BURMA

Stadt des Flüsterns
Von Redaktion · · 2008/07

60 Jahre nach der Erlangung der Unabhängigkeit gleicht Burma einer Kolonie seiner Militärmachthaber. New Internationalist Redakteur Dinyar Godrej besucht die frühere Hauptstadt Rangun, um einen Eindruck von der Stimmung im Land zu gewinnen.

Ich befinde mich in einem Geisterflugzeug. Abgesehen vom Lärm der Triebwerke herrscht eine unangenehme Stille. Keine lärmenden UrlauberInnen. Ab und zu ein geflüsterter Wortwechsel, sonst nichts. Ein älterer Burmese plagt sich mit seinem Einreiseformular. Immer wieder wendet er es hin und her, die Hälfte der Fragen ist unbeantwortet. Neben mir reckt ein nervöser junger Mann seinen Hals, um aus dem Fenster zu sehen. Schließlich fängt er mit mir zu plaudern an, sagt, er käme von London zurück, wo er Verwandte besucht hätte. Brennend gerne würde ich wissen, wie er sich fühlt, aber ich verbeiße mir die Frage. Ich bin von der Selbstzensur infiziert, die alle Gespräche mit AusländerInnen in Burma prägt. "Du weißt nie, wer dein Freund ist und wer dein Feind", sagt mir ein Einheimischer später.
Beim Landen trennt sich eine Ausländerin von ihrem halb gelesenen Newsweek-Magazin. Die Liste der Dinge, die man nicht nach Burma mitnehmen darf, ist lang. Ich habe mein Gepäck gesäubert und alle meine Kontaktadressen in einer E-Mail an mich selbst versteckt. Die zwei Frauen bei der Grenzkontrolle machen handschriftliche Notizen (Computer ist keiner zu sehen) und winken mich durch. Seit der gewaltsamen Niederschlagung der Straßenproteste im September 2007 sind TouristInnen Mangelware. Ihre Zahl war schon wegen der langjährigen Boykottkampagne von Aung San Suu Kyi gesunken, der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten, berühmtesten Gefangenen des Landes.

Die Menschen in Burma leben seit 1962 unter einer Militärdiktatur. Die Wirtschaft wird von Mischkonzernen der Militärs und von Unternehmen beherrscht, die Steuern und Abgaben entrichten; was auch immer man hier erwirbt, hilft daher dem Regime. Gut möglich, dass die Straßen in beliebten Urlaubsdestinationen und die Golfplätze der Reichen von ZwangsarbeiterInnen gebaut wurden. Was man für den Besuch von Pagoden und die Benutzung von Fähren bezahlt, fließt direkt ins Budget. Man kann dieses Land nicht besuchen, ohne auf irgend eine Weise das Regime zu stützen. Große Landesteile sind für TouristInnen gesperrt, Gebiete, wo Vergewaltigungen, Morde und Plünderungen ganze Bevölkerungsgruppen in die Flucht getrieben haben. Eine Reise nach Burma ließe sich nur rechtfertigen, so erklärten mir viele Exil-BurmesInnen, wenn die Solidarität, die man den Menschen erweisen könnte, den Schaden aufwiege, den man mit seinen Dollars anrichte.

