Yaks sind die Lebensgrundlage der NomadInnen in Tibet. Die Menschen begegnen ihren Nutztieren mit Liebe und Respekt – und ohne Sentimentalität. Text Klemens Ludwig, Fotos Monika Nutz
Die weiten, kargen Hochebenen West-Tibets, die als Changtang bezeichnet werden, hat Chinas langer Arm noch nicht vollständig erreicht. Die tibetischen NomadInnen folgen dort seit Menschengedenken ihren Yak- und Schafherden. Die zwölfjährige Pema und ihr jüngerer Bruder Lobsang lernen das, was sie für ein Nomadenleben benötigen, im Alltag mit den Herden. Pema ist stolz darauf, dass ihre Mutter sie bereits zum Melken mitnimmt. Ihren Lieblingstieren hat sie Namen gegeben, Dzogchen und Thopthop mag sie besonders. Mit ihnen spricht sie, wenn die Gruppe mit ihrer Herde über die Weiden zieht, und sie ist überzeugt, dass sie ihr antworten, in einer Sprache, die nur sie versteht.
Was für die Kinder wie ein Spiel ist, wird bei den Erwachsenen in anderer Form deutlich. Die Menschen begegnen den Yaks mit einer Mischung aus Liebe und Respekt. Sie wissen genau, ohne die Yaks wäre ein Leben auf dem Dach der Welt nicht möglich. Dabei ist die Bezeichnung Yaks für die Verwandten des in Europa ausgestorbenen Auerochsen im engeren Sinne gar nicht korrekt. Die TibeterInnen bezeichnen damit nur die männlichen Tiere, die weiblichen heißen Dris. Dennoch hat sich außerhalb Tibets der Name Yak für die Hochlandrinder allgemein durchgesetzt.
„Schau dir die Tiere doch an“, schwärmt Jigme, Pemas Vater. „So stark und gleichzeitig so genügsam. Wenn es nichts anderes gibt, ernähren sie sich nur von Moos, Flechten und Steppengräsern.“ Im Gegensatz zu ihrer bescheidenen Art sind sie ausgesprochen spendabel mit ihren Gaben. Die Dris geben sehr fette Milch, die von den Frauen zu Butter, Käse und Yoghurt verarbeitet wird. Die Butter wird nicht zuletzt auch für religiöse Rituale benutzt. Traditionell brennen in den Tempeln dutzende Butterlampen. Zudem dienen die Felle der Tiere für Mäntel, Schuhe und Zelte. Die Haare werden zu Stricken verflochten und versponnen.
In Zentral-Tibet werden Yaks auch für die Feldarbeit eingesetzt, die im Changtang nicht möglich ist. Man sieht sie vor einen Pflug gespannt oder als Zugtiere. Dabei erkennen selbst TouristInnenen, die sich kaum näher mit der tibetischen Kultur auseinandersetzen, welch große Achtung die Menschen den Yaks entgegenbringen. Selbst bei der einfachen Feldarbeit sind die Tiere häufig kunstvoll geschmückt wie in Europa allenfalls auf einer landwirtschaftlichen Messe. Hinter ihrem Kopf sind bunte Bänder in den Farben der Gebetsfahnen angebracht. Der Umgang mit den Tieren ist nicht von Aggression geprägt; in den meisten Fällen findet ein wortloses, vertrautes Zusammenspiel statt. Die Tiere wissen genau, was sie zu tun haben, und die Menschen müssen wenig eingreifen.
