Der sandinistische Revolutionskommandant will im November zum dritten Mal die Präsidentschaft Nicaraguas erobern. Der offizielle Wahlkampf hat begonnen, doch die zersplitterte Opposition hat keine Chance.
"Daniel, Daniel!“ rufen Männer und Frauen, die weiß-blau-weiße Nationalflaggen und rot-schwarze Fähnchen der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) schwenken und an einem zentralen Kreisverkehr in Managua stehen. „En la dos, en la dos“, ergeht ihre Aufforderung an Wählerinnen und Wähler, am 6. November ihr Kreuzchen auf der Liste 2 einzutragen und damit die Wiederwahl von Staatspräsident Daniel Ortega perfekt zu machen. Noch bevor im August der offizielle Wahlkampf begann, hatte Ortega seine Basis bereits mobilisiert. Der ehemalige Revolutionsführer, der jetzt mit dem Slogan „Christlich, sozialistisch, solidarisch“ antritt, will nichts dem Zufall überlassen. Nach viereinhalb Jahren im Präsidentenpalast haben Ortega und seine Frau Rosario Murillo das Land und seine Institutionen so fest im Griff, dass ein Wahlbetrug, wie zuletzt bei den Kommunalwahlen 2008, wohl gar nicht notwendig sein wird.
„Man weiß doch, dass der Wahlbetrug nicht erst bei der Auszählung stattfindet. Es ist längst alles arrangiert“, meint Henry Ruiz, einst einer der neun Comandantes des mächtigen Nationaldirektoriums der FSLN, das 1979 bis 1990 Revolution und Abwehrkampf anführte. Zahlreiche glaubhafte Beschwerden legen nahe, dass bei der Ausgabe der für die Stimmabgabe erforderlichen Personalausweise SympathisantInnen der Regierungspartei bevorzugt werden. Für Ruiz ist es bezeichnend, dass Ortega an Roberto Rivas, dem Chef des Obersten Wahlrates, festhält. Der Schützling von Kardinal Obando y Bravo ist mit schwerwiegenden Korruptionsvorwürfen konfrontiert. Trotzdem wird gegen ihn weder ermittelt, noch wurde er zum Rücktritt genötigt.
Das erste Hindernis für die neuerliche Kandidatur Ortegas hatte die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes schon vor zwei Jahren aus dem Weg geräumt. Auf Antrag von Ortega erklärte sie Artikel 147 der Verfassung, der die Wiederwahl explizit verbietet, für verfassungswidrig, was bei Juristen Kopfschütteln, bei der Opposition hilflosen Groll auslöste. Der Artikel, so die krause Argumentation der von Ortega eingesetzten Höchstrichter, verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Die Opposition ist zersplittert und kann keine charismatischen Frontleute ins Rennen schicken. Ex-Präsident Arnoldo Alemán, der wegen Korruption zu 20 Jahren Haft verurteilt war und unter Ortega wieder freikam, sorgt dafür, dass die Liberale Partei gespalten bleibt. Die Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) wurde verboten und kann nur in Allianz mit der zentristischen Unabhängig-Liberalen Partei (PLI) antreten. Eine Anzahl kleinerer Gruppen sorgt dafür, dass weitere Oppositionsstimmen abgesaugt werden. Populärster Wahlkämpfer im Anti-Ortega-Lager ist Pancho Madrigal, eine virtuelle Gestalt, die seit Jahrzehnten im konservativen Sender Radio Corporación mit Schnurren aus dem Landleben die Welt erklärt. Der schrullige Campesino ist eine Erfindung des Radiodirektors Fabio Gadea Mantilla, der als Präsidentschaftskandidat der Allianz PLI-UNE-MRS antritt. Der fast 80-jährige Rundfunkveteran, der während der sandinistischen Revolution in den 1980er Jahren reaktionärste Propaganda verbreitete, ist inzwischen offener geworden und übernimmt zum Teil die Positionen seines Kandidaten für die Vizepräsidentschaft, Edmundo Jarquín vom MRS. So tritt er gegen die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs auf, während Ortega zu dem von seiner Partei durchgesetzten völligen Verbot steht, wie es die Katholische Bischofskonferenz fordert.
Deswegen gehören auch die Frauenorganisationen zu den entschlossensten GegnerInnen Ortegas. Ana María Pizarro, die Leiterin des Frauenberatungszentrums Si Mujer in Managua, weiß von drei Frauen, die wegen Abtreibung verurteilt wurden: „Zwei in Somoto und eine in Madriz. Eine weitere sitzt noch ohne Urteil in Estelí im Gefängnis.“ Genauere Daten gibt es nicht. Weder Justiz- noch Gesundheitsministerium seien auskunftswillig.
Derzeit erfreut sich Nicaragua blendender Konjunkturdaten. Die Exporterlöse steigen, das Wirtschaftswachstum von über fünf Prozent suggeriert einen Aufschwung. Doch der Ökonom Adolfo Acevedo*) warnt: die guten Zahlen seien vor allem den hohen Preisen der wichtigsten Exportprodukte zu verdanken: Kaffee, Rindfleisch, Gold. Strukturell bleibe die Wirtschaft auf Rohstoffexporte fokussiert und damit hochgradig abhängig von den Schwankungen des Weltmarkts. Allein in der Energiewirtschaft tut sich Bemerkenswertes. Stromengpässe, die jahrelang zu stundenlangen Ausfällen geführt hatten, wurden zunächst mit venezolanischen Dieselgeneratoren überbrückt. Diese teuren Geräte sollen aber durch nachhaltige Lösungen ersetzt werden. Bis 2017 will Nicaragua 94 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen decken: Wasserkraft, Windräder, Geothermie. Wichtigster Investor ist Venezuela, größter Profiteur die Familie Ortega, die durch Beteiligungen an den profitablen Unternehmen zu einer der reichsten Familien des Landes geworden ist.
Der Südwind-Mitarbeiter Ralf Leonhard arbeitete viele Jahre als Korrespondent deutschsprachiger Medien in Nicaragua und bereiste kürzlich das Land.
*) In der ÖFSE-Edition 16 erschien soeben die Studie „Notes on the Nicaraguan Budgeting Process and the Role of External Cooperation“ von Karin Küblböck und Adolfo Acevedo, 124 Seiten (www.oefse.at).
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