Ich gehe die Mahabandoola-Straße hinauf Richtung Sule-Pagode. Hier befindet sich die große Kreuzung, an der sich im September 2007 Tausende versammelten, ermutigt durch den Protest der Mönche. Heute ist es ruhig hier. Mönche, mit denen ich später rede, erzählen mir, wie sie durch die Straßen der Stadt gejagt wurden, als die Militärs zuschlugen, wie sie von SympathisantInnen in die Wohnung gelassen wurden, die ihnen gewöhnliche Kleidung gaben und sie aus Rangun herausschmuggelten, indem sie sie beim Gehen in die Mitte nahmen. Sie erzählen mir von anderen Mönchen, die zusammengetrieben, nackt ausgezogen und verprügelt wurden, von Familien führender Persönlichkeiten, die verhaftet wurden, um auch an die heranzukommen, die untergetaucht waren.
Ursprünglich hatten die Proteste wirtschaftliche Ursachen, aber Wirtschaft und Politik sind in Burma dasselbe. Die wirtschaftspolitische Unfähigkeit der Militärregierung ist notorisch. Während der frühere Name der Regierung, "Staatsrat für die Wiederherstellung von Recht und Ordnung", in seiner englischen Abkürzung "SLORC" an das Gurgeln eines Abflusses erinnerte, nennt sie sich heute auf Anraten eines US-amerikanischen PR-Unternehmens "Staatsrat für Frieden und Entwicklung" (SPDC). Nach einer katastrophal verlaufenen, isolationistischen Periode des "burmesischen Wegs zum Sozialismus" liebäugelt das Regime nun mit dem autoritären Kapitalismus Chinas. Da es in Burma jedoch sowohl an der Infrastruktur als auch am unternehmerischen Geist des Nachbarlandes mangelt, läuft das auf einen Ausverkauf des Staatseigentums hinaus, der die führenden Militärs in Superreiche verwandelt. Transparency International hält Burma gemeinsam mit Somalia für das korrupteste Land der Welt. An der Spitze steht General Than Shwe. Allein die Hochzeit seiner Tochter 2006 soll 50 Mio. US-Dollar gekostet haben. Gleichzeitig sind schätzungsweise fünf Millionen Menschen chronisch unterernährt, und das in einem Land, das früher als Reiskammer Asiens bekannt war. Rund die Hälfte der Kinder gehen nicht mehr zur Schule; das Gesundheitssystem gehört zu den schlechtesten der Welt.

Burmas Generäle neigen dazu, die Wirtschaft mit drastischen Maßnahmen durcheinander zu bringen. Neue Steuern werden über Nacht eingeführt, die Inflation ist außer Kontrolle. Dreimal bereits wurde eine neue Währung eingeführt, was jedes Mal die Ersparnisse vieler Menschen mit einem Schlag entwertete. Offiziell ist ein Dollar 6,5 burmesische Kyat wert, doch auf jedem Markt bekommt man locker 1.200. Im August 2007 wurde der Dieselpreis verdoppelt, der Gaspreis sogar verfünffacht – dabei verfügt das Land über enorme Gasvorkommen, um die sich ausländische Konzerne geradezu reißen. Während die Bevölkerung von der informellen Wirtschaft lebt, legen die Generäle ihr Vermögen mangels Zugang zu westlichen Banken in Singapur und Malaysia an.
Bereits 1988 hatte eine Wirtschaftskrise eine Revolte ausgelöst, deren Niederschlagung 3.000 Menschen das Leben kostete. Im August 2007 begannen die "88 Generation Students", eine Vereinigung ehemaliger StudentInnen, die damals den Aufstand anführten, mit Protestaktionen in Rangun. Es dauerte nicht lange, bis sie verhaftet oder in den Untergrund getrieben waren. Währenddessen organisierten Mönche in Pankokku in Zentralburma aus Sympathie mit der Bevölkerung friedliche Protestaktionen. Ein Mönch kam dabei ums Leben. Die Proteste breiteten sich auf viele Teile Burmas aus; die größten, die in Rangun, waren weltweit im Fernsehen zu sehen. In der Folge machte sich die Bewegung zwei politische Forderungen zu eigen: die Freilassung aller politischen Gefangenen, einschließlich Aung San Suu Kyis, und ein echter Dialog der Militärs mit der Opposition und den Führern der ethnischen Minderheiten des Landes, die unter langjährigen Bürgerkriegen zu leiden hatten. Das Regime antwortete mit Waffengewalt.

