Chiles „Terroristen“

Von Werner Hörtner · · 2008/05

Weil sie um Landrechte und Lebensraum kämpfen, wird Chiles indigene Bevölkerung, die Mapuche, unter Präsidentin Bachelet genauso drangsaliert und unterdrückt wie in der Zeit der Diktatur.

Wütend und unnachgiebig zeigte sich die sozialistische Staatschefin bei ihrem Wien-Besuch anlässlich des großen EU-Lateinamerika-Gipfels im Mai 2006, als sie von hier lebenden Landsleuten auf die Situation von inhaftierten Mapuche-Aktivisten angesprochen wurde. Sie wolle sich in die Angelegenheiten der Justiz nicht einmischen, so die Präsidentin, die erst zwei Monate zuvor ihr Amt angetreten hatte. Dass die Gefangennahme und Verurteilung junger Indigener auf Grundlage eines Antiterrorismus-Gesetzes aus der Zeit Pinochets erfolgte, schien die Hoffnungsträgerin eines neuen, sozialen, humanen Chile nicht zu berühren. Nach diesem Gesetz kann selbst das Anzünden von Feldern oder unbewohnten Gebäuden als terroristischer Akt eingestuft werden.
Im Zuge der Conquista, der brutalen Eroberung des später Amerika genannten Kontinents, wurde die Urbevölkerung durch Gewalt und durch eingeschleppte Krankheiten dezimiert. Heute setzt sich dieser Genozid häufig durch die Zerstörung ihres Lebensraumes fort. Die Araukaner (Mapuche) in Chile wurden von den Kolonialherrn nie militärisch besiegt, lebten sogar nach der Unabhängigkeit des Landes 1818 südlich des Flusses Bío-Bío als eigenständige Nation weiter. Erst Ende des 19. Jahrhunderts eroberte die chilenische Armee dieses Territorium – in der Aktion „Befriedung von Araukanien“ – und siedelte dort vor allem europäische ImmigrantInnen an. Unter der Pinochet-Diktatur verloren die Mapuche dann weitere Rechte und Ländereien. Sie zählen fast eine Million Menschen und leben zum Großteil in Chile, zu einem kleinen Teil in den argentinischen Anden.

Rayen Kvyeh aus Temuco im Süden des langgezogenen Landes ist Lyrikerin, schreibt Theaterstücke – und kämpft für die Rechte der indigenen Bevölkerung Chiles. Im vergangenen Jänner besuchte sie auf einer Informationsreise durch Europa auch Wien. Sie hatte jahrelang in den Gefängnissen der Militärdiktatur gelitten und war dann als Flüchtling nach Deutschland gekommen. „Während der Diktatur sind Menschen verschwunden, inhaftiert, ermordet worden; heute greift man zu moderneren Methoden, die Mapuche verschwinden zu lassen“, sagt Rayen, was so viel wie Blume des Mondes bedeutet. Sie meint damit die wirtschaftlichen Erschließungsprojekte, häufig zu Lasten von Mapuche-Territorien und zu Gunsten ausländischer Konzerne: Staudämme, Eukalyptusplantagen, Lachszuchten.
Das Verhalten der sozialistischen Präsidentin ihres Landes, die genauso wie Rayen die Brutalität der Diktatur am eigenen Leib erfahren hatte, ist für die Schriftstellerin völlig unverständlich. „Vor ihrer Wahl hatte sie ein Treffen mit Mapuche-Organisationen und sicherte uns zu, unsere Rechte zu akzeptieren. Aber das hat sie jetzt offenbar vergessen.“ Bachelet hat auch versprochen, das Antiterrorismusgesetz Pinochets nicht anzuwenden – und hat diese Zusage ebenfalls nicht eingehalten. Die Freiheit des Marktes, die neoliberale Wirtschaftsordnung ist auch unter der sozialistischen Präsidentin oberstes Prinzip der Staatsführung. Im Juni 2002, unter Bachelets Vorgänger Ricardo Lagos, ebenfalls von der Sozialistischen Partei, wurde der als „Assoziationsabkommen“ bezeichnete Freihandelsvertrag zwischen Chile und der Europäischen Union unterschrieben.
Eine Petition von Mapuche-Organisationen richtete sich damals an die EU- Abgeordneten und an die nationalen Parlamente der EU-Staaten mit dem Ersuchen, das Abkommen nicht zu ratifizieren: „Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass ein Abkommen dieser Art unwiderrufliche Auswirkungen auf die Existenz und das Wohlergehen der indigenen Völker Chiles haben wird. Das althergebrachte Territorium des Mapuche-Volkes, insbesondere seine Wald-, Meeres- und Fischressourcen, wird an die Interessen der exportorientierten Investoren verschachert … was zur weiteren Verarmung der indigenen Gemeinden beiträgt.“

Für diese Vorhersage, die dann auch eintraf, war keine besondere prophetische Gabe nötig. Das Pinochet-Regime hatte von Anfang an ausländische Unternehmen der Holz- und Papierindustrie ins Land geholt, sie von Steuern befreit und ihnen Millionen Hektar Waldgebiete zugesprochen, auf denen auch Mapuche-Gemeinden siedelten. Nach dem Ende der Diktatur 1990 sollte sich diese Lage nicht verändern. So entzündeten sich die Landkonflikte in den letzten Jahren immer wieder im Umfeld privater Unternehmen der Forstwirtschaft. Und immer wieder traten wegen Sachbeschädigung von Privateigentum verurteilte Mapuche-AktivistInnen in Hungerstreik, am längsten Patricia Troncoso, die Ende Jänner einen 112-tägigen Streik beendete (siehe SWM 3/08 S.11).
„Taten, die in Zusammenhang mit sozialen Auseinandersetzungen um Land begangen werden, dürften nicht als terroristische Akte gewertet werden“, kritisierte der UN-Sonderberichterstatter für indigene Angelegenheiten, Rodolfo Stavenhagen, die chilenische Politik gegenüber den Mapuche.
Heuer starben bereits zwei Mapuche-Jugendliche bei Protestaktionen durch Polizeigewalt.

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