Das Scheitern der WTO-Ministerkonferenz in Seattle hat Hoffnungen auf eine Korrektur der Schattenseiten der Globalisierung aufleben lassen
Nüchterne Analysen verorten die Ursachen weniger in einer neuen Macht der Zivilgesellschaft als in unüberbrückbaren Differenzen zwischen den USA und der Europäischen Union und im US-Präsidentschaftswahlkampf: Vizepräsident Al Gore braucht die Unterstützung der mächtigen US-Gewerkschaften, um Bill Clinton beerben zu können; da war ein Eintreten für die Durchsetzung von Arbeiterrechten durch die WTO politisch opportun. Und ohnehin waren viele Beobachter der Ansicht, dass von Washington vor der Präsidentschaftswahl kaum größere Handelsinitiativen zu erwarten sind – die weitere Liberalisierung sei daher bloß aufgeschoben, nicht aufgehoben.
So wird das jedenfalls in Brüssel und in Tokio gesehen, wo weiterhin auf die möglichst rasche Einberufung einer neuen, umfassenden WTO-Liberalisierungsrunde gedrängt wird. Auch ist derzeit weder abzusehen, ob die reichen Länder der von den Entwicklungsländern geforderten „Reparatur“ der Uruguay-Runde zustimmen werden, noch ob die Forderung nach einer rascheren Öffnung der Märkte des Nordens für Exporte des Südens eine Chance auf Realisierung hat.
Ob Pyrrhus-Sieg oder nicht, die Entwicklungsländer haben sich nun eine Atempause verschafft. Die tiefere Ursache des Debakels, so Martin Khor, Sekretär des Third World Network in Penang (Malaysia) war jedenfalls der intransparente und undemokratische Charakter der WTO, ihre unverhüllte Manipulation durch mächtige Akteure und die Weigerung vieler Entwicklungsländer, weiter gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Es war eine Art „Weckruf“ an die reichen Länder, um sicherzustellen, dass die Interessen des Südens in einer neuen Liberalisierungsrunde berücksichtigt werden, wie der stellvertretende Ministerpräsident Thailands, Supachai Panitchpakdi, betonte. Er soll gemäß einem im Vorjahr erzielten Kompromiss 2002 den jetzigen WTO-Generaldirektor Michael Moore ablösen.
Nach ihrem Teilerfolg bei der Wahl des neuen Generaldirektors ist es den Entwicklungsländern nun bereits zum zweiten Mal gelungen, die „Oligarchie der Reichen“ in der WTO in Frage zu stellen. Was in Seattle passiert ist, gibt den Entwicklungsländern eine Chance, die WTO neu zu gestalten, versichert der Außenminister Guyanas, Clement Rohee, Vorsitzender der „Gruppe der 77“, einer losen Allianz von Ländern des Südens. Aber Rohee warnt: „Wir können es uns nicht leisten, untätig zu sein… wenn wir in der Lage sind, uns zu einigen und Reformen durchzusetzen, könnte die WTO vielleicht eine Organisation mit den richtigen Regeln werden. Aber es wird ein langer Weg bis dahin sein, und wir werden hart dafür kämpfen müssen.“
Offenbar positiv hat sich Seattle jedenfalls auf die Verhandlungen über ein Post-Lomé-Abkommen zwischen der EU und den 71 AKP-Ländern (Afrika, Karibik, Pazifik) ausgewirkt. Bei einem AKP-EU-Ministertreffen im Dezember in Brüssel wurden in fast allen wesentlichen Fragen entscheidende Durchbrüche erzielt, wobei die AKP-Länder sich insbesondere mit ihrer Forderung nach einer behutsameren Handelsliberalisierung durchsetzen konnten. Nicht nur waren die AKP-Länder durch Seattle ermutigt, auch für die EU war es politisch lebenswichtig, eine gangbare Vereinbarung mit einer wichtigen Entwicklungsländergruppe zu erzielen, betont David Jessop, Leiter einer Lobby-Organisation karibischer Unternehmen in Brüssel. Das Endergebnis soll bei einer weiteren Ministerkonferenz Anfang Februar abgesegnet werden. Und selbst im jahrelangen Bananenstreit zwischen Washington und Brüssel gibt es laut Jessop Anzeichen für Lösungen, die auch die Interessen der karibischen Bananenbauern berücksichtigen.
Ob es weitere „Seattle-Effekte“ gibt, wird sich an einigen wichtigen Konferenzen der nächsten Zeit beurteilen lassen. Die erste ist beim Erscheinen dieser Zeilen schon Geschichte: die Verhandlungen über ein Biosafety-Protokoll zur Biodiversitätskonvention Ende Jänner in Montreal. Dabei geht es darum, ob die so genannte „Miami-Gruppe“ (Argentinien, Australien, Kanada, Chile, Uruguay, USA) ihren Widerstand gegen eine effektive Regulierung des Handels u.a. mit gentechnisch modifizierten Organismen aufgibt.
Bedeutsam könnte auch das Treffen der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung vom 12. bis 19. Februar in Bangkok (UNCTAD X) werden, das sich – unter Beteiligung von Nicht-Regierungsorganisationen und Unternehmensvertretern – ausdrücklich mit dem Zusammenhang von Verteilungsgerechtigkeit und Globalisierung befasst. Das Treffen eignet sich laut UNCTAD-Generalsekretär Rubens Ricupero besonders, zu einer Art „Weltparlament über die Globalisierung“ zu werden: Regierungen und internationale Organisationen sollten diese Chance nutzen, „um ihre Sensibilität für die Sorgen der Menschen unter Beweis zu stellen, die in Seattle auf die Straße gingen, sowie ihre Bereitschaft, einen offenen, transparenten und von gegenseitigem Respekt getragenen Dialog zu führen“.
Eine Einbindung der Zivilgesellschaft ist auch erforderlich, um zu vermeiden, was für Experten durchaus im Bereich des Möglichen liegt: dass es einer Allianz aus konservativen Globalisierungsgegnern und progressiven Gruppen, die die WTO wegen ihres Versagens in der Verteilungsfrage bekämpfen, gelingen könnte, das von der WTO verkörperte Projekt einer globalen Regulierung zu torpedieren. Dies würde den Entwicklungsländern ein potentiell nützliches Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen entziehen – und zu einem Ergebnis führen, das gemessen an globalem Wachstum und Wohlstand schlechter wäre als der Status quo, so Peter Evans von der Universität Berkeley (Kalifornien).
Zwei Abstimmungen im US-Kongress sollten daher beachtet werden: die eine im März über den Verbleib der USA in der WTO, die andere über das Abkommen zwischen Washington und Peking über den WTO-Beitritt Chinas, wogegen US-Gruppen wie Public Citizen bereits vehementen Protest angekündigt haben.
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