Auf der Mahabandoola-Straße fällt mein Blick auf den hoch aufragenden Zacken des Unabhängigkeitsdenkmals. 2008 jährt sich diese Unabhängigkeit zum 60. Mal. Aber das ist bloß ein Wort, meint Lin Htet Naing von der verbotenen All Burma Federation of Student Unions: "Während der Kolonialzeit waren die Burmesen Sklaven der Briten. Heute werden wir von der Militärjunta versklavt." Tatsächlich ging der Jahrestag im Jänner ohne Massenveranstaltungen vorüber, und das Denkmal wirkt verlassen – ganz im Gegensatz zur Sule-Pagode, wo ein dichtes Gedränge herrscht. Religiöse Gefühle sind das einzige, was die BurmesInnen heute noch öffentlich ausdrücken können.
Ein junger Mönch kommt zielstrebig auf mich zu, gesellt sich zu mir und beginnt zu reden, als ob er ein alter Freund wäre. Es ist klar, dass er mich ausgesucht hat, weil ich Ausländer bin. Er zeigt mir das Internetcafé, das er gerne frequentiert. Später, als ich es selbst besuche, wimmelt es von jungen Menschen. Selbst das ständig patrouillierende Personal und das Wissen, dass das Regime nun auf halbstündige Screenshots besteht, um in Erfahrung zu bringen, was seine BürgerInnen im Schilde führen, scheint sie nicht abzuschrecken. Von Plätzen wie diesem gelangten Bilder von den Protesten binnen weniger Stunden in alle Welt.
Vorsichtig führt mich der Mönch zu einer Pagode etwas ab vom Schuss, in der sich nur eine Großmutter mit ihren Enkeln aufhält. Hier, vor einem goldenen Buddha, flüstert er mir plötzlich kaum hörbar zu: "Diese Regierung taugt nichts." Überrascht nicke ich nur und lasse ihn weiterreden. "Die Menschen haben nichts. Sie leiden wirklich." Damit meint er auch seine Eltern, die in absoluter Armut weit entfernt in einem an Indien grenzenden Landesteil leben. Vielleicht wurde er deshalb mit sechs Jahren zum Novizen.
Heute, nach der Niederschlagung der Proteste, sind viele Klöster leer, Mönche wurden in ihre Dörfer zurückgeschickt oder von Sympathisanten der Regierung infiltriert. Die Mönche verfügen über das beste Netzwerk im Land und genießen aufgrund ihrer Verehrung durch die Bevölkerung auch die größte Bewegungsfreiheit. Aber sie fühlen sich bedroht, obwohl alles, was sie taten, "zum Nutzen sowohl der diesseitigen als auch der jenseitigen Welt" gedacht war. Mein freundlicher Mönch verbringt seine Abende nun mit Lernen; seine Tage, nach der Almosensammlung, mit Spaziergängen durch die Stadt, wo er seine Internet-Kenntnisse erweitert und bei Teeständen Filme ansieht, um der Realität zu entkommen.

Am folgenden Tag kommt es wieder zu einer Begegnung. Ein magerer junger Mann gibt vor, mir Sehenswürdigkeiten zu zeigen, während er flüsternd Gift und Galle gegen das Regime versprüht. "Sie haben die Universität aus der Stadt verlegt und die Mönche weit weg geschickt … Sie wollen nicht, dass sie mit der Bevölkerung Kontakt haben und sie mit Ideen infizieren. (…) Die Menschen schlagen sich nur mit Mühe durch. Wissen Sie, dass ein Regierungsbeamter am Anfang bloß 20.000 Kyat (umgerechnet 17 Dollar; Anm. d. Red.) monatlich verdient? In einem Privatunternehmen ist es doppelt so viel. Niemand meldet sich zur Armee, sie gehen einfach her und holen sich Landstreicher von den Straßen. Auch Kinder."
Er zitterte, als er mir das sagte, mit Schweißperlen auf der Stirn. Er riskiert viel; die burmesische Gesellschaft ist voller Spione von der Union Solidarity and Development Association, einer angeblich unabhängigen Organisation, deren Mitglieder als Augen und Ohren der Militärs dienen. Eine ihr nahestehende Gruppe verantwortete den beinahe tödlichen Anschlag auf den Konvoi von Aung San Suu Kyi, als sie einmal nicht unter Hausarrest stand. "1988 marschierte ich mit einem eingerahmten Bild unseres Unabhängigkeitshelden (und Vaters von Suu Kyi; Anm. d.Red.) Aung San durch die Straßen. Diesmal konnte ich nicht. Ich habe kleine Kinder."

