Im Gleichschritt mit der Weltkonjunktur befinden sich die Rohstoffpreise seit einiger Zeit auf einem Höhenflug, der sich keineswegs auf Öl und Kohle beschränkt: Eisenerzhersteller konnten zuletzt eine Preiserhöhung von mehr als 70% durchsetzen; die Preise anderer Metalle wie Aluminium, Kupfer und Nickel lagen Anfang März im Schnitt um 54% über dem Niveau von 2000, mit weiter steigender Tendenz. Hauptgrund ist natürlich der Rohstoffhunger Chinas. Zwischen 1999 und 2003 stiegen die Anteile des Landes am Weltverbrauch bei Kupfer von 10,6% auf 19%, bei Eisenerz von 23,2% auf 30,8% und bei Blei von 8,4% auf 15,6%. Sogar die Baumwollpreise könnten sich erholen – einerseits ebenfalls dank China, das 2005 35% der Weltproduktion verbrauchen und auch mehr importieren dürfte, andererseits auch, weil Anfang März die US-Baumwollsubventionen endgültig für WTO-widrig erklärt wurden. Auch bei Zucker sieht es mittelfristig gut aus, denn die WTO wird voraussichtlich auch dafür sorgen, dass die EU ihre subventionierten Zuckerexporte senken muss.
Beide Entwicklungen, die anhaltend hohe Rohstoffnachfrage aus China und Asien und eine mögliche weitere Liberalisierung der Agrarmärkte im Norden, sorgen auch auf UN-Ebene für Optimismus: Es biete sich ein „Gelegenheitsfenster“, die Rohstoffexporterlöse zahlreicher Entwicklungsländer in den kommenden Jahren wesentlich zu steigern, so ein Bericht des UN-Generalsekretärs an die Vollversammlung, in dem auch die Vision von einer „neuen Geographie des Handels“ des brasilianischen Präsidenten „Lula“ da Silva bekräftigt wird: Unter Ausschluss von Energieträgern entfällt bereits beinahe die Hälfte aller Rohstoffexporte auf den Süd-Süd-Handel, Tendenz steigend.
Optimismus mag gerechtfertigt sein, Euphorie sicher nicht. Rohstoffe wie Baumwolle, Gummi oder Holz haben sich gemessen in Euro noch kaum verteuert; bei Kakao bewegt sich wenig. Viele Preissteigerungen spiegeln nur den Wertverlust des US-Dollar. Wer, wie viele afrikanische Länder, vor allem aus der EU importiert, profitierte also noch kaum. Im kapitalintensiven Bergbau wiederum ist die Präsenz ausländischer Unternehmen hoch. Zusätzliche Exporterlöse können auch in Form höherer Gewinne wieder das Land verlassen – oder zum Anlass werden, die Latte des „tragbaren“ Schuldendienstes wieder höher zu legen. Vor allem aber schaden die hohen Ölpreise den ölimportierenden armen Ländern (siehe Grafik): Gut vielleicht für Venezuela, aber nicht gut für alle.
Eine gute Nachricht ist jedoch, dass sich die Kaffeepreise von ihrem jahrelangen Tief erholen und derzeit sprunghaft ansteigen (2,35 Dollar/Kilo Anfang März gegenüber einem Tiefststand von 0,91 Dollar im Jahr 2000). Hauptgrund sind gesunkene Lagerbestände, voraussichtlich geringere Ernten im Hauptproduktionsland Brasilien und ein ausgewogene Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Letzteres wurde aber auf Kosten von Millionen kleinbäuerlicher Produzenten erreicht, die der niedrige Kaffeepreis ins Elend gestürzt hatte – eine Katastrophe, die sich durchaus wiederholen könnte: Wenn neuerlich eine Ausweitung der Produktion gefördert würde wie 1994, warnte im Dezember der Exekutivdirektor der Internationalen Kaffeeorganisation (ICO), Néstor Osorio.
Es wäre in der Tat überraschend, wenn das zyklische Auf und Ab der Rohstoffpreise und ihr langfristiger Verfall plötzlich ein Ende finden würden. Sofern nicht Ressourcen tatsächlich knapp werden, führen steigende Preise über kurz oder lang zur Reaktivierung stillgelegter Produktionen und zu Erweiterungsinvestitionen, die für eine zeitverzögerte Angebotserhöhung sorgen. Ist dann die Nachfrage schwächer – wenn etwa Chinas Wirtschaft ins Stottern geraten sollte – geht es wieder abwärts mit den Preisen. Wie seit langem: Der Rohstoffindex des britischen Economist steht heute bloß auf 30% seines Werts von 1845-1850.
Das ist für Industrieländer ein Vorteil, für Länder, die vom Export eines einzigen oder einiger weniger Rohstoffe abhängig sind, jedoch fatal. Der ursächliche Zusammenhang dieser Abhängigkeit mit Armut und Überschuldung ist erwiesen und als „Armutsfalle“ bekannt: Unsichere und periodisch stark fallende Exporterlöse ruinieren das Investitionsklima und beseitigen die finanzielle Kapazität, in Qualitäts- oder Effizienzsteigerung oder in eine Diversifizierung in andere Produkte zu investieren, was die logische Antwort auf einen langfristigen Preisverfall wäre.
