Bier ist ein weltumspannendes Getränk. Nicht nur, dass heute kommerzielles Bier rund um den Globus gleich schmeckt – von Ausnahmen abgesehen. In allen Kulturen ist Bier unabhängig voneinander seit Alters her gebraut und getrunken worden.
Bis ich erklärt habe, was da eigentlich aufgetragen worden war. Es handelte sich um Sorghum-Bier. Und kaum war ausgesprochen, dass dieses ein wenig nach sauer gewordener Trinkschokolade schmeckende Getränk technisch gesehen ein Bier ist, war die Begeisterung plötzlich verflogen. Ivan Reynaers hat dafür eine einleuchtende Erklärung: „Unser Geschmackssinn wird im Wesentlichen durch die Gewohnheit bestimmt, durch das, was wir von klein auf gegessen und getrunken haben. Unsere Kunden sind mit Porridge oder Maisbrei aufgewachsen, für sie ist der Geschmack von Sorghum-Bier sehr vertraut.“ Ivan Reynaers Kunden gehören der schwarzen Bevölkerungsmehrheit an – und die hat seit Jahrtausenden ihr eigenes Bier, gebraut aus jenen Produkten, die im Lande wachsen. Das heißt: Aus Sorghum oder Fingerhirse und Mais. Der Biergigant South African Breweries produziert das traditionelle Bier allerdings inzwischen auch auf kommerzieller Basis.
Das Tochterunternehmen heißt „Traditional Beer Investments“ und sein Manager Reynaers hat mich in der paradiesischen Ferienwelt von Sun-City, eineinhalb Stunden von Johannesburg, abgeholt und in die eher harte Welt der Stadt Rustenburg gebracht. Hier, mitten in einem schwarzen Township, steht eine 40.000 Hektoliter-Brauerei, an der für einen Europäer „nichts zu stimmen“ scheint. Nicht nur, dass ein Beschäftigtenstand von 240 Personen für diese Größe etwas übertrieben anmutet – es wäre auch wenig praktikabel, für eine solche Mittelstandsbrauerei eine eigene Mälzerei zu betreiben. Das aber tut man in Rustenburg – man macht ja auch kein gewöhnliches Malz hier. Vermälzt wird eben Sorghum. Braumeister Arthur Lerwit lässt die Körner 18 Stunden weichen und vier Tage ankeimen – dabei entwickelt sich ein zentimeterlanger Keim, der auch nach dem Darren erhalten bleibt.
Zum traditionellen Brauverfahren gehört, dass dieses Malz gemeinsam mit etwa der doppelten Menge zerkleinertem Körnermais (eine Hammermühle entfernt Schale und Keimling) eingemaischt wird. Dieser Maischebrei wird mit Milchsäure 13 bis 14 Stunden lang erhitzt und dann auf ein Rüttelsieb gepumpt. Dort bleiben die gröbsten Teile zurück, die grobfiltrierte Flüssigkeit wird dann auf 30 Grad gekühlt und mit Hefe versetzt. Das Angären dauert nur sechs bis 24 Stunden – sobald sichergestellt ist, dass die Gärung angekommen ist, wird das Getränk bereits in Kartonverpackungen oder in große Plastikkanister gefüllt, in denen es weitergären kann. Jetzt muss alles sehr schnell gehen, denn die Gärung geht noch weiter – und zwar sowohl eine alkoholische als auch eine milchsaure Gärung.
Die in Rustenburg gebraute Marke Chibuku hat eine hell-milchige Farbe, und auch der Geschmack erinnert ein wenig an sauer gewordene Milch. In frischem Zustand ist dieses Bier ein recht erfrischendes Getränk mit süßlichen und sauren Komponenten, die zunächst auch den alkoholischen Effekt überdecken. Zunächst hat das Sorghum-Bier nur etwa 3,5 Prozent Alkohol – es wird von Tag zu Tag stärker. Aber eben auch saurer: Nach etwa einer Woche ist es bereits ungenießbar. Doch das ausgeklügelte Logistik-System (in das auch Hunderte illegale Kneipen, so genannte „Shebeens“, einbezogen sind) sorgt dafür, dass das Bier wie frische Milch rasch beim Konsumenten landet. Und getrunken wird es tatsächlich rasch und in großen Mengen.
