Zu Dumping-Preisen werden Hühnerteile aus Europa auf Ghanas Märkten angeboten. Die globale Geflügelwirtschaft ist im Wachsen begriffen und zerstört die Lebensgrundlage von Bäuerinnen und Bauern.
Auf dem Kaneshi-Markt in der ghanaischen Hauptstadt Accra stehen die Verkaufsstände dicht gedrängt. Es gibt hier buchstäblich alles: Wandfarbe, Werkzeug, Hemden, Schuhe, Unterwäsche, Gewürze, Gemüse – und gefrorene Geflügelteile. Hinter einem der Marktstände steht Vanessa Ageyman, die in ihrem Leben schon mit Stoffen, Haushaltswaren und Gemüse gehandelt hat. Vor sechs Jahren ist sie auf gefrorene Geflügelteile umgestiegen, weil hier die Nachfrage besonders groß war. Jetzt liegt ihre Ware in großen Klumpen in einer Glasvitrine: Innereien, Rückenteile, Hälse und Schenkel. Der Boden der Vitrine ist mit einem blauen Müllsack ausgelegt, denn in der Hitze des tropischen Tages tauen die Geflügelteile schnell auf, die Müllsäcke sollen das Schmelzwasser auffangen.
„Wenn das Fleisch nicht mehr gut riecht, bringe ich es zurück“, sagt die Händlerin, „und der Großhändler gibt mir mein Geld zurück. Was er dann mit dem Fleisch macht, weiß ich nicht – ich nehme an, dass er es wegschmeißt.“ Vanessa Ageyman legt am Morgen möglichst immer nur so viel in die Vitrine, wie sie im Laufe des Tages voraussichtlich verkaufen kann. Kwame Agi, der am Nebenstand arbeitet, sieht das nicht so eng. Was im Laufe des Tages nicht verkauft werde, lege er abends in die Gefriertruhe zurück. Weil es manchmal ein paar Tage dauert, bis ein Fleischstück seinen Käufer oder seine Käuferin findet, wird es mehrfach gefroren und aufgetaut. Im Moment bedient Kwame Agi gerade eine Kundin, die sieben Kilo Hühnerschenkel kauft. Sie betreibt einen Catering-Service und hat eine Bestellung für eine Hochzeitsfeier am kommenden Wochenende.
„Frisches Geflügel schmeckt natürlich viel besser als dieses hier. Das Gefrorene kann man nur essen, wenn man es richtig zubereitet“, gibt sie zu. Sie mariniert die Hühnerschenkel und würzt sie so kräftig, dass niemand schmeckt, wenn das Fleisch nicht mehr ganz in Ordnung ist.
Nur ein paar Meter weiter werden lebende Hühner angeboten. Die Kundinnen und Kunden schlachten sie selbst, frischer geht es also nicht. Doch die Händlerinnen und Händler sind missmutig, weil ihre Geschäfte seit einigen Jahren immer schlechter laufen. „Die meisten Leute kaufen lieber die gefrorenen Geflügelteile an den Ständen nebenan“, schimpft einer. Aus Sicht der Kundschaft ist das verständlich: Ein ganzes Huhn ist ein seltenes Luxusgut geworden und kostet umgerechnet 4,00 bis 4,70 Euro das Kilo. Die gefrorenen Schenkel und Rücken sind schon für umgerechnet 2,20 bis 2,50 Euro das Kilo zu haben. Dabei kommen die lebenden Hühner aus dem Umkreis von Accra, die gefrorenen Teile dagegen aus Übersee, vor allem aus Holland, Deutschland, den USA und Brasilien.
Seit einigen Jahren machen entwicklungspolitische Organisationen in Europa darauf aufmerksam, dass die afrikanischen Hühnerbäuerinnen und -bauern der Konkurrenz durch die billige Importware nicht gewachsen sind und aufgeben müssen. Obwohl der Zusammenhang längst bekannt ist, hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert. Ganz im Gegenteil: Im Jahr 2011 importierte Ghana aus der EU 66 Millionen Kilogramm gefrorene Hühnerteile und damit deutlich mehr als doppelt so viel wie 2009. Damals waren es noch 28 Millionen Kilo. Dabei ist es auf den ersten Blick immer noch erstaunlich, dass Fleisch aus Europa trotz des langen Transportweges billiger sein kann als in Afrika aufgezogene Hühner. Das liegt am Verhalten der europäischen Konsumentinnen und Konsumenten und an der Subventionspolitik der Europäischen Union.
