In Kenia verbindet eine altersschwache Eisenbahn den Ozeanhafen Mombasa mit der Hauptstadt Nairobi und den ostafrikanischen Nachbarländern. Um die Bahn gegenüber dem LKW-Transport auf der überlasteten Fernstraße konkurrenzfähig zu machen, hat die Regierung die Privatisierung beschlossen. Doch kaum auf den Weg gebracht, gerät sie ins Stocken.
Mike Molwa legt den Telefonhörer beiseite und greift nach dem Lappen. Zum dritten Mal an diesem Morgen wischt er über die Tafel und korrigiert eine Ankunftszeit. Dabei ist es erst kurz vor acht. Er hat vier Pendlerzüge abgefertigt und wartet nun auf den Port Florence Express. „Der Zug hat fast zwei Stunden Verspätung. Es gibt Probleme auf der Strecke“, erklärt der Angestellte am Bahnhof Nairobi.
Jeden zweiten Tag fährt der Zug mit dem Namen, der an die Gründertage der kenianischen Eisenbahn erinnert, die 300 Kilometer lange Strecke von Kisumu am Viktoriasee nahe der ugandischen Grenze bis zur kenianischen Hauptstadt. Normalerweise braucht er dafür 14 Stunden – heute wird es zwei Stunden länger dauern. Das ist eine Durchschnittsgeschwindigkeit von nicht einmal 21 Kilometern pro Stunde.
Wer weiter in die Hafenstadt Mombasa reisen möchte, vertreibt sich den Tag im schattigen Bahnhof, der mit seinen sauber gefegten Bahnsteigen, den geschwungenen Holzbänken und altertümlichen Hinweistafeln wie eine koloniale Filmkulisse anmutet. Abends geht die Fahrt weiter, und am nächsten Morgen erreichen die Reisenden die 600 Kilometer entfernt liegende Küstenstadt.
Wie die Passagierzüge rollt auch jeder Güterzug, der Waren von den Schiffen in Mombasa ins Inland oder in die Nachbarländer transportiert, über Nairobi. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von unter 40 Stundenkilometern.
Nicht einmal 2.000 Kilometer umfasst das kenianische Eisenbahnnetz und ist in einem desolaten Zustand. Dem Staatsbetrieb fehlt das Geld, sodass die Strecken lediglich notdürftig instand gehalten und Loks und Wagons nicht modernisiert werden können. „Wir kämpfen ums Überleben“, bestätigt der Hauptgeschäftsführer der Kenianischen Eisenbahn, Vitalis Ong’ong’o. „Von den 5.000 Wagons ist nur jeder zweite einsetzbar, bei den 120 Lokomotiven sind es noch weniger.“ Die Schulden belaufen sich nach Ong’ong’os Angaben auf 20 Milliarden Kenianische Schilling (etwa 230 Millionen Euro).
Die Auswirkungen spüren auch die Nachbarländer: Nahezu der gesamte Interkontinentalhandel von Uganda, Ruanda, Burundi und Ostkongo erfolgt über den Hafen in Mombasa. Damit führt deren wichtigste Transitstrecke durch Kenia. Ugandische Geschäftsleute klagen über die hohen Transportkosten auf der Schiene: Der schlechte Zustand der Strecke – insbesondere zwischen kenianischer Grenze und Ugandas Hauptstadt Kampala – treibe die Kosten für den Im- und Export in die Höhe. Während vor sieben Jahren noch knapp die Hälfte aller Importgüter auf der Schiene nach Uganda rollte, sind es heute nur mehr zehn Prozent. Der Löwenanteil wird auf LKWs über die unfallträchtige und überlastete Fernstraße von Mombasa durch das Nadelöhr Nairobi transportiert – bei nur einem Drittel der Fahrzeit der Eisenbahn.
Um den Untergang dieses international wichtigen Transportsystems zu verhindern, haben sich die kenianische und die ugandische Regierung für die gemeinsame Privatisierung der Staatsbetriebe entschieden. Die Weltbank-Tochter Internationale Finanzkorporation (IFC) unterstützte die Vorbereitungen und Durchführung der Ausschreibung finanziell und beratend.
Im vergangenen November wurde die Rift Valley Railways, Tochter der südafrikanischen Sheltam Trade Close Corporation, als Gewinnerin der Ausschreibung verkündet. Sie soll in den nächsten 25 Jahren das kenianische und ugandische Eisenbahnnetz betreiben. Die Passagierbeförderung, die ohnehin nur in Kenia möglich ist, wird auf sieben Jahre gesichert. In den beiden Staaten erwartet man, dass das Konsortium 280 Millionen US-Dollar investiert, um die bestehende Infrastruktur auszubessern und neue Loks und Wagons zu kaufen.
