Drei Monate dauerte die französischen Militärintervention im kongolesischen Bunia. Sie sollte dem ethnischen Konflikt ein Ende bereiten und das Land befrieden.
Diese Vorhaben scheiterten.
Eine Analyse von Dominic Johnson.
Sie kamen, sahen und gingen wieder. Knapp drei Monate waren etwas über 1.000 französische Soldaten und eine symbolische Hand voll Truppen aus anderen Nationen in Bunia stationiert, Hauptstadt des blutbefleckten Distrikts Ituri im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo. Dort, wo Kongos Krieg seinen Tiefpunkt wechselseitiger ethnischer Verfolgung erreicht hat und wo heute das Misstrauen zwischen den Völkern der Hema und der Lendu abgrundtief ist, sollte die „Operation Artemis“ als einmaliges Modell eines EU-Einsatzes in die Welt hinausstrahlen.
Die Leiter des Einsatzes sind mit sich zufrieden, aber ihre Bilanz ist negativ. Folgende Zahlen sagen schlicht alles aus: Vor dem Beginn des Einsatzes lebten in Bunia 88.000 Menschen – ein knappes Drittel der Vorkriegsbevölkerung. Zu seinem Ende waren es gerade 25.000 mehr. Nur etwa jeder achte Vertriebene hat sich also aus dem Umland, wo blutrünstige Milizen herrschen und das Morden unvermindert weitergeht, zurück in die Stadt gewagt, wo die multinationale Einsatztruppe nach eigener Einschätzung Sicherheit wiederhergestellt hat. Und von diesen RückkehrerInnen hat sich die Hälfte nicht einmal nach Hause, sondern in ein Flüchtlingslager am Flughafen begeben.
Geduckte, elend dicht gedrängte Hütten aus Reisig mit blauen UN-Planen als Dächern stehen dort im Matsch in Sichtweite eines UN-Militärlagers uruguayischer Blauhelme aus geordneten, geräumigen weißen Armeezelten.
Während des Sommereinsatzes der Franzosen machte Bunias Krieg nur Urlaub. Die Gewaltbereitschaft der verfeindeten Milizen blieb intakt, die Waffen wanderten in Verstecke, und nachts wurde oftmals im Verborgenen abgerechnet. Kaum sind die Franzosen weg, hebt sich der Deckel des Hasses wieder. Nur drei Tage nach dem offiziellen Ende des multinationalen Einsatzes und der Übernahme Bunias durch eine neue, verstärkte UN-Mission wurde ein Hema mitten in der Stadt von drei Lendu gelyncht. Und während die letzten französischen Nachzügler die Stadt verließen, plünderten StadtbewohnerInnen vor den Augen von Blauhelmen einen Markt. Die UN-Soldaten – es sind jetzt Uruguayer sowie Soldaten aus Nepal, Pakistan und Bangladesch – griffen nicht ein. Erst als drei belgische Soldaten entschlossen auftraten und verbal drohten, verzogen sich die PlündererInnen, ohne dass ein einziger Schuss gefallen wäre.
Der Hema-Lendu-Konflikt hat komplexe Ursachen. Aber er hat eine einfache Form. Die bewaffneten Milizen jeder Volksgruppe wollen ein ethnisch reines Territorium, denn sie fühlen sich durch die bloße Anwesenheit von Mitgliedern der anderen Ethnie existenziell bedroht. In Bunia wird erzählt, wie drei Lendu-Frauen miteinander über ein geplantes Versöhnungstreffen mit einigen Hema berieten. Angstvoll fragte eine Frau ihre Nachbarin: „Und was machst du, wenn der Hema sich beim Reden in eine Schlange verwandelt?“ Die Nachbarin überlegte und antwortete schließlich nach langem Nachdenken: „Ich werde ganz normal weiterreden.“
Der französische Einsatz in Bunia hat das Kräfteverhältnis zwischen Hema- und Lendu-Kämpfern zugunsten der Lendu verändert. Bunia war zuvor die Hochburg der wichtigsten Hema-dominierten Gruppe, der „Union kongolesischer Patrioten“ (UPC). Die UPC musste die Stadt aufgeben, als Frankreich Bunia zur waffenfreien Zon erklärte. In den grünen Hügeln rings um die Stadt blieb die Macht der Lendu-Gruppen zugleich ungeschoren. Und die ethnische Säuberung schreitet voran. Immer größere Gebiete Ituris sind heute Hema-frei. Selbst neutrale BeobachterInnen erkennen heute einen „schleichenden Völkermord“ an den Hema, die lediglich 150.000 Menschen zählen. Manche verdächtigen die Franzosen gar, den Lendu-Milizen heimlich Waffen zu liefern. Denn die Hema-Kämpfer haben sich mit dem Todfeind Ruanda verbündet.
Im Kongo von heute, wo schätzungsweise drei Millionen Menschen an den Folgen von fünf Jahren Krieg und Staatszerfall gestorben sind, würde die Ermordung von 150.000 Menschen kaum noch ins Gewicht fallen. Aber die Auslöschung einer Volksgruppe wäre ein nicht wiedergutzumachender Makel des im Entstehen begriffenen „neuen Kongo“. Ein Friedensprozess, der Massengräber zu seinen Fundamenten erklärt, kann lediglich Grabesfrieden bringen. Mit UN-Soldaten als Friedhofswächtern.
Der Autor ist Afrika-Redakteur der Berliner Tageszeitung taz.