Francisco Mari arbeitet für den deutschen Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema. „Seit Mitte der 1990er Jahre kaufen Konsumentinnen und Konsumenten in Mitteleuropa nur noch selten ganze Hühner, sondern Hühnerteile, vor allem die Brust“, erklärt er. Geflügelbrust wird als besonders mageres Fleisch beworben. Weil Geflügelbrust in Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern so gerne gegessen wird, können die Händlerinnen und Händler mit ihr viel Geld verdienen. Schenkel und andere Hühnerteile werden dagegen sogar für weniger Geld verkauft als die Erzeugung kostet, und zwar nach Afrika. Und obwohl sie die Hühnerreste zu Dumping-Preisen verscherbeln, machen sie dank der überteuerten Brust noch immer Gewinn. Der Export wird trotz aller Kampagnen der letzten Jahre noch immer indirekt von der EU subventioniert.
So wird mit Hilfe von EU-Politik zerstört, was Bäuerinnen und Bauern in Afrika in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, und das paradoxerweise unter anderem mit Geldern der Entwicklungszusammenarbeit. Denn in den 1970er Jahren wurde in Asien und Afrika die Geflügelmast von so genannten Entwicklungshelferinnen und -helfern gleichsam als Königsweg aus der Armut entdeckt: Wer Küken kauft, braucht kaum Startkapital und für ein Kilo Fleisch viel weniger Futter als wenn er ein Schwein oder Rind mästet. Außerdem sind die Hühner schon nach wenigen Wochen schlachtreif, das eingesetzte Geld fließt also schnell in die Haushaltskasse zurück.
Vor allem afrikanische Frauen bekamen viele Mikrokredite, damit sie mit der Geflügelmast anfangen konnten. Denn die Hühnerhaltung schien bestens geeignet, schnell und zuverlässig zusätzliches Geld für die Familie zu verdienen.
Doch seit einigen Jahren funktioniert das nicht mehr, weil die Kundinnen und Kunden nur noch Geflügelteile aus Europa kaufen, die auf den Märkten zu Schleuderpreisen angeboten werden. Wilbeck Kwame Asante kann darüber eine Menge erzählen. Der Weg zu seinem Bauernhof führt über eine ausgefahrene Piste, an Maisfeldern und Bananenhainen vorbei. Dann öffnet sich der Blick, und der Hof liegt wie auf einer Lichtung da. Der Bauer hat seinen Besuch schon erwartet.
„Mit dem Hof habe ich kurz nach der Unabhängigkeit Ghanas anfangen“, erzählt er. Erst hielt Asante nur Legehennen, dann nahm er Masthähnchen dazu. Das Geschäft brummte. „Zwischenzeitlich war ich fast ein reicher Mann“, erzählt der alte Bauer. In seinen besten Jahren lieferte Asante an einige Großkunden: die Universitätsklinik in Accra und weitere Fakultäten auf dem Campus, einen Supermarkt in der Hauptstadt und andere feste Abnehmer. Seine Arbeiterinnen und Arbeiter schlachteten die Hühner auf der Farm, rupften sie und fuhren sie zur Kundschaft. Asante reinvestierte seine Gewinne in den Betrieb, der in den ersten Jahren ständig wuchs. Außerdem investierte er in die Ausbildung seiner neun Kinder. Jetzt haben er und seine Frau nur noch das Nötigste zu essen. Sie leben von dem, was ihre Kinder schicken. Außerdem verdient Asante mit seiner alten Futtermühle etwas Geld, die dank seiner guten Pflege noch immer tadellos läuft. Die Bäuerinnen und Bauern der Gegend lassen bei ihm ihren Mais und anderes Getreide mahlen, aber Hühnerfutter braucht hier niemand mehr. „Als das mit den billigen Geflügelteilen anfing, hatte ich keine Chance mehr“, sagt Asante. Seine 15 Arbeiterinnen und Arbeiter musste er alle entlassen.
Warum Europa die ghanaischen Bäuerinnen und Bauern erst unterstützte und dann in den Ruin trieb, ist ihm ein Rätsel. Asante geht nicht davon aus, dass er das auf seine alten Tage noch verstehen wird.
Bettina Rühl ist freiberufliche Journalistin mit dem Schwerpunkt Afrika und arbeitet für mehrere Zeitungen sowie den Hörfunk der ARD. Sie lebt in Nairobi.
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