Oft muss ich mich um meine Familie in Beirut und Damaskus sorgen. Im Herbst riefen sie mich an.
Dieses Mal traf es Wien. Es war groß und beängstigend, auf den ersten Blick. Ich kannte die Straßen, den Eissalon an der Ecke. Dort ging der Täter während des Anschlags am 2. November 2020 um. Bitte lass es keinen Moslem, keinen Araber und keinen Syrer sein, waren Gedanken von mir.
Ich weiß, wie schnell die Stimmung kippen kann, wenn Rassismus und Islamophobie sich nicht nur in sozialen Netzwerken vermehren, sondern auch im öffentlichen Raum.
Ich will trauern um die Opfer und um meine Stadt, aber ich kann nicht, denn ich brauche die Energie in den kommenden Monaten – Stellung beziehen, mich distanzieren, das wird von mir als Muslima erwartet.
Beirut, Damaskus, meine bisherigen Heimatorte, wurden zuvor bedroht, also wusste ich, wie es sich anfühlt. Im Kopf verglich ich automatisch den Vorfall mit der Explosion in Beirut und den Anschlägen in Syrien. Eine seltsame Ruhe kehrte in mir ein, denn irgendwie war es dann doch nicht so groß wie dort.
Das war mein Schutzmechanismus, durch den ich Katastrophen ausblenden lernte. Dann sah ich auf sozialen Medien, wie meine FreundInnen mit der Situation überfordert, verletzt und beängstigt waren, denn in dieser Nacht wurden wir unserer Sicherheit beraubt.
Ich fühlte eine Leere in mir. Ich konnte schlafen – bis mich mein Schuldgefühl, nicht genügend Mitgefühl gezeigt zu haben, einholte. Ich erschrak.
Wie konnte ich über die Zeit nur so unempathisch und emotional kalt werden?
Ich dachte, meine FreundInnen aus Syrien, die hier leben, können meine Reaktion nachvollziehen. In ihnen kamen durch den Vorfall jedoch Ängste wieder hoch.
In den Tagen nach dem Anschlag zuckten sie zusammen, wenn eine Autotür zu fest zugeschlagen wurde. In ihren Alpträumen mischte sich Vergangenes mit der Gegenwart. Der Ort, an dem auch sie sicher waren, schien nun unsicher zu sein.
Aber dies wird vergehen, sobald die Straßen lebendiger werden und die Menschen wieder zueinander finden, davon bin ich überzeugt.
Luna Al-Mousli, geboren 1990 in Melk, aufgewachsen in Damaskus, lebt und arbeitet als Autorin und Grafik-Designerin in Wien.
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