Bier ist in diesem Fall noch „flüssiges Brot“ – Nahrungsergänzung im ganz ursprünglichen Sinne. Tatsächlich ist die Produktion von Bier einer der wesentlichen Schritte, die die Menschheit bei ihrer kulturellen Entwicklung gesetzt hat. Und zwar in vielen Kulturen unabhängig voneinander und zu unterschiedlichen Zeiten. Bierbrauerei wurde von fast allen Kulturen „erfunden“, die von einem Dasein als Jäger, Sammler und vielleicht auch noch Viehzüchter zum Ackerbau übergegangen sind. Bier zu brauen war ursprünglich eine Methode, die Getreidesamen auf schmackhafte Art zuzubereiten und mehr oder weniger haltbar zu machen. Den ältesten literarischen Hinweis darauf findet man im Gilgamesch-Epos (siehe Seite 33). Seine Story zeigt uns, worin sich die bereits städtisch geprägte Kultur der Babylonier selbst als menschlich definiert hat: Dadurch, dass sie Brot und Bier produziert und genießt. Die Babylonier sagen also, dass Ackerbau zum Menschsein gehört, während der Jäger, Sammler und vielleicht auch Hirte eben noch kein Mensch in ihrem Sinne ist.
Eine ähnliche Wertschätzung hat das Bierbrauen auch bei den Ackerbürgern in Europa genossen. Bierbrauerei und Bierausschank waren oft unmittelbar mit dem Stadtrecht verbunden. Im ältesten Dortmunder Stadtrecht von 1250 finden sich bereits Hinweise auf die besondere Stellung der Bierbrauerei – eine Frau, die Bier braut, durfte nicht ohne Mitwirkung der Ratsmitglieder angeklagt werden und hatte die Möglichkeit, sich zu rechtfertigen. Dass hier ausdrücklich von einer Frau die Rede ist, verdeutlicht den bäuerlichen Ursprung, den auch das frühe städtische Brauwesen noch hatte. Bierbrauen war „Weibersache“.
Brauen gehörte zur Haushaltsführung wie Kochen oder Wäschewaschen. In einigen afrikanischen Kulturen ist das selber gebraute Sorghum-Bier die wichtigste Einkommensquelle für die Frauen. So wie in Österreich Heurigenwirte reihum „ausgesteckt“ haben und mit dem Reisigbuschen vor der Türe anzeigen, dass es jetzt bei ihnen Wein gibt, kündigen Ausrufer in afrikanischen Siedlungen an, wer gerade zum Umtrunk bittet.
Obwohl sich Lebensumstände durch die Urbanisierung verändert haben, sind die Prinzipien ähnlich geblieben: Allerdings werden die Rohstoffe des Sorghum-Bieres heute oft fertig gemahlen und abgepackt gekauft, und die privaten Shebeens bieten neben dem selber gebrauten Bier auch fertiges Chibuku-Bier und sogar Flaschenbier an. Die bäuerliche Wurzel der Bierbrauerei bleibt aber unverkennbar, selbst die kommerziellen Bierhallen knüpfen (in Simbabwe eher als in Südafrika) an die Atmosphäre an, die geherrscht hat, als man sich noch unter einem Baum zum gemeinsamen Trunk zusammengesetzt hat.
Es kann nicht oft genug betont werden, wie groß die weltweiten Gemeinsamkeiten beim Alkoholkonsum sind: Der afrikanische Knabe, der mit den Worten „Hanzi nababa munauyano madziya zuva“ („Ihr seid dann später zu uns nach Hause auf ein Bier eingeladen“) zum Bier ruft, erinnert an die mittelalterlichen Bierrufer, die in den Städten kundtaten, in welchem Bürgershaus gerade „ein gutes Fass Bier aufgetan“ war. Und das gemeinschaftliche Brauen und Trinken im Bauernhaus findet sich nicht nur in Afrika, sondern auch in Südamerika – etwa bei der Chicha.
Die indigenen peruanischen Frauen kauen für dieses Bier Mais, sie zerkleinern ihn so und speicheln ihn dabei mit stärkespaltenden Enzymen ein. Dann vergärt diese Muko genannte Masse in Wasser. Das so entstehende breiartige Getränk enthält ähnlich dem Sorghum-Bier etwa zwei bis drei Prozent Alkohol, daneben aber noch viel Stärke, so dass es recht nahrhaft ist.
