Osvaldo Bayer
Sachbuch. Übersetzt von Boris Schöppner. Trotzdem Verlagsgesellschaft, Frankfurt/M. 2011, 423 Seiten, EUR 28,-
Dieses Buch birgt Sprengstoff. Die argentinische Militärdiktatur (1976–1983) ließ es öffentlich verbrennen, der Autor musste ins Exil nach Deutschland flüchten. Wenige Monate vorher hatte er noch versucht, Militärs und Historiker zu einer Diskussion an der Universität einzuladen. Aber keiner kam. So schreibt er im Vorwort zur deutschen Ausgabe, die jetzt, 40 Jahre nach der spanischen Urversion, herausgekommen ist.
Was den Zorn der Militärs so erregte, ist die akribische Aufarbeitung eines Stücks Geschichte, das in den Büchern genau so wenig vorkam wie in der kollektiven Erinnerung: das Massaker an mehr als 1.500 Landarbeitern auf patagonischen Viehfarmen. Die meisten wurden ermordet, nachdem sie sich längst ergeben hatten.
Bayer beginnt seine Chronik mit dem Attentat, das der deutsche Anarchist Kurt Gustav Wilckens 1923 auf den Offizier Varela verübt. Oberstleutnant Héctor Benigno Varela, der als „Schlächter von Patagonien“ in die Geschichte eingehen sollte, führte den Oberbefehl über die Truppen, die 1921/22 das Gemetzel angerichtet hatten. Die Viehhirten und Schafscherer, die sich da gegen die Arbeitsbedingungen auf den riesigen Estancias der Großgrundbesitzer auflehnten, waren mehrheitlich Arbeitsmigranten aus Chile und Zuwanderer aus Europa, die die kämpferische Tradition der anarchistischen Gewerkschaften mitgebracht hatten.
Nach dem Verfall des Weltmarktpreises für Schurwolle nach dem Ersten Weltkrieg erstritten die Arbeiter zunächst im Jahr 1920 ein Abkommen mit den Landbesitzern. Doch diese hielten sich nicht daran. Streiks und Besetzungen der großen Landgüter waren die Folge, bis die Armee eingeschaltet wurde.
Osvaldo Bayer fand ein halbes Jahrhundert später noch genügend Zeitzeugen und Dokumente, die in aller Deutlichkeit belegen, dass da kaltblütig gemordet wurde. Die in ihrem Detailreichtum stellenweise ermüdende Lektüre unterschlägt auch nicht Hinweise auf Exzesse der Rebellen, führt jedoch den Nachweis eines systematischen Massenmordes.
Osvaldo Bayer kann zwar heute wieder in seiner Heimat leben. Eine offene Diskussion mit den Militärs über dieses dunkle Kapitel ist aber bis heute nicht möglich.
Ralf Leonhard
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