Mit Stakeholder Value auf dem Weg zum nachhaltigen Wirtschaften: In den Chefetagen vieler Unternehmen zeichnet sich ein radikales Umdenken ab, berichtet
Daher auch das Interesse der übrigen Teilnehmer, zu denen zahlreiche NGOs wie amnesty international, Fair Trade Organisationen, die Internationale Arbeitsorganisation ILO sowie Praktiker aus Buchhaltung, Wirtschaftsprüfung und der universitären Forschung gehörten. AA1000 hat gegenüber verwandten Ansätzen wie z.B. den Prinzipien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über „Corporate Governance“, den zahllosen Verhaltenskodizes und Sozialklauseln, einige Vorteile zu bieten: Er setzt beim einzelnen Unternehmen an, das daher auch ohne internationale Abkommen oder Vertragsänderungen aktiv werden kann; das Verfahren lässt sich auf alle Unternehmen, groß oder klein, lokal oder international gleich anwenden; und es stellt auf Entwicklungen (Planen, Umsetzen, Kontrollieren und Berichten) sowie auf einen Prozess kontinuierlicher Verbesserung ab (prozess-, nicht produktorientiert).
Im Zentrum stehen nicht mehr – wie beim neoliberalen Ansatz – die Shareholder, die Aktionäre oder Eigentümer, deren Gewinnmaximierungsabsichten alle Aktivitäten des Unternehmens untergeordnet werden. In der „Neuen Wirtschaft“ der Zukunft soll es um die „Stakeholder“ gehen: Das sind alle jene Gruppen, die durch die Aktivitäten eines Unternehmens betroffen sind und deshalb legitimerweise auch Ansprüche an das Unternehmen anmelden können – MitarbeiterInnen, KundInnen, LieferantInnen, Nachbarn, und natürlich auch die Shareholder. Ja, auch Gebietskörperschaften wie die Standortgemeinde, der Staat oder die Allgemeinheit können Stakeholder sein.
Die These: Ein Unternehmen kann langfristig nur dann positiv arbeiten, wenn es ihm gelingt, die oft divergierenden Interessen dieser Gruppen in einem möglichst transparenten Prozess auszubalancieren. Die Kommunikation mit diesen Gruppen, der „Stakeholder-Dialog“, ist daher das Herz des gesamten Prozesses. Und dadurch hat AA1000 das Potenzial, zum treibenden Motor einer „Neuen Wirtschaft“, einer radikal demokratisierten und der Nachhaltigkeit verpflichteten Wirtschaft zu werden.
Nicht verwunderlich, dass der Ölmulti Shell – nach seinen Erfahrungen rund um die geplante Versenkung der Erdölplattform Brent Spar und seinen Verwicklungen in Menschenrechtsverletzungen in Nigeria – nun glaubt, am schnellsten lernen zu müssen, und deswegen jetzt auch zu den Fleißigsten auf diesem Gebiet gehört.
Für Mark Wade, den Leiter des Social Accountability Teams bei Shell International, findet derzeit eine Revolution im Wirtschaftsdenken statt. Ihm zufolge durchleben wir eine geradezu kopernikanische Wende, in der ein altes Weltbild (das Wirtschaftsunternehmen steht im Zentrum, alles andere ist Umwelt) von einem neuen abgelöst wird. In dieser „Neuen Wirtschaft“ der Zukunft stehen die gemeinsamen Werte der (Zivil-)Gesellschaft, wie Nachhaltigkeit, Menschenrechte, Toleranz, etc. im Mittelpunkt.
Wirtschaftsunternehmen, Eigentümerinteressen, NGOs, staatliche oder halbstaatliche Strukturen, sie alle kreisen um dieses zentrale Werte-Gestirn und sind nur mehr Mittel zum Zweck.
