Auf prekärem Kurs

Von Robert Poth · · 2004/10

Die vorläufige „Rettung“ der Doha-Runde der Welthandelsorganisation WTO beruht auf einem für viele Entwicklungsländer riskanten Deal – und auf einer politischen Marginalisierung der Schwächeren zugunsten der Stärkeren.

Vor einem Jahr, bei der WTO-Ministerkonferenz in Cancún, sorgte die geschlossene Verweigerungshaltung der Entwicklungsländer für Hoffnungen, die Welthandelsorganisation könnte zu einem Kurswechsel gezwungen werden. Die Doha-Runde, benannt nach der Hauptstadt Katars, wo sie 2001 aus der Taufe gehoben wurde, steckte in der Sackgasse: Es bestand nicht einmal darüber Einigkeit, worüber und auf welcher Basis überhaupt verhandelt werden sollte. Die große Mehrheit der ärmeren Entwicklungsländer, repräsentiert durch die „G-90“, vertrat den Standpunkt, von einer weiteren Liberalisierung kaum profitieren zu können; die „G-20“ – u.a. mit Brasilien, Indien, China – forderte etwa mehr Konzessionen im Landwirtschaftsbereich, wozu die reichen Länder nicht bereit waren.
Ende Juli wurde nun am WTO-Sitz in Genf ein Rahmenabkommen geschlossen, das offiziell weithin als „Rettung der Doha-Runde“ abgefeiert, im globalisierungskritischen Lager aber zum Teil in Grund und Boden verdammt wurde: Die positiven Reaktionen in den Konzernetagen der reichen Länder galten dafür als untrügliches Indiz. Walden Bello und Aileen Kwa von „Focus on the Global South“ (Bangkok) etwa bezeichneten das Ergebnis als „Triumph Washingtons“ und einer Teile-und Herrsche-Taktik; der Norden habe den Süden „über den Tisch gezogen“, hieß es in einer Reaktion von Attac Deutschland; das Abkommen stelle „die Weichen in Richtung einer radikalen Öffnung der Agrar-, Industrie- und Dienstleistungsmärkte im Süden“, ohne dass sich an den Landwirtschaftssubventionen der reichen Länder Wesentliches ändern würde.

Ein solches Ergebnis der Doha-Runde, die wohl nicht vor 2006 oder 2007 abgeschlossen werden dürfte, ist zum Teil durchaus möglich. Vorerst sollte die Kirche aber im Dorf gelassen werden. Das Rahmenabkommen, so undemokratisch es auch wieder einmal zustande kam (etwa waren die meisten Entwicklungsländer in Genf nicht auf MinisterInnenebene vertreten), definiert lediglich die Themen und „Modalitäten“ der Verhandlungen. Was dabei konkret herauskommt, ist noch offen, und auch ein Scheitern der Doha-Runde ist nicht auszuschließen.
Trotzdem ist eines klar: Das Abkommen repräsentiert keinen „Kurswechsel“. Im Kern wird ein Abtausch von Exportmärkten im Landwirtschafts- und Industriesektor im Rahmen einer weiteren Liberalisierung anvisiert. Während die reichen Länder zusagen, ihre Exportsubventionen und internen Stützungen im Agrarsektor abzubauen bzw. zu reduzieren, sollen die Entwicklungsländer im Gegenzug ihre Industriemärkte, aber auch Agrarmärkte öffnen. Hier enthält der Text gefährliche „Kuckuckseier“. Vorläufig ist etwa vorgesehen, die höchsten Zölle in beiden Sektoren am stärksten zu senken. Damit würde erstens die Möglichkeit beseitigt, im Aufbau befindliche Industriezweige zu schützen, ganz zu schweigen von der Gefahr einer weiteren De-Industrialisierung des Südens. Zweitens besteht die Gefahr einer Verdrängung kleinbäuerlicher Produktion. Inwieweit dem die vereinbarten Möglichkeiten zum Schutz „spezieller Produkte“ oder der vorgeschlagene „Besondere Schutzmechanismus“ Einhalt gebieten können, ist noch offen.

