Lange galt es als ausgemacht: Deutschland ist Übersetzungsweltmeister, nirgendwo auf der Welt bestimmen mehr Übersetzungen den Markt für Belletristik. Knapp 50 Prozent aller literarischen Titel sind Übersetzungen. Frankreich mit 41 Prozent Übersetzungen von Romanen zeigt ein ähnliches Bild. In den USA sind weniger als drei Prozent belletristischer Titel Übersetzungen, ein allenthalben beklagter Zustand.
Fast zwei Drittel der Übersetzungen kommen aus dem Englischen. Doch diese Sprache ist auch in Indien, Südafrika, der Karibik und Afrika zu Hause, auch wenn die AutorInnen mittlerweile in Europa oder Nordamerika leben. Daneben finden Übersetzungen aus dem Spanischen (zumeist lateinamerikanischer AutorInnen), aus dem Arabischen, dem Türkischen, Chinesischen und skandinavischen Sprachen mehr und mehr LeserInnen. Gerade ÜbersetzerInnen aus dem Chinesischen haben derzeit viel zu tun. China, Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2009, hat starkes Interesse bei Verlagen ausgelöst. Es gibt jetzt wesentlich mehr chinesische Romane, Erzählungen und Gedichte auf Deutsch als in den letzten Jahren und bei anderen Ehrengast-Ländern. Man könnte sich fragen: Hat der chinesische Übersetzungsboom nur damit zu tun, dass die chinesische Regierung Übersetzungsförderung gewährt? Oder liegt es daran, dass aus China Entdeckenswertes kommt?
Auch Argentinien, Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2010, hat ein Programm zur Förderung von Übersetzungen argentinischer Literatur aufgelegt. Die in den letzten Jahren beträchtliche Zahl übersetzter Titel aus Argentinien zeigt indes, dass Zuschüsse wohl nicht entscheidendes Kriterium sind.
Die Selbstverständlichkeit, mit der sich „normale“, weltoffene, vorurteilsfreie LeserInnen die neue Weltliteratur aneignen können, ist freilich letzthin ins Wanken geraten. Deutsche Verlage verkünden, Übersetzungen kämen zu teuer, weil die betroffene Berufsgruppe einen angemessenen Anteil am Erfolg verlangt. Nur wenige können indes vom Übersetzen leben, weil Honorare immer noch sehr niedrig sind. Juristische Auseinandersetzungen lähmen seither, so wird behauptet, die Neugier von LektorInnen, die nach wie vor die Verlagsprogramme bestimmen, auch wenn sie oft von den Verlagsleitungen und den Vertriebsleuten gebremst werden.
Die allgemeine Absatzkrise im Buchhandel legt nahe, dass Verlage Kosten senken wollen; Übersetzungen sind eben auch Kosten. Also schlechtere Zeiten für Literatur aus anderen Ländern? Eher ist das Gegenteil der Fall: Schaut man in das im deutschsprachigen Raum einzigartige Verzeichnis lieferbarer Übersetzungen aus Afrika, Asien und Lateinamerika (QUELLEN online auf www.litprom.de), so lassen sich für 2009 mehr als 100 literarische Entdeckungen machen – und nicht nur bei kleineren, engagierten Verlagen, sondern auch bei größeren Häusern. Dieser Trend hält seit einigen Jahren an, auch Verlage, die über die „Begehrlichkeiten“ der ÜbersetzerInnen klagen, veröffentlichen weiterhin – Übersetzungen.
Dabei nutzen viele Verlage eifrig die Möglichkeiten, Übersetzungen wenigstens zum Teil finanziert zu bekommen; Frankreich, skandinavische Länder und die Niederlande haben zum Beispiel derartige Förderprogramme. Da sich Übersetzungen von Romanen, Erzählungen und Gedichten aus fernen Landen für große und kleine Verlage nicht immer gleich „rechnen“, ist die Zahl von Förder-Anträgen bei der „Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika“ deutlich gestiegen. Da wird mit Mitteln des deutschen Auswärtigen Amtes und der Schweizer Kulturstiftung PRO HELVETIA „Literaturpolitik“ betrieben, werden literarisch interessante Übersetzungsprojekte kleinerer und großer Verlage für Bücher aus Afrika, Asien und Lateinamerika überhaupt erst möglich gemacht. Österreichische Verlage wie Residenz, Otto Müller oder haymon, die interessante Übersetzungen publizieren, werden in dem Programm nicht bedacht, weil die österreichische Regierung andere Verlagsförderungsmodelle für besser hält. Die Nachfrage stieg gerade 2008 und 2009. Bestseller werden da nicht unbedingt erzeugt, aber die Neugier weltoffener LeserInnen bekommt „Futter“.
