Boliviens Ex-Präsident Evo Morales ist im Exil, konterrevolutionäre Kräfte sind am Ruder. Noch ist ungewiss, wie es im lange so stabilen Land weitergeht.
Die Ära Evo Morales ist zu Ende. Bolivien steht mitten in einer konservativen Wende, die mit dem Abgang des charismatischen Linkspopulisten am 10. November 2019 begann und mit den für 3. Mai 2020 angesetzten Präsidentschaftswahlen vollendet werden könnte. Zumindest wenn es der bisherigen Opposition gelingt, einen gemeinsamen Kandidaten oder eine Kandidatin aufzustellen, wie es die umstrittene Interimspräsidentin Jeanine Áñez anstrebt. Morales selbst, derzeit (bei Redaktionsschluss) im argentinischen Exil, darf laut Verfassung nicht antreten.
Schon das vierte Antreten von Morales zu den Wahlen am 20. Oktober war nur dank eines juristisch abenteuerlichen Spruchs des Verfassungsgerichtshofs möglich gewesen. Nach den Wahlen kam es zu Protesten, weil sich der Verdacht aufdrängte, das Resultat sei zugunsten von Morales verbogen worden, damit er sich eine Stichwahl gegen den Konservativen Carlos Mesa erspare. An einem deutlichen Vorsprung bestand aber kein Zweifel.
Als Morales schließlich die Flucht nach vorne antrat und die Wahlen annullieren ließ (was keiner von ihm verlangt hatte), war es zu spät. Auf den Straßen hatte die Polizeigewalt erste Tote gefordert. Für die Opposition war das ein Signal zur Offensive. Der Mob auf der Straße attackierte RegierungsanhängerInnen und plünderte die Villa von Morales. Gleichzeitig setzten die rechten Parteien die Kongresspräsidenten der Abgeordnetenkammer und des Senats unter Druck – beide gehörten Morales‘ Bewegung zum Sozialismus (MAS) an. Hintergrund: Die Kongresspräsidenten ersetzen den Präsidenten bei dessen Verhinderung, Tod oder bleibender Amtsunfähigkeit.
Ralf Leonhard ist freier Autor in Wien. Er lebte viele Jahre in Lateinamerika und schreibt seit über 35 Jahren für das Südwind-Magazin.
Schließlich traten die Angehörigen der MAS zurück. Als Interimspräsidentin vereidigen ließ sich schließlich Áñez, die zweite Vizepräsidentin des Senats, was von der Verfassung nicht vorgesehen ist.
Zukunft ungewiss. Egal, wie man den Umsturz juristisch beurteilt: es geht nicht nur um einen Regierungswechsel, sondern um Überleben oder Untergang der Reformpolitik, die Bolivien zu einem anderen Staat gemacht hat.
Unter Morales ist erstmals in der Geschichte die indigene Bevölkerungsmehrheit zu ihrem Recht gekommen. Der von der weißen und mestizischen Oligarchie geübte Rassismus wurde durch gezielte Förderungen und Symbolpolitik zurückgedrängt. Die Wiphala, die Flagge der Indigenen Lateinamerikas, wehte neben dem Nationalbanner. In offiziellen Diskursen wurde auf „Pachamama“ Bezug genommen, die Muttergöttin als Synonym für die Natur, mit der der Mensch in Einklang zu leben habe.
Zwar hat die Praxis dagegen oft verstoßen, wenn es um Wirtschaftsinteressen ging, und die Tieflandvölker sahen sich von Morales nie vertreten. Aber die Kräfte, die jetzt am Drücker sind, planen die kulturelle Konterrevolution.
Luis Fernando Camacho, der sich zu deren Anführer erklärte, will keinen Stein auf dem anderen lassen. Statt Pachamama soll die Bibel regieren. Die bisherige Mehrheitspartei MAS wollte man auflösen, was der Verfassungsgerichtshof allerdings einstimmig ablehnte. Die Frage ist jetzt, ob Morales eine starke Kandidatin oder einen starken Kandidaten seiner Partei zulässt, die oder der sein politisches Erbe rettet, oder ob er, wie angekündigt, selbst aus dem Exil zurückkehren und in das Geschehen eingreifen wird.
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