Nach der Einnahme der Hauptstadt Bangui durch Rebellen im März wird die Lage in der Zentralafrikanischen Republik immer dramatischer. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht bald aktiv wird, könnte das Land endgültig im Chaos versinken.
Die einzige Schnellstraße der Zentralafrikanischen Republik verläuft aus der Hauptstadt Bangui hinaus nach Südwesten durch den Urwald. Nach rund 60 Kilometern – wofür man andernorts zwei Tage braucht, hier aber eine halbe Stunde – taucht eine bizarre Ruine auf: der Palast von Berengo, ehemaliger Amtssitz des „Kaisers“ Jean-Bedel Bokassa (1921-1996) am Rande seines Heimatdorfs. Hinter einem Denkmal und der blaugekachelten Grabstätte, die Nordkorea nach Bokassas Tod stiftete, erstrecken sich verlassene Gebäude, teils überwuchert und verkommen. Dies ist der klägliche Rest des Reichs im Herzen Afrikas, als dessen Kaiser sich Bokassa wähnte, bis er 1979 von französischen Truppen gestürzt wurde.
Heute sieht das gesamte Staatswesen der Zentralafrikanischen Republik aus wie Bokassas verfallene Residenz Berengo: eine Ansammlung von Ruinen. Die Rebellen, die am 24. März 2013 die Hauptstadt Bangui eroberten, stürzten nicht nur den bisherigen Präsident François Bozizé. Sie stürzten das ganze Land ins Chaos. Sie verwüsteten Banguis öffentliche Gebäude, verübten Plünderungen und Morde, zerstritten sich untereinander und führen jetzt Krieg gegen AnhängerInnen ihres Vorgängers. Zustände, die in Teilen der Zentralafrikanischen Republik schon seit Jahrzehnten herrschen, haben nun auch in Bangui die Fassade staatlicher Ordnung hinweggefegt. Ein Zehntel der rund 4,5 Millionen EinwohnerInnen des Landes ist auf der Flucht.
In der Zentralafrikanischen Republik kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Militärcoups. Korruption ist im rohstoffreichen Land ein großes Problem. Der gestürzte Bozizé gehörte einst selbst zu Bokassas Generälen, und er wiederum hatte 2003 den gewählten Präsidenten Ange-Félix Patassé weggeputscht. Patassé war ein ehemaliger Premierminister Bokassas. Es scheint, als sei der gesamte zentralafrikanische Zentralstaat bisher ein Nachhall dieser verblichenen Operettendiktatur gewesen.
So gesehen ist die Machtergreifung der Rebellenallianz „Séléka“ (was in der Nationalsprache Sango „Allianz“ bedeutet) ein kompletter politischer Bruch. Das Land trägt eine lediglich geographische Bezeichnung als Namen und verknüpft damit nationale Identität mit Geographie. Und nun regieren in der Zentralafrikanischen Republik erstmals Machthaber aus der fernen Peripherie, aus dem nordöstlichsten Eck des Landes; die sudanesische Hauptstadt Khartum ist manchen von ihnen vertrauter als die eigene Hauptstadt Bangui, die sudanesische Amtssprache Arabisch beherrschen sie besser als die eigene Amtssprache Französisch; es sind Muslime und keine Christen. Sie fühlen sich in Bangui fremd, und aus Sicht der Einwohnerinnen und Einwohner Banguis sind es Fremde.
Viele politische Oppositionelle in der Hauptstadt begrüßten den Sturz des Militärherrschers Bozizé, ohne jedoch die Machtergreifung des Chaotenhaufens Séléka willkommen zu heißen. Sie wünschen sich in Bangui endlich eine zivile Politik. Doch in den dünn besiedelten, kaum verwalteten Weiten der Zentralafrikanischen Republik garantiert nur die Waffe territoriale Kontrolle. Die Macht des Wortes und des Gesetzes beschränkte sich auf die Hauptstadt, bis jetzt zumindest.
Mit den Séléka-Kämpfern sind Tausende Freischärler und Glücksritter in Bangui eingezogen, die nicht zu kontrollieren sind. Der von Rebellen gekürte Staatspräsident Michel Djotodia hat zwar Séléka jetzt für aufgelöst erklärt, aber das macht es eher noch unklarer als vorher, welchen Status die vielen Tausend Bewaffneten im Rebellenumfeld haben.
Die alte Kolonialmacht Frankreich, die seit der Unabhängigkeit des Landes Soldaten im Land stationiert hat, verfolgt die Ereignisse aus nächster Nähe. Französische Soldaten kontrollieren den Flughafen von Bangui und können damit bestimmen, wer ein- und ausfliegt. Sie haben aber weder im März Bozizé vor dem Sturz bewahrt noch seither etwas gegen Übergriffe unternommen. Frankreich sieht zu, wie die Zentralafrikanische Republik im Chaos versinkt. Je schlimmer die Lage wird, desto lauter werden die französischen Rufe nach internationalem Eingreifen, die vermutlich, so wie in Mali, internationale Rufe nach französischem Eingreifen herbeiführen sollen.
Präsident Djotodia wird sich auf Dauer wohl nur halten können, wenn er französische Hilfe annimmt, um politische Reformen und eine Befriedung des Landes zu erreichen.
Es gibt sie noch, die Chance, dass die Zentralafrikanische Republik es aus der Krise schafft und aus dem Schatten Bokassas hervortritt. Sie schwindet aber mit jedem Monat, in dem die Zentralafrikanerinnen und Zentralafrikaner froh sein können, wenn sie überleben.
Dominic Johnson ist Afrika-Redakteur und Leiter des Auslandsressorts der taz.
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