Insbesondere wurde kritisiert, dass den Entwicklungsländern ein reines Verlustgeschäft drohen könnte: Erstens, weil die reichen Länder in der Lage wären, durch eine bloße Umschichtung unzulässiger Zahlungen ihr gesamtes Stützungsniveau im Agrarsektor sogar zu erhöhen statt zu senken; zweitens, weil die EU und Japan das Konzept „sensibler“, besonders schützenswerter Produkte in den Text brachten, und drittens, weil die Exportsubventionen etwa im Fall der EU vielleicht erst bis 2017 endgültig beseitigt werden sollten.
Eine solche Bewertung scheint nach den jüngsten Entscheidungen von WTO-Schiedsgerichten in Sachen Baumwolle und Zucker nicht mehr gerechtfertigt: Sowohl ein Großteil der US-Subventionen für Baumwolle als auch der derzeitigen EU-Zuckerexporte wurde für WTO-widrig erklärt (siehe Kasten). Damit scheint auch klar, dass sich die Lage der BaumwollproduzentInnen Westafrikas weit rascher verbessern könnte als auf Basis der Zusagen im Rahmenabkommen, die als eher vage bemängelt wurden.

Ungeachtet dieser WTO-Entscheidungen sind jedoch sowohl ein Abtausch von Landwirtschafts- gegen Industriemärkte als auch eine Öffnung von Dienstleistungsmärkten im Rahmen des entsprechenden WTO-Abkommens (GATS) nur für eine beschränkte Zahl großer Entwicklungsländer und ihre jeweils konkurrenzfähigen Unternehmen interessant. Denn nur sie verfügen derzeit über die Voraussetzungen, neue Exportmärkte auch tatsächlich zu beliefern. Beinahe durch die Bank haben sowohl die ärmsten Länder (LDCs) wie auch die AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) hier fast nur zu verlieren, etwa durch die „Erosion“ ihrer bisherigen, unilateral gewährten Präferenzen durch den allgemeinen Zollabbau.
Auch umgekehrt gilt Ähnliches: Wofür sich die Unternehmen der reichen Länder interessieren, das sind die Märkte in China, Indien oder Brasilien, und nicht unbedingt die in Mali oder Swasiland.
Aus dieser Sicht beruht das Rahmenabkommen offenbar auf einer „Kooptierung“ der großen Entwicklungsländer (der G-20) als Voraussetzung für potenzielle „Win-Win“-Abmachungen. Der Rest, also die Mehrheit, wurde durch letztlich kostenlose Zugeständnisse „ins Boot geholt“. Etwa durch den Verzicht auf Verhandlungen über die Bereiche Investitionen, Wettbewerb und Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen, drei der vier „neuen Themen“, auf die vor allem die EU bestanden hatte. Übrig geblieben ist bloß das Thema „Handelserleichterungen“, wobei es vor allem um einfachere Zollprozeduren geht. Ebenso wurde darauf verzichtet, von LDCs Zollsenkungen für Industrieprodukte zu fordern.
Diese Konzessionen fallen aber unter die Rubrik „Schadensbegrenzung“; entwicklungsfreundlicher wird das WTO-Regelwerk dadurch nicht. Die „besondere und unterschiedliche“ Behandlung der Entwicklungsländer soll weiter auf längere Fristen und ein paar Ausnahmen beschränkt bleiben, und wie schon seit der ersten WTO-Ministerkonferenz in Singapur 1996 wurden die Probleme der ärmeren Länder mit der Umsetzung bestehender WTO-Abkommen auf die lange Bank geschoben. Ein weiteres Indiz für die Marginalisierung der „Globalisierungsverlierer“, für die die einstige Losung „Handel statt Hilfe“ wohl immer zynischer erscheinen muss.


Baumwolle und Zucker-Subventionen: WTO-widrig

Zwei neue Urteile von WTO-Schiedsgerichten in Sachen Baumwolle (veröffentlicht am 8. September) und Zucker (noch unveröffentlicht) könnten den Anfang vom Ende der entwicklungsfeindlichen Landwirtschaftssubventionen der USA und der EU einleiten. Zwar haben sowohl Washington wie auch Brüssel Einspruch angekündigt, mehr als ein Aufschub der geforderten Anpassungen (vorgesehen für 2005) dürfte aber kaum möglich sein.

– Baumwolle: US-Baumwollsubventionen in Höhe von 3,2 Mrd. US-Dollar und US-Exportkredite für Baumwolle und andere Handelsgüter in Höhe von 1,6 Mrd. Dollar verstoßen gegen die WTO-Regeln. Dies sind fast die gesamten US-Baumwollsubventionen sowie annähernd 50 Prozent der gesamten US-Exportkredite im Jahr 2002.

– Zucker: Die EU verstößt gegen ihre WTO-Verpflichtungen, indem sie fünf Mal mehr subventionierten Zucker auf den Weltmarkt exportiert als erlaubt.

Eine nähere Analyse der möglichen Folgen der WTO-Entscheide hat Oxfam erstellt: Im Web unter www.oxfam.org/eng/pdfs/bp64_cotton_dumping_060904.pdf

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