Mexiko ist in Aufruhr. Nicht nur auf nationaler Ebene will eine breite
Bewegung hinter dem linken Kandidaten Andrés Manuel López Obrador den Kampf um die Präsidentschaft nicht aufgeben. Auch im südlichen Bundesstaat Oaxaca besetzt eine Protestbewegung die Hauptstadt. Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz soll wegen massiver Korruptionsvorwürfe zurücktreten.
Vor dem Busbahnhof wartet kein Taxi, das einen ins Zentrum bringen würde. Denn die Zufahrtsstraßen sind verbarrikadiert. Man muss zu Fuß durch die Siedlungen aus Kartonhäusern an der hügeligen Peripherie. In einem Park im Stadtzentrum stehen die Camps der AktivistInnen, direkt gegenüber dem Regierungsgebäude, das mittlerweile in ein Kulturzentrum „Casa Cultural“ umgewidmet wurde. Dort werden jetzt Feste gefeiert und Zeremonien abgehalten.
Seit dem 22. Mai 2006 besetzen AktivistInnen der nationalen Lehrergewerkschaft das historische Zentrum der Stadt Oaxaca, Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates im Süden des Landes. Anfangs ging es um Gehaltsforderungen, eine bessere Ausstattung der Schulen und soziale Leistungen, wie z.B. Frühstück für die Schulkinder, die oft hungrig zum Unterricht kommen. Gouverneur Ulises Ruiz wollte sich auf keine Verhandlungen einlassen, startete in den Medien eine Rufmordkampagne gegen die Lehrerinnen und Lehrer und schickte am 14. Juni die Polizei, um die Besetzungsaktion mit Gewalt zu beenden. Der Schuss ging nach hinten los, denn die Repression löste einen einzigartigen Solidarisierungseffekt aus. Binnen weniger Tage schlossen sich über 300 Basisorganisationen zur Asamblea Popular del Pueblo de Oaxaca (APPO), zusammen, einer „Versammlung des Volkes von Oaxaca“. Einziges Ziel der Allianz: der Rücktritt von Gouverneur Ulises Ruiz.
Ruiz, der vor zwei Jahren gewählt wurde, war ursprünglich Mitglied der Staatspartei PRI und schlug sich dann nach der politischen Wende auf die Seite der Unternehmerpartei PAN von Präsident Vicente Fox. Er gilt als korrupt und brutal, was er in der Auseinandersetzung mit der Lehrergewerkschaft einmal mehr unter Beweis gestellt hat.
Der kleine Sender „Radio Plantón“, den die Lehrergewerkschaft gründete, rief wochenlang zum Protest gegen den Gouverneur auf und verbreitete Nachrichten aus der besetzen Stadt. Am Tag der großen Repression drang ein Schlägertrupp in das Studio ein, raubte die Sendeanlage und zertrümmerte die anderen Geräte. Sechs Wochen später gingen die Frauen von Oaxaca zur Gegenoffensive über und besetzten die Studios des öffentlichen Fernsehens und Rundfunksenders. Nachrichten von der Rebellion kamen jetzt über die offiziellen Kanäle. Das konnte der Gouverneur nicht auf sich sitzen lassen und ließ den Sendemast umlegen. Daraufhin besetzte die Protestbewegung zwölf Privatradios. Gewaltlos, wie immer wieder betont wird. Die Gewalt geht von den staatlichen Organen aus, von Paramilitärs, die nachts auf die Barrikaden schießen und von bezahlten Provokateuren, die mehrere Busse angezündet haben, um die Tat der APPO in die Schuhe zu schieben. Fahrer von Überlandbussen wagen sich an Oaxaca deswegen gar nicht mehr heran. Sie erzählen von blutrünstigen Guerilleros, die die Stadt besetzt hätten, Busse anzünden und die Passagiere ausrauben würden.
Tatsächlich gibt es auch Leute, die sich das Chaos zunutze machen, selbst Barrikaden errichten und dann Wegzölle einheben. Die APPO versucht das so weit wie möglich abzustellen und organisiert nächtliche Patrouillen durch die Stadt.
Mittlerweile befindet sich der ganze Bundesstaat Oaxaca in Aufruhr, der gesamte Isthmus von Tehuantepec, die schmalste Stelle Mexikos, inbegriffen. Die Indigenen aus Zoogocho im nördlichen Hochland von Oaxaca kamen in einem langen Marsch in die Stadt, um den Kampf der Lehrer zu unterstützen. Immer mehr Polizisten weigern sich, die unterbezahlten Staatsangestellten zu attackieren und zu schlagen. Sie wissen, dass ihre Beamten-KollegInnen für eine bessere Zukunft kämpfen. Jede Woche finden mehrere Märsche und Demonstrationen statt. Selbst die Menschen in den Armenvierteln organisieren sich. Das Zentrum der Stadt ist voller Farben, bunter Transparente und an die Wände gesprayter Parolen. Der Gouverneur versucht jetzt, in der Bevölkerung gegen die Protestbewegung Stimmung zu machen, indem er Gerüchte über bevorstehende Erhöhungen der Lebensmittelpreise streut und die Händler veranlasst, tatsächlich Aufschläge zu verrechnen. Seine Amtsräume musste er allerdings in ein Luxushotel beim Flughafen verlegen.
Die Bilanz des monatelangen Belagerungszustandes sind sechs Tote auf Seiten der BesetzerInnen, über hundert Verletzte und zahlreiche Festgenommene. Gegen hunderte Menschen wurden Haftbefehle erlassen. Inzwischen zeigt sich zumindest die Bundesregierung in Mexiko-Stadt gesprächsbereit. Allerdings will sie Gouverneur Ulises Ruiz am Verhandlungstisch sehen und seine Absetzung nicht hinnehmen. Aber für die APPO ist es mit der Erhöhung der Lehrergehälter längst nicht mehr getan. Verhandeln will sie erst, wenn Ruiz weg ist. In Oaxaca könnte das entstehen, was der geschlagene Präsidentschaftskandidat Andrés Manuel López Obrador für ganz Mexiko angekündigt hat: eine revolutionäre Gegenregierung, die vom Volk getragen wird.
Die Autorin ist Sozialwissenschafterin und freie Journalistin. Sie lebt und arbeitet in Oaxaca und Michoacán, Mexiko.