Seit Jahren zeigt sich auch, dass die berüchtigt hohen Vorschüsse von US-amerikanischen Verlagen dazu führen, dass diese erfolgversprechende AutorInnen auch in anderen Weltgegenden suchen, wo für Übersetzungsrechte noch nicht so viel gezahlt werden muss. Bis weit in die 1990er Jahre galt, dass vornehmlich engagierte Vermittler, oft selbst ÜbersetzerInnen, Verlage auf nicht-englische Romane und Erzählungen aufmerksam machten; die kommerziellen Agenturen spielten fast nur für die in Englisch oder Spanisch schreibenden AutorInnen eine Rolle, so dass diese AutorInnen den „Markt“ dominierten. Bis vor wenigen Jahren wandten sich Agenturen kaum „kleineren“ Literaturen zu. Das hat sich stark geändert, es gibt mittlerweile Agenturen auch für arabische oder türkische Literatur oder für Literatur indischer Regionalsprachen.
Englisch ist indes nicht nur die Sprache, in der Verträge für Übersetzungsrechte abgeschlossen werden, sondern auch weiterhin dominante literarische Weltsprache. So verdanken einige „Überraschungs“- und ErfolgsautorInnen wie Mohsin Hamid (Der Fundamentalist, der keiner sein wollte) und Mohamed Hanif (Eine Kiste explodierender Mangos) ihren Erfolg sicher ihrer literarischen Qualität und erzählerischen Opulenz. Doch spielte wohl auch mit, dass beide in Englisch veröffentlichten. Beide stammen aus dem politisch diskutierten, doch literarisch eher unbekannten Pakistan, so dass die Neugier der LeserInnen wohl auch ein wenig dem Exotischen gilt, weniger dem Literarischen.
Tatsache ist, dass für „Exoten“ heftig geworben werden muss, will der Verlag Auflagen erzielen, bei denen es keine Verluste gibt. Kleinere Verlage – zumal Neugründungen – sind wagemutiger als große Häuser, aber sie tun sich schwer mit wirksamen Marketing-Strategien. Kennzeichnend ist, dass auch große Verlage Risiko und Neugier zeigen müssen, dass aber der „Markt“ eher durch mittlere und kleine Verlage in Bewegung gebracht wird. Noch ist zum Beispiel nicht absehbar, ob neue Häuser wie die Edition Hamouda (Leipzig) oder der Alawi-Verlag (Köln), der sich arabischer Frauenliteratur verschrieben hat, die Szene um die verdienstvollen Verlage für arabische AutorInnen wie Lenos und Unionsverlag erheblich verändern werden. Und wenn kaum ein Verlagslektor karibische AutorInnen (Ausnahme: „edition 8“) für „marktträchtig“ ansieht, so ist es erfreulich, dass sich der neue Verlag „litradukt“ wichtiger Texte besonders aus Haiti annimmt.
Gerade für diese engagierten Verlage ist es hilfreich, dass die „Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika“ (www.litprom.de) mit der PR-Aktion „Weltempfänger“ (siehe SWM 3/2009) auf entdeckenswerte Übersetzungen aufmerksam macht und dabei wichtige Medienpartner gewonnen hat. Vielversprechend ist auch, dass das (Berliner) Haus der Kulturen der Welt dank einem großzügigen Mäzen im Herbst erstmals einen Internationalen Literaturpreis ausschließlich an übersetzte Literatur vergeben wird.
Für AutorInnen ist die Übersetzung in eine der europäischen Sprachen oft ein erheblicher Segen: Gerade wer (noch) nicht zu den global writers gehört, hat mehr Einkünfte aus Übersetzungen als aus der Publikation im Original. Der ägyptische Autor Alaa al-Aswani erlöste allein mit Übersetzungen seines Romans Der Jabukijân-Bau ins Deutsche, Französische, Spanische und Englische ein Mehrfaches von dem, was er in der arabischen Welt erzielt hat, obwohl der Roman dort ein Bestseller war.
Trotz aller Schwierigkeiten ist positiv anzumerken, dass Literatur aus Kulturen jenseits Europas mehr und mehr Chancen auf dem globalen Büchermarkt hat. Der bestplatzierte Bestsellerautor weltweit des Jahres 2008 war zum Beispiel der Afghane Khaled Hosseini mit Der Drachenläufer. Allerdings lebt der Autor als Arzt in den USA und schreibt – auf Englisch.