Es ist ein merkwürdiges Gefühl, nach solchen Begegnungen, die sowohl für meine Ohren als auch meinen Geist höchst anstrengend sind, wieder in die "normale" Welt rund um mich zurückzukehren. Bei meiner Ankunft war ich überrascht, wie wenig Polizei ich auf der Straße sah. Jetzt weiß ich: die Polizei ist in den Köpfen der Menschen. Alles geht in Rangun etwas zu ordentlich zu – oder zu "diszipliniert", um einen bevorzugten Ausdruck des SPDC zu verwenden.
Diese Disziplin beruht auf Kontrolle. Nach den Septemberprotesten wurden die Gebühren für Satellitenfernsehen von umgerechnet fünf auf 800 US-Dollar erhöht, um den Zugang zu ausländischen Nachrichten zu reduzieren. Mobiltelefone, die Waffen der AktivistInnen im Untergrund, kosten 2.000 Dollar. Sie werden oft an Regierungsbeamte vergeben, die sie gegen Geld weiter verkaufen. Das Regime sieht sich von Lügen umgeben: Ausländische Kurzwellensender verbreiten "ein Lügenmeer", DissidentInnen lügen, um die "Stabilität und Sicherheit" des Landes zu beeinträchtigen.
Auf dem Anawrahta-Nachtmarkt rempeln die Menschen in der Dunkelheit beim Einkaufen einander – der Strom ist eben wieder ausgefallen. Pro Marktstand gibt es bloß eine Kerze, die einen kleinen, blassen Lichtkreis auf die Waren wirft. Chinesische und thailändische Unternehmen haben mit der Regierung eine Absichtserklärung unterzeichnet, um weit weg von hier, am Salween-Fluss, Megastaudämme zu errichten. Viele Dörfer werden von der Landkarte verschwinden müssen. Aber der Strom ist für das Ausland bestimmt, nicht für Burmas Dörfer, wo es noch keinen Strom gibt, und nicht für seine Städte mit ihren Energieversorgungsproblemen.

Das Regime hält sich nur mit Mühe aufrecht. In einer Art Kannibalismus wendet es sich gegen frühere Führer, sobald sie keinen Einfluss mehr haben. Seine Mitglieder werden von Aberglauben geleitet. General Than Shwe ließ sich von Astrologen überzeugen, die Hauptstadt von Rangun in den Urwald von Zentralburma zu verlegen, zu fast obszönen Kosten. Seinem Vorgänger riet ein Astrologe, wie Aung San Suu Kyi Frauenkleider und Blumen im Haar zu tragen, um sich einen Teil ihrer Macht anzueignen.
Burmas Jugend ist bereit für eine Veränderung, und sie war führend an den Demonstrationen beteiligt. Das Banner des Protestes wurde also bereits an die nächste Generation übergeben. Im Bereich der traditionellen Politik bleibt die National League for Democracy die wichtigste Oppositionskraft, obwohl sie durch das Ausmaß der Verfolgung fast zur Tatenlosigkeit verurteilt ist. Es gibt Kritik an den "Onkeln" ihres Leitungsgremiums, die sich angeblich gegen neue Ideen wehren. Aber politische Räume eröffnen sich anderswo, besonders durch den Aktivismus der "88 Generation Students".
Der SPDC wird versuchen, alle seine Gegner unter Kontrolle zu halten; sein Hauptinteresse ist, weiter an der Macht zu bleiben. Nichts anderes ist zu erwarten, kommentiert Ludu Sein Win, ein altgedienter Journalist aus Rangun: "In der ganzen Geschichte der Welt hat es keinen Diktator gegeben, der freiwillig auf die Macht verzichtet hat, wenn er einmal fest im Sattel saß. Und es gibt keine Länder, die ihre Freiheit mit Hilfe der Vereinten Nationen erlangt haben." Mit anderen Worten: die Menschen in Burma sind auf sich selbst angewiesen, mit allen Opfern, die das bedeutet. Aber der Rest der Welt könnte weit mehr tun als derzeit, mehr als bloß ohne großen Nachdruck zu versuchen, einen Dialog mit dem Regime anzubahnen.

Während ich im glänzenden Marmorpalast des Ranguner Flughafens warte, betrachte ich die Reihe von Frauen, die mit langen Bambusbürsten sanft über den Boden fahren, ein endloses und sinnloses Polieren. Von draußen dringt der stetige Lärm startender und landender Kampfflugzeuge herein. Die Passagiere, die auf den Abflug warten, flüstern nicht einmal miteinander. Es herrscht Stille.

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