Börte Sagaster (Hg.): Liebe, Lügen und Gespenster

Von Wiebke Dibbern · · 2007/03

Erzählungen. Originalausgabe mit verschiedenen ÜbersetzerInnen. Unionsverlag, Zürich 2006, 287 Seiten, EUR 19,90

Seit dem Herbst des vergangenen Jahres bringt der Unionsverlag die „Türkische Bibliothek“ heraus, die es sich zum Ziel gesetzt hat, „Meilensteine der türkischen Literatur von 1900 bis in die unmittelbare Gegenwart“ zu präsentieren. Dabei werden vor allem jene AutorInnen berücksichtigt, die trotz ihrer Bedeutung im deutschen Sprachraum bislang noch ungenügend zugänglich sind – und repräsentativ für ihr Genre vorgestellt werden können.
Der vorliegende Band „Liebe, Lügen und Gespenster“ erscheint als sechster der zwanzig geplanten Bände in dieser Reihe. Darin vereint sind 19 moderne Autorinnen und Autoren, deren Kurzgeschichten nur jene Gemeinsamkeit besitzen, dass sie nach 1980 – also nach dem Militärputsch – verfasst wurden.
Inhaltlich bietet sich den Lesenden ein Blick auf die Türkei, der mit einem Blick durch ein Kaleidoskop verglichen werden kann: faszinierend bunt, auf eine verblüffende Weise schön, gleichzeitig aber auch verwirrend. Die Verwirrung beginnt schon in der allerersten Erzählung, in der wir mit dem organisierten Voyeurismus in der fiktiven Kleinstadt Oetegeçe bekannt gemacht und dabei mit dem Liebesleben einer ausdauernden Witwe konfrontiert werden. In immer kürzer werdenden Abständen ersetzt sie ihre Ehemänner durch neue und feiert ausgiebig die Hochzeitsnächte. Eine andere Autorin beschreibt aus der Sicht eines kleinen Mädchens eine Traumwelt, in der sie mit ihren Freundinnen und TIR – einem beseelten Lastwagen – gen Süden zu einem Meer aus Milch unterwegs ist. Ebenfalls in einer anderen Welt findet sich die Protagonistin der Erzählung „Die Landkarte“ wieder, als sie anhand einer so genannten „persönlich interpretierten Allgemeinen Männerkarte“ den Weg zu ihrem Liebsten zu finden sucht und sich dabei hoffnungslos verirrt. Doch es kommt noch besser: Der Autor Gürsel Korat schickt uns zusammen mit der unsterblichen Aphrodite ins Jahr 2999, und als Persiflage auf eine Romanidee Yasar Kemals lernen wir Astra, die kleine grüne Frau kennen, die mit einem Ufo in der C¸ukurova landet und sich dort in einen anatolischen Bauern verliebt.
Zum Schluss sei noch angefügt, dass der Titel – wie alle Bände der „Türkischen Bibliothek“ – Autorenbiographien und Erklärungen der originalsprachlich verwendeten Wörter sowie eine kurze Erläuterung zur Aussprache des Türkischen enthält. Eine wahre Fundgrube also für all jene, die sich mit Haut und Haar einlassen wollen auf den Genuss dieses Originals.

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