Dass dies alles nicht nur pure Träumerei ist, zeigt die Tatsache, dass sich auch die Großen der Beratungsindustrie auf das Thema stürzen. Sie beginnen jetzt, die Unternehmer dieser Welt davon zu überzeugen, dass Wirtschaft(en) zunächst einmal etwas mit (nicht-finanziellen) Werten zu tun hat. Das Marktpotenzial muss riesig sein, da es in Kopenhagen sogar möglich war, alle Rivalitäten zwischen den Beratungsmultis zu überwinden. So präsentierten KPMG, Ernst & Young und PriceWaterhouseCoopers am zweiten Tag der Konferenz in seltener Eintracht die sogenannte „Copenhagen Charter“, einen Management-Leitfaden zur Stakeholder-Berichtslegung. (Text unter www.stakeholder.dk)
Die Konferenz zeigte eine breite Vielfalt in den angewandten Methoden und in der Ernsthaftigkeit, mit der die einzelnen Unternehmen diese Herausforderung annehmen. So wird man bei manchem Bericht den Eindruck nicht los, es eher mit einem weiteren PR-Gag zu tun zu haben: So braucht der „Steps Toward Sustainability“- Bericht von General Motors (GM) aus dem Oktober 1999 ganze 52 Seiten, bis er zur Frage kommt, wie viel Treibstoff die 5 Mio. von GM im Jahr produzierten Kfz eigentlich verbrauchen. Für jeden normalen Kfz-Käufer ist gerade der Spritverbrauch eine der ersten Fragen überhaupt! Außerdem gibt kaum einer der großen Multis Einblicke in seine Lobbying-Tätigkeit: Wie viele Lobbyisten werden beschäftigt, wo, wofür treten sie ein? Und schließlich wird die Bildung und Information von KonsumentInnen nur selten als Teil der Unternehmensverantwortung wahrgenommen, obwohl die Unternehmen ja oft über ganz besonders wichtige Informationen für die Käuferentscheidung verfügen.
Einige Unternehmen glauben – wie etwa auch in Kopenhagen vertretene Firmen der Atomkraftwerk-Industrie oder der Biotech-Branche – dass ein bisschen Nachhaltigkeits-Berichtsrhetorik schon genügen wird, um die Öffentlichkeit bei der Stange zu halten, andere hingegen bemühen sich redlich. Und wiederum andere bieten so viel Offenheit, wie es sich traditionelle Manager vor zwanzig Jahren wahrscheinlich in ihren schlimmsten Alpträumen nicht hätten vorstellen können. Zu diesen Pionieren, an denen sich alle anderen messen lassen müssen, gehören die englische FairTrade-Organisation Traidcraft, die in Manchester ansässige Co-operative Bank oder auch der Kosmetik-Multi Body Shop. Der 1997 veröffentlichte Values Report von Body Shop gehört immer noch zum Mutigsten, was je ein Unternehmen an freiwilliger Transparenz an den Tag gelegt hat. Diese Art von Offenheit schafft Vertrauen und Goodwill in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch den Unternehmenswert der Zukunft, den Stakeholder Value.
Alleine wird die Wirtschaft die genannte kopernikanische Wende nicht schaffen, darin waren sich die meisten UnternehmensvertreterInnen einig. Sie brauchen das Mitwirken und damit neue Formen der Kooperation mit der Zivilgesellschaft (wie sie z.B. auch die Aktion „Betriebe im Klimabündnis“ darstellt). Sie brauchen diese umso mehr, als viele von ihnen die Erfahrung machen, dass die Öffentlichkeit ihnen oft keinen oder nur wenig Glauben schenkt. Daraus entsteht eine wirklich sehr interessante Situation: Man wurde den Eindruck nicht los, dass hier einige der größten Unternehmen der Welt um mehr Glaubwürdigkeit regelrecht betteln, wohlwissend, dass diese nicht von ihnen selbst eingebracht werden kann. Nur VertreterInnen von Umwelt- und Menschenrechtsgruppen, Entwicklungs-NGOs und Fair Trade Aktivisten, Konsumentenschützer und andere Vertreter der Zivilgesellschaft können ihnen diese bieten. In der Tat, ein riesiges Betätigungs- und Verantwortungsfeld, das da vor uns liegt.
Institute of Social and Ethical Accountability
Das Institut für soziale und ethische Buchführung ISEA in London wurde 1996 gegründet. Es zählt derzeit rund 400 Mitglieder (Privatpersonen, Unternehmen und Institutionen) in ca. 40 Ländern. Oberstes Ziel ist es, dem zukünftigen Beruf des sozialen und ethischen Buchhalters bzw. Wirtschaftsprüfers Bahn zu brechen. Dazu ist es nötig:
ˇ Standards für dieses neue Berufsfeld mit zu gestalten und durch „Lern-Netzwerke“ für deren Weiterentwicklung zu sorgen;
ˇ dafür zu sorgen, dass diese Standards von allen wichtigen Gruppen anerkannt werden (Wirtschaft, Universitäten, NGOs, Interessensvertretungen bzw. Verbände der Buchhalter, Wirtschaftsprüfer, etc.);
ˇ sicherzustellen, dass Universitäten Ausbildungsgänge hierzu anbieten;
Weitere Informationen:
ISEA, Thrale House, 44-46 Southwark Street, London SE1 1UN
Tel: +44-171-407 7370 Fax: +44-171-407 7370
E-Mail: Secretariat@AccountAbility.org.uk
Website: www.AccountAbility.org.uk
Jean-Marie Krier ist Soziologe und Betriebswirt, 1989-99 Geschäftsführer der EZA 3. Welt, jetzt Marketing für ARGE Weltläden.
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