Vor 50 Jahren begann der Biafra-Konflikt, der Europas Bild von Afrika nachhaltig beeinflusst hat.
Am 31. Mai 1967 erklärte sich der Südosten Nigerias für unabhängig. Die mehrheitlich von der Ethnie der Igbos bewohnte Region nahm den alten vorkolonialen Namen Biafra an. Es folgte ein zweieinhalb Jahre dauernder Bürgerkrieg, einer der schlimmsten Gewaltkonflikte im nachkolonialen Afrika. Er sollte das Afrika-Bild der Nachkriegsgeneration in Europa und den USA nachhaltig prägen. Und er war nicht nur Teil der Ikonographie Afrikas als Kontinent des Hungers und der Krisen (Stichwort „Biafra-Kind“), sondern warf auch ein Licht auf Europa. „Biafra“ steht für mehr als einen ethnisch befeuerten Sezessionskrieg mit bis zu einer Million Toten durch Kampfhandlungen und geschätzten drei Millionen Hungertoten, Folge einer Blockade der abtrünnigen Region durch die Zentralregierung in Lagos.
Enttäuschte Hoffnungen. Biafra steht auch für die enttäuschten Hoffnungen der jungen dekolonisierten Staaten Afrikas. Nigeria, Großbritanniens reichste und vielversprechendste Kolonie, war im Oktober 1960 unabhängig geworden. Das Land war eine parlamentarische Demokratie mit drei Bundesstaaten. Kurz zuvor hatte man im Südosten, dem Kernland der Ethnie der Igbos, Erdöl entdeckt. Doch die positiven Erwartungen an die Zukunft sollten sich nicht erfüllen. Nach einem Militärputsch im Jänner 1966, angeführt von Igbo-Offizieren, folgten ein Gegenputsch im Juli 1966, die Ermordung tausender im Norden des Landes lebender Igbos und eine Massenflucht von Igbos in ihre Herkunftsregion im Südosten. Und auch die Verheißungen der Erdölfunde verkehrten sich in ihr Gegenteil.
Die Macht der Bilder. Im Biafra-Krieg spielte Propaganda eine wesentliche Rolle. Die Rebellen beauftragten PR-Agenturen in der Schweiz und den USA. Ab 1968 erreichten Bilder der Hungerkatastrophe im eingeschlossenen Land die ganze Welt. Sie lösten ein Riesenecho aus; die Anteilnahme und Spendenbereitschaft in der Zivilbevölkerung war enorm. Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder die Gesellschaft für bedrohte Völker gingen aus der Unterstützung für Biafra hervor.
Von Anfang an prägten sprachliche und bildliche Verweise auf den Holocaust die Sicht auf den Krieg in Biafra. Und dadurch beeinflusste dieser wiederum Europas Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus. Der Holocaust rückte in deren Mittelpunkt.
„Fremde“ Parteinahme. Der Biafra-Krieg steht auch für die Schwierigkeit einer Parteinahme in einem „fremden“ Konflikt mit weit in die Kolonialzeit hineinreichenden Wurzeln und komplexen Ursachen. Die Kolonisierung hatte zu einer ungleichen Entwicklung im Norden und im Süden des Landes geführt und einen kaum integrierten ethnisch gespaltenen Riesenstaat hinterlassen.
Die europäischen UnterstützerInnen Biafras nahmen den Krieg als Religionskrieg Christen gegen Muslime und als Genozid wahr. Beides wird von der historischen Forschung mittlerweile bezweifelt. Biafra ist auch ein Beispiel dafür, dass Europa – selbst mit besten Absichten – in Afrika auch ohne tiefergehendes Verständnis aktiv wird. Dabei sieht es in seinem Nachbarkontinent vor allem das, was es selbst sehen will.
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