Genau diese Situation ist auch ein Grund, warum es rohstoffabhängigen Ländern bisher nur im geringen Umfang gelungen ist, durch den Aufbau verarbeitender Industrien einen größeren Teil der Wertschöpfung im Inland zu halten. Ein weiterer – bei landwirtschaftlichen Rohstoffen – ist die weiter existierende Zolleskalation im Norden. So steigen etwa nach Weltbankangaben die Einfuhrzölle der EU von Null für Kakaobohnen über 9,7% für Kakaomasse auf bis zu 30% oder mehr für Endprodukte wie Schokolade. Auf die zehn wichtigsten Kakaoproduzentenländer entfielen 1998-2002 nur 2% der Exporte von Schokoladeprodukten.
Ebenso bekannt ist, dass die Marktstruktur und der Charakter der Wertschöpfungskette darüber entscheiden, welche Margen die Erzeuger erzielen können. Bei Eisenerz etwa kontrollieren drei Unternehmen, die brasilianische CVRD, BHP und Rio Tinto, 70% der Weltproduktion; bei Kaffee gibt es dagegen Millionen AnbieterInnen, die gegeneinander konkurrieren. Anders als bei Metallen ist die Wertschöpfungskette bei Nahrungsmitteln heute weitgehend vom Erzeuger bis zum Endverbraucher integriert. Große Nahrungsmittelkonzerne, die die gesamte Kette beherrschen bzw. Einzelhandelsketten, die den Zugang zum Endverbraucher kontrollieren, können daher vernünftige Gewinne erzielen, auch wenn der Rohstoffpreis im Keller ist.
Während die Kaffeexportländer Anfang der 1990er Jahre noch 35% des Einzelhandelswerts lukrierten, waren es nach dem Preisverfall nur noch 10%. Das Massenelend der ErzeugerInnen bei anhaltender Profitabilität im Rest der Wertschöpfungskette wurde zum Inbegriff einer unmenschlichen Globalisierung.
Zweifellos trug die katastrophale Situation der KaffeebäuerInnen dazu bei, dass die gesamte Rohstoffproblematik auch auf UN-Ebene wieder aufgegriffen wurde: Fast eine Art Wiederbelebung des Geistes aus den 1970er Jahren, als noch beabsichtigt war, den Preisverfall durch eine Reihe internationaler Rohstoffabkommen einzudämmen. Sämtliche dieser damaligen Initiativen scheiterten jedoch an mangelnder Kooperation der Exportländer, an Konzeptionsfehlern oder an der Sabotage durch reiche Länder, zumal im Falle des internationalen Kaffeeabkommens 1989 (USA) oder der Weigerung, dem seit 1989 aktiven Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe (CFC) der Vereinten Nationen Mittel für effektive Marktinterventionen zur Verfügung zu stellen.
Zu den neuen Initiativen gehören etwa die Empfehlungen eines von der UNO ernannten ExpertInnengremiums im September 2003, darunter eine Exportsteuer auf Kaffee zur Finanzierung von Nothilfemaßnahmen und ein internationaler Diversifizierungsfonds, aber auch die auf der letzten UN-Konferenz über Handel und Entwicklung (UNCTAD) in São Paulo im Vorjahr beschlossene „Independent Task Force on Commodities“, die sämtliche Interessierten inklusive NGOs an einen Tisch bringen soll, um Lösungen zu entwickeln.
Auch die Idee eines Angebotsmanagements durch die Exportländer tauchte wieder auf, etwa 2003 in einer UNCTAD-Analyse der Rohstoffabhängigkeit Afrikas: Märkte können das Problem nicht lösen, heißt es dort; notfalls sollten Exportländer derartige Programme entwickeln, die dann durch einen finanziell aufgestockten CFC unterstützt werden könnten. Offenbar eine diplomatische Konzession: Eine Selbstfinanzierung durch Exportsteuern, meinen die AutorInnen einer Studie des North-South-Centers der niederländischen Universität Wageningen („Fair Trade in tropical crops is possible“, Juni 2004), wäre unabdingbar: Einer direkten Sabotage durch reiche Länder wäre damit die Basis entzogen.
Die EU, in der Sache generell aufgeschlossen und hilfsbereit, hält davon offenbar nichts. In ihrem Ende April 2004 beschlossenen Aktionsplan zum Thema Agrarrohstoffproduktionsketten, Abhängigkeit und Armut sieht sie keine Möglichkeit „für eine Neubelebung der Marktinterventionsmechanismen der Internationalen Rohstoffabkommen“, da es an „Schlüsselbedingungen“ fehle, die in „naher Zukunft“ kaum vorliegen würden. Gemeint kann nur der fehlende politische Wille sein. Es ist zu befürchten, dass mit den nun steigenden Rohstoffpreisen, Kaffee inklusive, der aufkeimenden Bereitschaft zu Markteingriffen wieder der Boden entzogen wird: Offenbar löst der Markt das Problem ja doch. Bis zur nächsten Krise allerdings nur.