Barfüßige BeraterInnen

Von Judith Brandner · · 2006/03

Die österreichische Psychologin Barbara Preitler betreut in Sri Lanka ein Modellprojekt zur Ausbildung einheimischer Traumafachleute. Die Idee entstand bereits vor dem Tsunami, das Programm vereint Angehörige der wichtigsten ethnischen Gruppen.

Wie kann man traumatisierten Menschen in einem Land wie Sri Lanka helfen, in dem es so gut wie keine PsychiaterInnen gibt und in dem die psychosoziale Versorgung insgesamt im Argen liegt? Diese Überlegung stand hinter der Idee der Errichtung eines Zentrums zur Ausbildung von Traumafachleuten, die bereits vor der Tsunami-Katastrophe vom 26. Dezember 2004 entstanden war. Barbara Preitler, Expertin für Psychotrauma, Ethno- und Sozialpsychologie an der Universität Klagenfurt, war von der Notwendigkeit einer derartigen Einrichtung überzeugt.
Denn in Sri Lanka herrschte bis vor vier Jahren Bürgerkrieg und seither ein fragiler Waffenstillstand. Barbara Preitler weiß aufgrund ihrer langjährigen, engen Beziehung zu Land und Leuten, wie viele Menschen in Sri Lanka als Kriegsüberlebende schwer traumatisiert sind. Und dann kam der Tsunami, der allein in der Region Ampara mehr als 10.000 Tote forderte, und aufgrund dessen heute viele unter mehrfacher Traumatisierung leiden. Der Bedarf an psychosozialer Hilfe wurde akuter denn je. Bereits im Februar 2005 konnte in Ampara, der vom Tsunami am schwersten betroffenen Region an der Ostküste Sri Lankas, das „Centre for Psychosocial Care“ (CPC) seine Tätigkeit aufnehmen – betreut von Barbara Preitler, finanziell unterstützt von der Evangelischen Diakonie, Nachbar in Not und der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit.
„Das Grundtrauma sind schwere Verluste und zerbrochene Familien“, sagt Barbara Preitler. Dabei gilt es, auf geschlechtsspezifische Unterschiede zu achten. Viele Männer haben beim Tsunami ihre Frauen verloren und müssen sich seither – völlig unüblich – alleine um ihre Kinder kümmern. Andrerseits leiden viele Frauen, die gerettet werden konnten, denen aber bei der Flutwelle die Kleider vom Leib gerissen worden waren, unter dem großen Tabubruch, sich nackt gezeigt zu haben.

Im Zentrum in Ampara werden nun ExpertInnen ausgebildet, die nach Absolvierung des Programms Traumatisierten professionelle Hilfe anbieten können. „Es ist uns gelungen“, so Preitler stolz, „als Kandidaten eine beeindruckende Auswahl junger Menschen aus den drei wichtigsten ethnischen Gruppen der Region für dieses Ausbildungsprogramm zu gewinnen: Singhalesen, Tamilen und Moslems.“ Angehörige der singhalesischen Ethnie sind durchwegs buddhistisch, die Tamilen hinduistisch. Vor dem Hintergrund des langjährigen Konflikts kommt dieser gemischten Gruppe besondere Bedeutung zu. Eine Herausforderung auch für Barbara Preitler: In ihren Workshops zum Training für die künftigen TherapeutInnen braucht sie DolmetscherInnen, die drei Sprachen beherrschen – Englisch, Singhalesisch und Tamilisch. Eine heikle Sache, in einem Bereich, in dem es auf Nuancen ankommt. „Zum Glück haben wir so jemanden!“, sagt Preitler.
Ausgebildet werden nun 19 junge Menschen mit Maturaniveau, die beim Tsunami in ihren Dörfern besonders durch ihre kompetente, engagierte Nachbarschaftshilfe aufgefallen waren. Ein Kriterium für die Auswahl war, dass die KandidatInnen selbst nicht primär betroffen sind, d.h. keine nächsten Anverwandten oder ihre Häuser durch den Tsunami verloren hatten. „Es gibt in der Region leider niemanden, der überhaupt nicht mit Traumatischem konfrontiert wäre“, erklärt Barbara Preitler.

Nun werden die jungen Menschen in dem bis Februar 2008 anberaumten Projekt zu TraumaexpertInnen ausgebildet. In Ampara ist der Psychologe und Direktor des CPC, M.A.J. Ranewake, für die Ausbildung zuständig. Barbara Preitler und KollegInnen aus Europa reisen immer wieder nach Sri Lanka, um Fortbildungsworkshops abzuhalten. Zeugnisabschlüsse sind in Zusammenarbeit mit der Universität Klagenfurt geplant; der Standard wird in etwa einem österreichischen Ehe- und Familienberaterdiplom entsprechen. Wenn das erste Team ausgebildet ist, soll es in einer Art Schneeballsystem sein Wissen an die nächste StudentInnengeneration weitergeben. „Es geht darum, den Grundstein für eine psychosoziale Grundversorgung zu legen“, so Barbara Preitler. Ein ähnliches System sogenannter „barefoot counsellors“ – übersetzt barfüßige BeraterInnen – existiert im Norden des Landes und funktioniert laut Preitler recht gut. Getragen wird die psychotherapeutische Ausbildung durch ExpertInnen der Universität Jaffna, Hauptstadt der Nordprovinz, sowie katholische Priester und Nonnen.

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