Bilanz einer Revolte

Von Clovis Atatah · · 2008/07

Die Stimmung in Kamerun ist nach wie vor gedrückt seit den Unruhen Ende Februar, bei denen Dutzende von Menschen getötet und Hunderte mehr festgenommen und inhaftiert wurden.

Paul Biya ändert seinen Ton. Während der Aufstände im Februar beschuldigte er seine GegnerInnen noch zornig, ihn absetzen zu wollen. Nun versucht er, auf einige der Vorwürfe einzugehen. Er erhöhte die Gehälter im öffentlichen Dienst um 15 Prozent und ordnete eine Preissenkung bei Grundnahrungsmitteln an. Und am Nationalfeiertag, dem 20. Mai, verfügte er eine Amnestie für die Gefangenen, die im Zuge der Unruhen im Februar festgenommen wurden. Demnach sollen die, die zu einem Jahr und weniger Haft verurteilt worden sind, freigelassen und die Haftstrafen derer, die darüber liegen, um zwei Drittel erlassen werden.
Doch öffentliche Bedienstete machen ein mageres Prozent von Kameruns Bevölkerung aus, und die Preise gehen weiter in die Höhe. Und der Erlass hat einen Haken. Er gilt nur für diejenigen, die zum Zeitpunkt rechtskräftig verurteilt waren. Ausgenommen sind somit die, die noch gar nicht vor Gericht gestellt wurden, sowie die 466 Verurteilten, die berufen haben – in Summe über 600 Betroffene. Anwälte berichten, dass viele nun ihre Berufung zurück ziehen. Nach weiteren drei Wochen des Wartens nach dem Erlass wurden am 10. Juni die ersten 74 Gefangenen aus dem Gefängnis New Bell in Douala entlassen. Und berichten von traumatisierenden Haftbedingungen.

In fünf der zehn Provinzen des Landes hallten in der letzten Februarwoche bei der Konfrontation zwischen Truppen und DemonstrantInnen auf den Straßen größerer Städte Schüsse. Die Proteste richteten sich gegen die sprunghaft angestiegenen Lebenskosten, rasant zunehmende Arbeitslosigkeit und die geplante Verfassungsrevision. Monatelang waren die Preise für Güter des täglichen Bedarfs, darunter Grundnahrungsmittel wie Reis und Mehl, Speiseöl, Fleisch und Fisch sowie Baumaterial, stetig gestiegen – verbunden mit einer niedrigen Kaufkraft und einer alarmierenden Arbeitslosenrate, die nach unterschiedlichen Schätzungen 30 bis 60 Prozent beträgt. Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.
Dennoch haben nur wenige die Aufstände kommen sehen. Straßenproteste sind selten in diesem unter Verschluss gehaltenen Land, dessen Regierung Dissens immer massiv unterdrückt hat. Als aber Taxi- und Sammelbusfahrer am 25. Februar einen Streik gegen die hohen Benzinpreise ausriefen, gingen Tausende von Menschen, hauptsächlich Jugendliche, auf die Straßen. Ausgelöst wurde dieser Wutausbruch wohl auch dadurch, dass zwei Tage zuvor zwei Jugendliche bei einer Demonstration gegen Paul Biyas Streben nach einer Präsidentschaft auf Lebenszeit getötet worden waren.

Anfangs waren die Proteste friedlich. Doch als Sondereinheiten von Polizei und Gendarmerie sowie schwer bewaffnete Soldaten das Feuer auf unbewaffnete Demonstranten eröffneten, eskalierte die Situation. Es folgten Tage der Zerstörung. Banden von Jugendlichen sperrten Straßen ab, verbrannten Reifen und Autos, legten Feuer an öffentliche Gebäude und plünderten Geschäfte. Viele wurden von den Kugeln der Soldaten getötet. Menschenrechtsgruppen und einige Geistliche schätzen die Zahl der Toten auf über 100, Behörden behaupten, es wären 40 gewesen. Kardinal Christian Tumi findet die offizielle Todesrate lächerlich. Der hoch angesehene katholische Erzbischof von Douala, der Stadt mit den meisten Opfern, sagt, man müsse die Zahl mindestens verdreifachen.
Zeitungen und Menschenrechtsorganisationen prangern gleichermaßen an, dass Tausende von Jugendlichen, darunter auch Minderjährige, willkürlich verhaftet wurden. Laut Berichten nahmen Polizeitrupps auf den Straßen und in Wohnvierteln wahllos Leute fest, darunter mindestens zwei Journalisten, die über die Aufstände berichteten. Sie wurden zum Teil in Zellen zusammengepfercht, zum Teil wurden über Nacht Jugendstrafanstalten improvisiert. In der Hauptstadt Yaoundé wurde mindestens ein Schulgebäude in eine Haftanstalt umgewandelt. Justizminister Amadou Ali gab vor staatlichen Medien am 5. März bekannt, „nur“ 1.671 Leute seien verhaftet worden. Später revidierte er die Zahl auf 1.137. Der Luxus von Betten oder Matten blieb ihnen vorenthalten. Sie schliefen auf nacktem Boden, der auch als Toilette herhalten musste. Von den Sicherheitskräften bekamen sie nichts zu essen, allerdings durften Familienmitglieder und FreundInnen Essen bringen.

In den Tagen nach den Aufständen folgten „Geheimprozesse“, wie sie von manchen Anwälten genannt werden. Die jungen Gefangenen, darunter auch Minderjährige, wurden in Gruppen vor Gerichte geschleppt, wo sie nach kurzen Verhandlungen zu Haftstrafen von zehn Wochen bis zu zwei Jahren verurteilt wurden. Offensichtlich wurden sie nicht über ihr Recht auf gesetzlichen Beistand informiert, und viele sagten, die Geständnisse seien ihnen unter Zwang herausgepresst worden. Anwälte waren empört, als sie von den Verhandlungen erfuhren. Viele klapperten die Gerichte ab, um heraus zu finden, wo Gefangenen der Prozess gemacht wurde, und sie kostenlos zu verteidigen.
„Ich finde das Tempo dieser Prozesse skandalös und unüblich“, entrüstet sich Rechtsanwalt Michael Yanou, „wo doch viele mit wesentlich schwereren Vergehen seit Jahren auf ihren Prozess warten.“ Nach behördlichen Akten wurden bis Anfang Juni 981 Personen vor Gericht gestellt, 729 davon zu Haftstrafen mit unterschiedlicher Dauer verurteilt und 252 freigesprochen, erzählt ein Beamter des Justizministeriums. Er möchte nicht namentlich genannt werden, da es ihm nicht gestattet ist, mit Journalisten zu sprechen.

Nach den Prozessen wurden die Verurteilten in staatliche Gefängnisse überstellt. Als „lebensgefährlich“ beschreibt Churchill Samba, Leiter der Initiative Globales Bewusstsein, einige davon. Die Menschenrechtsorganisation hat die Prozesse und Haftbedingungen untersucht. Viele Gefangenen sitzen, so Samba, in überfüllten Zellen ohne Betten und essen pro Tag oft nur eine karge Mahlzeit, etwa gekochten Mais. Gefängnisangestellte haben ihm erzählt, das Budget für Essen sei trotz der massiv gestiegenen Zahl von Häftlingen nicht erhöht worden. So sind in der Haftanstalt von Kumba in der Südwest-Provinz derzeit über 600 Insassen untergebracht, bei einer Kapazität von 250.
Wie schon so oft beklagen sich die meisten KamerunerInnen, dass ihre Regierung sie erneut in Stich gelassen hat.

Clovis Atatah ist Vorsitzender des Verbands anglophoner JournalistInnen in Yaoundé.

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