Seit die chinesische Regierung den Boom der populären Mikroblogs beendet hat, weichen kritische Stimmen auf einen Messenger-Dienst aus. Doch auch der wird inzwischen eingeschränkt.
"Ich hoffe, mein Verhalten ist eine Warnung für andere, nicht so dumme Sachen zu machen.“ Mit dieser inszenierten Erklärung reagierte der Pekinger Mikroblogger Qin Zhihui am 17. April auf seine Verurteilung zu drei Jahren Haft wegen „Verbreitung von Gerüchten“. Qin war im August 2013 verhaftet worden, als die Behörden eine Kampagne gegen die boomenden Mikroblogs starteten – offiziell zur Eindämmung von Gerüchten. Er soll im Mikroblogging-Dienst Weibo behauptet haben, der angeblich selbstlose frühere Soldat Lei Feng habe in Wohlstand gelebt. Die maoistische Propaganda hatte den 21-jährigen Lei nach seinem Unfalltod 1962 zum Helden stilisiert. Qins Verurteilung war die erste seit Beginn der Kampagne.
Weibo, was Mikroblog heißt, ist Chinas Version des seit 2009 gesperrten Twitter. Im Chinesischen entspricht die maximale Zeichenzahl 140 nicht nur Buchstaben wie in lateinischer Schrift, sondern 140 Schriftzeichen – und damit 140 Silben, wenn nicht gar Wörtern. So lässt sich ein ganzer Absatz mitteilen.
Wie Qin wurden inzwischen hunderte Mikroblogger festgenommen, darunter JournalistInnen, die korrupte Kader anprangerten oder UmweltschützerInnen, die gegen Giftfabriken protestierten. Das Oberste Gericht stellte drei Jahr Haft in Aussicht für jene, die per Weibo ein „Gerücht“ verbreiten, das 500 Mal geteilt oder 5.000 Mal gelesen wird.
Zur Abschreckung diente der Fall des reichen Unternehmers mit US-Pass, Charles Xu Biqun. Der 60-Jährige wurde als Sträfling in den Fernsehnachrichten vorgeführt und musste Sex mit einer Prostituierten sowie die Verbreitung von Gerüchten gestehen. Viele glauben an eine Falle. Offenbar hatte er mit seinen zwölf Millionen Followern bei Weibo den Argwohn der Kommunistischen Partei geweckt.
Größter Internetmarkt der Welt
Mitte 2014 gab es laut dem China Internet Information Center 632 Millionen InternetnutzerInnen in China. Das ist knapp die Hälfte der Bevölkerung und der weltgrößte Internetmarkt. 83 Prozent der NutzerInnen haben Zugang per Smartphone. Das erst seit 2011 existierende WeChat hat 396 Millionen NutzerInnen, 40 Millionen mehr als zum Jahreswechsel. Die Zahl bei Sina Weibo ging dagegen 2013 gegenüber dem Vorjahr um neun Prozent auf 281 Millionen zurück. In Hongkong, wo es Proteste jüngst in alle Medien schafften, ist Twitter übrigens nicht gesperrt. S.H.
„Das Vorgehen gegen Xu war ein Wendepunkt“, sagt der bekannte Blogger Michael Anti. „Seitdem habe ich Weibo nicht mehr genutzt. Wegen ihrer Mikroblogs sitzen inzwischen einige meiner Freunde im Gefängnis.“ Auf diesen bloggten JournalistInnen, was sie in ihren zensierten offiziellen Medien nicht schreiben konnten. So erfuhren ChinesenInnen von Skandalen, die sonst nicht oder nur verkürzt auftauchten.
Inzwischen schränken viele ihre Nutzung von Weibo ein. „Ich nutze stattdessen WeChat“, sagt der Journalist Li Xiaoming. Dort habe er 500 Freunde. WeChat, chinesisch Weixin („kleine Nachricht“), ist eine Messenger-App des chinesischen IT-Konzerns Tencent Holdings. Es ähnelt dem westlichen Whatsapp für kostenlose Kurznachrichten, zudem können die Nachrichten von Personen oder Organisationen abonniert werden. „Was Du bei Weibo nicht mehr verbreiten kannst, kannst Du bei WeChat noch immer mitteilen“, meint Li. Die Chatfunktion ist jedoch auf 40 Personen beschränkt. Öffentliche Accounts, die jeder abonnieren kann, dürfen nur ein Posting pro Tag verbreiten.
Und auch WeChat wird längst zensiert. Chinas Zensurapparat, vom Volksmund „Wahrheitsministerium“ genannt, hat hunderttausende MitarbeiterInnen. Die genaue Zahl ist nicht bekannt. Anti sieht eine Verschärfung unter Partei- und Staatschef Xi Jinping: „Die Regierung wartet nicht mehr, bis etwas passiert, sondern greift durch, bevor überhaupt etwas passieren kann.“
WeChat ermöglicht eine halbwegs geschützte Kommunikation im kleinen Kreis, eine politische Dynamik wie einst bei Weibo erwartet davon niemand. Trotzdem wurde Ende Mai eine Kampagne für ein „sauberes Internet“ gestartet. Diese zielt auf per WeChat verbreitete „Gerüchte“. Wurden im März die ersten 35 Accounts kritischer Intellektueller gelöscht, waren es im Juni schon mehr als 20 Millionen. Die Begründung lautete, sie wären für betrügerische oder pornografische Inhalte missbraucht worden.
Inzwischen dürfen nur noch zugelassene Medien „aktuelle politische Nachrichten“ über öffentliche Konten der Messaging-Dienste verbreiten. JournalistInnen wurde verboten, sich mit Themen außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches zu beschäftigen, „unautorisierte Nachrichten“ aus dem Ausland zu verbreiten oder dorthin zu übermitteln. Sie dürfen eigene Recherchen nicht mehr in eigenen (Mikro-)Blogs oder per WeChat verbreiten.
Diese Maßnahmen haben die durch Mikroblogs und Messaging-Dienste entstandenen Informationsfreiräume wieder verschlossen, zeigen jedoch auch, wie weit JournalistInnen, AktivistInnen und BürgerInnen schon aus dem staatlich kontrollierten Mediensystem ausgebrochen waren.
Sven Hansen ist Asien-Redakteur der taz in Berlin.
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