Billeteurskritik

Von Christian Diaz · · 2013/12

Der Riss in der glänzenden Oberfläche des Wiener Burgtheaters wird größer, meint der Ex-Billeteur, der mit seiner unangemeldeten Rede auf der Bühne für Aufsehen gesorgt hat.

"Von welchem Theater träumen wir?“ hieß der Kongress, auf dem ich unangemeldet versuchte, eine Rede zu halten. Das Burgtheater als eines der renommiertesten Sprechtheater Europas lud ein, über utopische Potenziale des Mediums Theater zu debattieren und vergaß dabei, auf die eklatanten Widersprüche der hauseigenen Produktionsbedingungen einzugehen. Meine Absicht war es ausgehend von meinem Anstellungsverhältnis den Betrieb mit seinen eigenen Widersprüchen zu konfrontieren:

Ich war ein Produkt neoliberaler Outsourcing-Ideologie. Ich war einer von mehr als 600.000 Angestellten des größten Sicherheitsdienstleisters der Welt und repräsentierte die nationalstaatliche Hochkultur Österreichs. Mit meinen KollegInnen trug ich zur Gesamtinszenierung des Burgtheaters bei, war aber eigentlich Security-Angestellter. Ich arbeitete für G4S, ein Unternehmen, das weltweit in eine Vielzahl von Verfahren wegen Menschenrechtsverletzungen und anderer Rechtsbrüche verwickelt ist. Ein Unternehmen, das dafür kritisiert wird, weltweit mit struktureller Unterbezahlung und rücksichtsloser Ausbeutung Profit zu erwirtschaften. Ich arbeitete für ein Unternehmen, das in den nächsten 15 Jahren ein Schubhaftzentrum in der Steiermark unterhalten und leiten will.

Als einfacher Arbeiter am unteren Ende der Hierarchie sah ich meinen Arbeitsort in einem größeren Zusammenhang: Nationalstaatlichkeit, Hochkultur, EU-Anti-Migrations-Politik, globaler Kapitalismus und neoliberale Prekarisierung von Arbeit: Am Burgtheater sind diese Begriffe miteinander verwoben. Dies wurde durch meine Intervention offensichtlich. Mit Erstaunen beobachte ich, wie sich seither der kleine Riss in der glänzenden Oberfläche der Kulturmaschinerie weiter vergrößert. Und ich merke, wie die Komplexität der Thematik in den Medien verkürzt wird. Die Privatisierung des Schubhaftzentrums Vordernberg zum Beispiel wird isoliert aufgegriffen. Die grauenhafte Realität des Abschiebens sowie die skandalöse Abschottungspolitik der Festung Europa werden dabei nicht in Frage gestellt. Genau so wenig wie die hierarchische Realität eines Juwels der österreichischen Hochkultur.

„Du hattest also eine Leidenschaft für die Arbeit am Burgtheater und dieses Unternehmen ist dir ein Dorn im Auge?“ fragte mich ein Journalist im falschen Bewusstsein, es gäbe ein homogenes, nationales Inneres, welches mit der postkolonialen Ausbeutungsrealität in anderen Teilen der Welt nichts zu tun hat.

Burgtheater-Intendant Matthias Hartmann solidarisierte sich bei der Verleihung des Nestroypreises öffentlich mit meiner Aktion. Er meinte: „Christian ­Diaz, der dem Bundestheaterkonzern den Spiegel der Realität vorgehalten hat, hat recht!“ Will Herr Hartmann sich nicht nur mit der Billeteurskritik schmücken, darf er den Ball der Verantwortung jetzt nicht einfach weiterspielen.

Will das Burgtheater ernst zu nehmender Ort der Kultur sein, muss es sich aktiv gegen das Ungerechtigkeitssystem engagieren, in dem es existiert, und seine eigene Rolle darin hinterfragen. 

Christian Diaz Orejarena war zwei Jahre nebenberuflich am Wiener Burgtheater tätig. Nach Abschluss der Kunsthochschule Berlin Weißensee absolviert er derzeit an der Wiener Akademie der Bildenden Künste ein Aufbaustudium im Bereich Konzeptuelle Kunst.

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