Wie sehr das Bierbrauen auch in Europa in der einfachen Hauswirtschaft verwurzelt war, zeigt uns sehr deutlich das Märchen vom Rumpelstilzchen. Da heißt es: „Um das Feuer sprang ein allzu lächerliches Männchen, hüpfte auf einem Bein und schrie: Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich der Königin ihr Kind; ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß!“ Der hier geschilderte Kerl tat ja einige seltsame Dinge (vorher hatte er der Müllerstochter bekanntlich Gold gesponnen und sie so zur Königin gemacht) – aber das Brotbacken und das Bierbrauen gehörte offenbar zu seinem alltäglichen Geschäft. Noch bis ins 20. Jahrhundert wurde auf europäischen Bauernhöfen zumindest für Erntezeiten, wenn viele Helfer zu versorgen waren, Bier als Haustrunk gebraut.
Wie solche oft säuerlichen Biere geschmeckt haben mögen, kann man heute allenfalls an den flämischen Landbieren (Gueuze, Lambic oder Saison) erahnen. Sonst ist das bäuerliche Bier weitestgehend von kommerziellen Produkten verdrängt worden. Und diese sind meist standardisiert und austauschbar.
Und doch gibt es Brauer-Rebellen, die radikal andere Biere herstellen und an den bewährten geschmacklichen (aber auch steuerlichen) Vorteilen des Hausbrauens festhalten. Besonders gepflegt wird diese Tradition in den USA, wo sich die Hausbrauer während der Prohibition ihre eigenen Biere selbst hergestellt haben. So blieb altes Bierwissen erhalten. Man schätzt, dass zwei Prozent der US-Bevölkerung wenigstens einmal in ihrem Leben versuchen, ein Homebrew zu machen; das wären 5,6 Millionen Hobbybrauer. Manche von ihnen haben in den letzten Jahrzehnten – als die Zahl kommerzieller US-Braustätten von 40 auf inzwischen 1499 angewachsen ist – aus dem Braukessel in der Garage eine national bekannte Marke geschaffen. Die von Jim Koch geschaffene Marke „Samuel Adams“ von der Boston Beer Company ist das bekannteste Beispiel.
Bei der Frage nach den größten Brauereien der Welt kommt man ebenfalls regelmäßig auf amerikanische Konzerne zu sprechen: Da ist einmal Coors, weltweit die größte Einzelbraustätte, die sich in der ehemaligen Golden in Colorado mit einem rund 22 Millionen Hektoliter erzeugenden Braubetrieb breit gemacht hat. Und dann ist da noch der weltgrößte Bierkonzern Anheuser Busch, der 48 Prozent des US-Marktes beherrscht und zwar mit sehr geschmacksarmen Produkten wie „Budweiser“, „Michelob“ und „Bud Light“. Das Paradebeispiel für das Wachstum bei der Bierherstellung ist das wirtschaftlich aufstrebende China. Es ist absehbar, dass die Volksrepublik mit ihrer Bierproduktion in den nächsten Jahren die führenden USA überrundet haben wird. Der Pro-Kopf-Verbrauch, der derzeit noch bei etwa 13 Litern liegt, wird allerdings auch dann nicht höher als auf 20 bis 22 Liter ansteigen.
Die Globalisierung funktioniert aber auch umgekehrt: Indien hat schon seit einem halben Jahrzehnt an der Globalisierung des Bier-Business teilgenommen – teils aktiv (etwa durch den Kauf von amerikanischen Kleinbrauereien wie Mendocino Breweries durch den „Kingfisher“-Produzenten United Breweries of Bangalore), teils passiv, weil sich sowohl Carlsberg als auch Interbrew immer wieder für Partnerschaften angetragen haben. Aber das ist eine andere Geschichte, weit weg von den säuerlichen Sorghum-Bieren, aber nahe an unserem Geschmack an Bier und dem Geschäft damit.
Conrad Seidl ist Autor zahlreicher Bücher, unter anderem vom Conard Seidls Bier-Katechismus (Verlag Deuticke); sein Titel Bierpapst ist eine geschützte Marke. Gleichzeitig ist er Innenpolitik-Redakteur der Tageszeitung DER STANDARD.
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