Bei alledem wirkt der Umgang mit den Yaks und Dris keinesfalls sentimental, wie es in Europa als Gegenpol zur Massentierhaltung häufig vorkommt. Tibet ist ein viel zu karges Land, der Kampf mit der Natur viel zu hart, als dass dort viel Sentimentalität im Alltag aufkommen könnte. So ist es keinesfalls ein Tabu, Yakfleisch zu essen. Vegetarismus ist unter den tibetischen BuddhistInnen eine Seltenheit. Der Buddha hat den Fleischkonsum nicht verboten, nur das Töten, das die BuddhistInnen möglichst Angehörigen von Randgruppen überlassen, etwa den Ragyapas – in gewisser Weise die Unberührbaren Tibets – oder den kleinen Gemeinden der Muslime. Sind die Tiere aber tot, spricht nichts dagegen, ihr Fleisch auch zu genießen.
Die NomadInnen in den unerschlossenen Landesteilen müssen das Schlachten selbst übernehmen. „Wir sprechen ein kurzes Gebet und danken dem Tier für alles, was es uns gegeben hat und nach seinem Tode geben wird. Dann erlösen wir es vom irdischen Dasein“, erklärte Jigme und lächelt dabei verschmitzt. Für gläubige BuddhistInnen bedeutet der Tod keinen Schrecken; natürlich trauern auch sie um geliebte Angehörige, aber die Vergänglichkeit allen Irdischen ist den TibeterInnen im Alltag ständig präsent. So zählt auch der Tod eines Yaks zum natürlichen Ablauf. Der Dank, der das Tier in den Tod begleitet, ist keine verbale oder religiöse Pflichtübung. Einmal mehr zeigt sich hier die Mischung aus tiefem Respekt und Pragmatismus, die bei den TibeterInnen oft zu finden ist. Das Fleisch der massiven Tiere wird in der kalten Luft getrocknet, so dass es sich monatelang hält. Im Winter, wenn Schnee und Eis das Land fest im Griff haben, garantiert das Yakfleisch gemeinsam mit gerösteter Gerste und der fetten Butter das Überleben der NomadInnen.
Wenn sich ein besonders harten Winter andeutet, in dem nicht die ganze Herde durchgebracht werden kann, werden die schwächeren Tiere getötet oder zurückgelassen, um wenigstens einem Teil eine Überlebenschance zu geben. Das ist für die Kinder der NomadInnen immer dann sehr hart, wenn ihre Lieblingstiere geopfert werden. Doch anhand solcher Erfahrungen lernen sie frühzeitig, die Forderungen der Natur als oberste Instanz zu akzeptieren.
Es gibt buchstäblich nichts vom Yak, was nicht genutzt wird, bis hin zu den Ausscheidungen. Yakdung ist das wichtigste Brennmaterial in dem kargen Land, wo mangels Wald kaum fossile Brennstoffe vorhanden sind. Der Dung wird zu Fladen geformt und an Hauswänden oder auf dem Boden getrocknet. An den zumeist offenen Kochstellen raucht der Dung stark, doch er erzeugt eine energiestarke Glut, mit der über Stunden hinweg für eine große Gemeinschaft gekocht werden kann.
Darüberhinaus waren in der Vergangenheit Yaks wichtig für den Karawanenhandel, eine der bedeutendsten Einkommensquellen im alten Tibet. Die Schätze Tibets – Salz, Felle, Leder, Türkise u. a. – wurden früher auf den Rücken von Yaks (und Schafen) in langen Karawanen nach Süden auf den indischen Subkontinent gebracht, wo die Engländer hohe Preise dafür zahlten. Wer im Karawanenhandel Fuß gefasst hatte, zählte zur Elite im alten Tibet. Obwohl die zotteligen Tiere eher plump und unbeholfen erscheinen, täuscht dieser Eindruck grundlegend. Sie bewegen sich mit traumwandlerischer Sicherheit auch über schmale Berggrate. Und wo Yaks vorweg gehen, können Schafe, Pferde und Menschen folgen.
Klemens Ludwig ist Autor und Journalist mit dem Schwerpunkt Asien und lebt in Bielefeld. Er ist langjähriger Mitarbeiter der Gesellschaft für bedrohte Völker. Monika Nutz ist freie Grafikerin und Reisefotografin. Sie lebt in Wien.
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