg vom Famatina!) wurde von den Medien aufgegriffen und schließlich in ganz Argentinien bekannt.
Fortan sollten sich in Famatina und im nahe gelegenen Chilecito alt und jung, Lehrer und Schülerinnen, Pensionisten, Hausfrauen und Arbeiter, bis hin zum Pfarrer und zum Bürgermeister dafür einsetzen, dass ihrem Berg kein Haar gekrümmt wird.
Skizze der größeren Bergbauprojekte in Argentinien.
Der sympathische Bergbau: Noch vor der Umweltverschmutzung kommt die Kontamination der Gesellschaft, der Gehirne. Die großen Unternehmen haben ja genug Geld, um für sich Wahlkampf zu betreiben. So wird den Schulen angeboten, neues Unterrichtsmaterial zu bekommen. An anderen Orten in Argentinien wurde in die Sanierung des Fußballplatzes oder des Gemeindehauses investiert. „Mitigar“ nennen sie das: lindern, (Schmerz) stillen. Im Fernsehen suggeriert „El Minerito“, eine Comicfigur, die einen Bergbauarbeiter darstellt, schon den Kindern, wie nett doch Minen sind. Und es ist schwer, den Versprechungen von neu geschaffenen Arbeitsplätzen zu widerstehen.
Neben der Aufbringung der finanziellen Mittel für ihren Kampf haben die AktivistInnen des Widerstandes in Famatina noch mit anderen Problemen zu kämpfen. Einige werden wegen ihrer Protestaktionen rechtlich verfolgt, andere wiederum von der Polizei als „gefährlich“ eingestuft, von der Politik gar als „Terroristen“ bezeichnet. So wird der 85-jährige Großvater, der für das Recht auf Wasser für seine Enkelkinder kämpft, zum verdächtigen Individuum.
Aber die Bevölkerung, mittlerweile unterstützt von tausenden Menschen, KünstlerInnen und OppositionspolitikerInnen in La Rioja und im übrigen Argentinien, scheint einen Antikorruptions-Zaubertrank getrunken zu haben und lässt sich nicht unterkriegen. Tag und Nacht bewacht sie den einzigen Zugang zum Minengelände. Zunächst wollten die AktivistInnen das nur für ein paar Tage tun, mittlerweile sind Jahre daraus geworden. Jahre eines dauernden Auf und Ab: Kaum feierte man ein neu erlassenes Gesetz, das den offenen Tagebau in La Rioja untersagte, den Rücktritt eines Gouverneurs, der sich für die Goldförderung eingesetzt hatte, den Abzug der LKWs von Barrick Gold, so stand auch schon das nächste Unternehmen vor der Tür, so sprach sich der neu gewählte Gouverneur, der noch gegen Barrick Gold Politik gemacht hatte, plötzlich für den Goldabbau am Famatina aus, und vom versprochenen Gesetz gegen den Tagebau war keine Rede mehr.
Heuer protestiert man in Famatina gegen die Osisko Mining Company und befindet sich derzeit gerade in einer Freudenphase. Der Oberste Gerichtshof Argentiniens hat entschieden, dass die Provinz La Rioja ein nationales Gesetz umsetzen muss, das zum Inhalt hat, alle vorhandenen Gletscher zu katalogisieren. Ein herber Rückschlag für Osisko Mining, das bis zur erfolgten Umwelt-Inventur jegliche Tätigkeit einstellen muss. Man kann nur hoffen, dass das Zählen der Gletscher lange dauern wird und dass die Bevölkerung von Famatina immer einen Rest ihres Zaubertrankes übrig haben wird, um auch die nächsten Angriffe auf ihren Berg abzuschmettern.
Der Widerstand der EinwohnerInnen Famatinas ist beispielhaft für eine Welle von Protestbewegungen, die sich in den letzten Jahren in Argentinien und ganz Südamerika gebildet haben, um für das Recht auf eine gesunde Umwelt und reines Wasser auch noch für nachfolgende Generationen zu kämpfen. Gegen ökonomische und politische Interessen ankämpfend, bleibt ihnen oft der Zugang zu den traditionellen Medien verwehrt. Im Internet haben sie ein neues Kommunikationsmittel gefunden. Heute organisieren sie sich und informieren die MitbürgerInnen über Facebook und Twitter.
Die österreichische Autorin und Journalistin Yvonne A. Kienesberger lebt seit mehreren Jahren in Córdoba, im Norden Argentiniens, nicht unweit der geplanten Goldmine von Famatina.
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