Es ist allgemein bekannt, dass sich chinesische Aktivitäten in Afrika ausweiten. Aber es läuft auch umgekehrt: Immer mehr AfrikanerInnen kaufen in China Hemden, Hosen und Handys ein, um sie dann zu Hause weiter zu verkaufen. Eine Reportage von Christian Selbherr (Text) und Jörg Böthling (Fotos).
Endlich, die Jeans sind da! Ikechukwu Nwanzi klappt sein Handy zu und dreht sich um. Er schnalzt mit der Zunge. Die drei chinesischen Kofferträger verstehen: Es gibt Arbeit! Sie drücken ihre Zigaretten aus, schieben sie in die Westentasche, für später. Dann folgen sie mit ihren Handkarren dem Mann aus Afrika.
Nwanzi kennt den Weg, denn er war schon oft genug hier im „Canaan Export Center“ von Guangzhou, im Süden Chinas. „Canaan“, das gelobte Land. Auch für Händler wie Nwanzi, der in seiner Heimat Nigeria die StraßenhändlerInnen der Stadt Aba mit Waren versorgt. In China kauft er seine Produkte ein, alle zwei Monate.
Sie gehen vorbei an T-Shirts, Hemden, Hosen in allen Farben, Größen und Designs. Laden 1089 B, mit dem Namen Y. P. Jeans. Die chinesische Betreiberin wartet schon. „Papa, es ist alles da!“, ruft sie dem Kunden aus Nigeria zu. „Mama, das hat zu lange gedauert,“ entgegnet Nwanzi. Und während er die Ware begutachtet, beschießen sie sich gegenseitig. „Du kaufst zu wenig“, klagt die Chinesin, und der Nigerianer antwortet: „Du bist zu teuer!“ Über die Jahre hat er genug Chinesisch für solche Rededuelle gelernt.
„Die Papiere bitte!“ Plötzlich ist der Spaß zu Ende. Einem Sicherheitsbeamten ist es offenbar zu laut geworden. In weißem Hemd, schwarzer Hose und mit einem Gummiknüppel an der rechten Seite baut er sich vor den Händlern auf. Warenkontrolle. Pässe zeigen. Wenn der Offizier einen schlechten Tag hat und etwas beanstanden will, dann ist das Geschäft geplatzt, kurz vor dem Ziel.
„Als Afrikaner musst du jeden Tag ums Überleben kämpfen!“ Auch Gloria Osei Kuffur aus Ghana kennt die Schwierigkeiten, die mit einem chinesischen Abenteuer verbunden sind. „Niemand von uns hat sich China freiwillig ausgesucht“, sagt sie, während sie am Eingang des Yu Hang Hotels steht. Auch sie hat ihre bestellten Jeans bekommen und packt sie gerade in Pappkartons ein. Eigentlich wäre ja Europa ihr Wunschziel gewesen. Ein Jahr lang lebte sie in der Schweiz, als Flüchtling. Während Frau Kuffur packt und redet, kommt ihre jüngere Schwester hinzu.
In perfektem Deutsch erzählt sie von den drei Jahren, in denen sie in Stuttgart wohnte. Arbeiten hätte sie wollen, am liebsten ein eigenes Geschäft aufmachen. In Ghana ist der Markthandel schon immer Frauensache. Doch die Zeit in Europa war bald vorüber. Gloria bekam keine Anerkennung als Flüchtling. Ghana ist kein Krisengebiet. Und auch ihre Schwester erhielt in Deutschland keine Aufenthaltsgenehmigung. Abschiebung.
Also eben China. Das Land, in dem die neuen Freunde der afrikanischen Regierungen sitzen und aus dem all die Dinge kommen, die es heutzutage in Afrika zu kaufen gibt.
Gloria Kuffur holte sich einen Kredit bei der Bank und kaufte sich ein Flugticket nach Guangzhou. Dort suchte sie andere AfrikanerInnen. „Am Anfang hast du nicht viel mehr in der Hand als eine Visitenkarte“, sagt sie. „Die gibst du dem Taxifahrer, und der bringt dich hin.“
Inzwischen kommt sie zusammen mit ihrer Schwester und zwei Freundinnen mehrmals im Jahr für etwa zwei Wochen. Dieses Mal haben sie sich im etwas schäbigen Yu Hang Hotel einquartiert. Zimmer 408. Ein Doppelzimmer, das sie sich zu viert teilen. Nachts laufen Ratten durch, aber was soll’s.
Guangzhou, die „Schokolade-Stadt“
Die 11-Millionen-EinwohnerInnen-Stadt Guangzhou (Kanton) liegt im Perlfluss-Delta in der Provinz Guangdong, etwa eine Zugstunde von Hongkong entfernt. Die Stadt entwickelte sich zu einem wichtigen Stützpunkt für den Seehandel mit der ganzen Welt. Seit 2001 wird sie von drei Sonderwirtschaftszonen, darunter Shenzen, umgeben. In dieser „größten Fabrik der Welt“ produzieren WanderarbeiterInnen aus beinahe allen chinesischen Provinzen jene billigen Massenwaren, die China zum Exportweltmeister gemacht haben.
In den chinesischen Großstädten, vor allem in der Nähe der Häfen, gibt es so genannte Trading Center. Manche sind spezialisiert auf KundInnen aus bestimmten Regionen. Im Norden und Nordwesten Chinas spricht das Personal Russisch, im Südwesten tummeln sich HändlerInnen aus Pakistan und Indien. Und seit sich im Jahr 1998 ein Afrikaner in Guangzhou niedergelassen hat, sind ihm über die Jahre immer mehr gefolgt. Heute leben 20.000 AfrikanerInnen dauerhaft hier. Insgesamt sollen sich im Durchschnitt geschätzte 100.000 Menschen aus Afrika in der Stadt aufhalten. Wegen der ungewohnten Hautfarbe schrieb eine chinesische Zeitung über Guangzhou als „Chocolate City“. C.S.