Doch kaum auf den Weg gebracht, gerät der Zug ins Stocken. Während das Gesetz zur Privatisierung vom kenianischen Staatspräsident Mwai Kibaki im Dezember unterzeichnet wurde, verzögert sich die Unterzeichnung des Vertrages mit dem südafrikanischen Partnerunternehmen. Der Oberste Gerichtshof in Nairobi hat die Notbremse gezogen: Die ursprünglich für April geplante Übergabe könne erst stattfinden, wenn die Prozesswelle von Bahnangestellten und Pensionären gegen die Eisenbahngesellschaften durch außergerichtliche Einigungen gestoppt sei. Diese fürchten, entlassen zu werden – angeblich plant das Konsortium, nur jeden dritten der ehemals 9.500 Angestellten weiter zu beschäftigen – und dann mit leeren Händen dazustehen.
Derweil haben die Pläne des deutschen Gleisbauers Klaus Thormählen frischen Wind in die Debatte um die Zukunft der kenianischen Eisenbahn gebracht. Dessen Firma Thormählen Schweißtechnik hat im Frühjahr 2005 mit Vertretern der südsudanesischen Befreiungsbewegung SPLM einen Vorvertrag über den Bau einer 4.100 Kilometer langen Eisenbahnstrecke durch den Südsudan unterzeichnet. Innerhalb der nächsten fünf Jahre – bis zum Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudans vom Norden im Jahr 2011 – soll die Hauptstadt Juba an das bestehende Eisenbahnnetz in Norduganda angeschlossen und dieses bis Kapoeta im Osten Sudans nahe der kenianischen Grenze ausgebaut werden.
Costello Garang-Ring, SPLM-Beauftragter für Außenbeziehungen, hat diesen Milliarden-Deal eingefädelt. Nach dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg soll der Süden nach seinem Bekunden eine eigene Verkehrsinfrastruktur aufbauen, die ihn unabhängig vom Norden macht. Vorgesehen war, dass die neue Eisenbahn das im Südsudan geförderte Erdöl über Kenia zum Indischen Ozean in Mombasa transportiert. Dafür nennt Garang-Ring zwei Optionen: den Bau einer neuen Strecke oder den Anschluss an das bestehende Netz in Rongai, nördlich von Nairobi.
Die Kritik, dass mit diesem Projekt die Teilung des Sudans vorzeitig zementiert werde, weist Garang-Ring scharf zurück. Der Südsudan werde die Wirtschaftsverbindungen zu den südlichen Nachbarländern suchen: „Unsere Wurzeln sind in Schwarzafrika – und da wollen wir hin.“
Viele kenianische Regierungsvertreter sind begeistert von der Idee, eine Eisenbahnstrecke zwischen Kenia und dem Sudan zu bauen. „Nach dem Friedensschluss herrscht im Südsudan ein hoher Bedarf an Produkten, die in Kenia produziert werden“, bestätigt David Nalo, Staatssekretär im Ministerium für Handel und Industrie. „Eine Eisenbahnverbindung bietet kenianischen Investoren, die sich im Südsudan engagieren wollen, großartige Möglichkeiten.“ Doch während die Finanzierung im Südsudan durch die Öleinnahmen gesichert zu sein scheint, ist sie in Kenia vollkommen offen. Bis heute wurde nicht einmal die notwendige Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben.
Die Diskussion um den Neubau der sudanesischen Eisenbahn hat die Aufmerksamkeit noch einmal auf Sinn und Zweck der Konzessionierung des kenianischen Netzes gerichtet. Gleisbauer Klaus Thormählen hat sich nicht um die Konzession beworben, weil er diese als „unhaltbar“ einschätzt. „Es ist nicht vertretbar, noch mehr Geld in dieses veraltete System zu pumpen“, erklärt er, „es geht um eine Investition in die Zukunft.“ Er verweist auf die veraltete Schmalspur, auf der keine höheren Geschwindigkeiten zu fahren sind und die nur wenig Gewicht tragen kann. Außerdem seien Wagons und Lokomotiven für die Schmalspur teurer als das Material für die moderne Standardspur.
Nach Bekanntgabe des Ausschreibungsgewinners hat der ehemalige Planungsminister Anyang’ Nyong’o gegenüber der kenianischen Tageszeitung The Nation seine Vorbehalte deutlich ausgedrückt: „Die Privatisierung der kenianischen Eisenbahn ist sehr schwierig und ich glaube nicht, dass das südafrikanische Unternehmen in der Lage sein wird, sie zu einem erstklassigen Eisenbahnsystem zu machen. Wir wollen jedoch kein Unternehmen, das das alte Material lediglich recycelt und den globalen Standards nicht gerecht wird.“
Dennoch – bei der Weltbank-Tochter IFC gibt man sich optimistisch, dass die Privatisierung wie vorgesehen abgewickelt wird. Das Neubau-Projekt der Thormählen-Gruppe hält man hingegen für unrealistisch: Wie sollte sich ein Investor für diesen Milliarden-Plan finden?
Momentan sieht es danach aus, dass Mike Molwa noch lange am Bahnhof von Nairobi die Verspätungen der Züge durchsagen kann – ohne um seinen Arbeitsplatz zu fürchten.
Michaela Ludwig ist freie Journalistin und lebt in Hamburg. Sie reiste mit Unterstützung des deutschen Evangelischen Entwicklungsdienstes (eed) im Herbst 2005 in den Südsudan und nach Kenia, um über den (Wieder-) Aufbau des Südsudans zu recherchieren.