Sie sammeln die Ware ein, die sie beim letzten Besuch bestellt haben. Bezahlen 20 bis 30 Yuan pro Jeans (ca. 2,4 bis 3,6 Euro). Und sie ziehen durch die Läden auf der Suche nach Neuem. Gloria Kuffur betreibt in Kumasi einen kleinen Laden und verkauft Kleidung, Haarteile, Töpfe, Pfannen, Spielzeug – alles „Made in China“.
„Mit 1.000 Dollar kannst du etwa 700 Dollar Gewinn machen“, rechnet sie vor. Wenn alles gut geht. Wenn nicht, dann bleibt sie auf ihren Schulden sitzen. Mit den Chinesen sei nicht zu spaßen, sagt sie: „Wenn wir sie nicht gleich verstehen, dann schlagen sie plötzlich zu.“ Als Frau aus Ghana sei sie im Nachteil. „Die Nigerianer sind besser organisiert, die lassen sich nicht so viel gefallen wie wir.“
Nigerianer wie Ikechukwu Nwanzi, der soeben vom Sicherheitsmann kontrolliert wurde. Alles in Ordnung, das Visum ist gültig, an der Ware gibt es nichts zu beanstanden. Keine gefälschten Produkte, keine Hehlerware. „Als ob wir Produkte fälschen würden“, raunt ein Afrikaner, der dabei steht. „Das tun doch nur Chinesen.“
Nwanzi hat alles ziemlich gelassen über sich ergehen lassen. Aber nur, weil er weiß, dass er gegen chinesische Behördenwillkür sowieso machtlos wäre. Sobald alle Chinesen außer Hörweite sind, schimpft er leise los. „Die Chinesen tun alles, was ihnen ihre Regierung sagt. Es wird Zeit, dass sie endlich ihr Hirn entwickeln und selbst zu denken anfangen.“
Seit zehn Tagen ist Nwanzi nun schon wieder in dem Land, in dem der kommunistische Kapitalismus herrscht. Anders als Gloria hat er sich nicht verschuldet. 5.000 US-Dollar trägt er in der Hosentasche seiner blauen Bermuda-Shorts. Es kann auch Vorteile haben, wenn an jeder Ecke eine Überwachungskamera surrt und überall Polizisten postiert sind.
Nwanzi hat Herrenanzüge ausgesucht, Hemden begutachtet und Bestellscheine für Jeans ausgefüllt. Viele sind zweisprachig gedruckt, auf einem steht: „Gott schütze Sie und Ihr Geschäft!“
Es ist ein Duell der Glücksritter, mit ständig wechselndem Ausgang. Wie es sich für echte Kaufleute gehört, beklagen sich beide Seiten über ihr jeweiliges Gegenüber. „Die Chinesen betrügen uns, und liefern nicht die Ware, die wir bestellt haben“, sagt ein Händler aus Senegal. „Die Afrikaner feilschen um alles, wir verdienen überhaupt kein Geld mit ihnen“, klagt ein Chinese. Und doch blüht der afro-chinesische Handel. Geld ist die gemeinsame Sprache, und zur Not genügen die Zifferntasten auf dem Taschenrechner, um sich zu verständigen.
Nwanzi kennt sich aus in Asien. So gut, dass ihn seine Freunde schon „Japan“ nennen. Als der Spitzname aufkam, wussten die Leute zu Hause noch gar nicht so genau, in welches Land ihr Kumpel eigentlich immer reiste. Er macht gerne Geschäfte mit ChinesInnen. Noch lieber aber mit seinen Landsleuten aus Nigeria.
Daddy Taowe ist sein nigerianischer Verbindungsmann in China. Mit seinem knallroten Trainingsanzug sieht man ihn schon von weitem, selbst im Labyrinth vom Canaan-Markt. Taowe ist ein chinesischer Name. Daddy trägt ihn, seit er mit einer Chinesin verheiratet ist. Er lebt seit acht Jahren in Guangzhou.
Bevor „Japan“ nach China fliegt, ruft er „Daddy“ an, und der nimmt schon mal die ersten Bestellungen entgegen. Daddys Geschäft läuft auf den Namen seiner Frau, denn ohne einheimischen Geschäftspartner dürfen Ausländer in China kein Unternehmen gründen. Seine erste chinesische Freundin war Lehrerin, deshalb ging das mit der Sprache alles ziemlich schnell. Heute spricht Daddy perfekt Chinesisch. Sonntags spielt er Fußball in der Hobbyliga im Vorort Shunde. Nur zwei Ausländer gibt es in der Mannschaft, und er ist der beste Torschütze.
Daddy räumt aber ein, dass die Geschäfte schon besser liefen. „Es gibt jetzt einfach zu viele Afrikaner hier.“ Zu viel Konkurrenz, und vor allem: zu viele Abenteurer, mit wenig Ahnung vom Geschäftsleben, aber mit kühnen Träumen vom schnellen Reichtum. Sie lassen sich auf windige Deals ein und erregen den Argwohn der Behörden.
Christian Selbherr ist fester Redakteur beim missio Magazin in München.
Jörg Böthling ist seit 1995 freier Fotojournalist in Hamburg und arbeitet u. a. zu Themen wie Globalisierung, Umwelt, nachhaltige Landwirtschaft in Afrika, Lateinamerika und Asien.
Weitere Infos: www.visualindia.de
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