Die palästinensische Schriftstellerin erzählt in ihrem halb autobiografischen Roman „Keine Luft zum Atmen – Mein Weg in die Freiheit“ ihre Lebensgeschichte. Im Interview spricht sie u. a. vom Leben in Gaza, falschen Erwartungen an arabische Frauen und wie es ihr beim Schreiben gegangen ist.
In der palästinensischen Literatur nehmen die Belastungen durch die israelische Besatzung einen breiten Raum ein. Sie schreiben auch darüber, wie Sie als rebellisches Mädchen in einer konservativen Familie ausgebremst wurden oder wie Schwarze Palästinenserinnen und Palästinenser diskriminiert werden. Worauf wollen Sie hinaus?
Tendenziell wird von dir als Palästinenser oder Palästinenserin, der oder die unter israelischer Besatzung lebt, verlangt, lieber nicht über dieses oder jenes zu schreiben; wie um unsere eigenen Versäumnisse und Mängel hinter der israelischen Besatzung zu verstecken. Natürlich beeinflusst das eine das andere. Aber während wir gegen die Besatzung kämpfen, können wir auch gegen die konservative Gesellschaft kämpfen. Wir müssen die Benachteiligung von Frauen oder Schwarzen in unserer Gesellschaft auch angehen. Nur weil ich unter Besatzung lebe, habe ich nicht das Recht, andere zu unterdrücken.
Aber Druck von außen verstärkt wiederum die Gewaltbereitschaft im eigenen Umfeld. Hängt das nicht zusammen?
Genau, deshalb urteile ich nicht in meinem Roman. Ich schreibe über den Stadtteil von Gaza, in dem ich aufgewachsen bin. Gaza ist eine der ärmsten Regionen der Welt, von der israelischen Armee umzingelt, die Menschen haben keine Arbeit, kein Geld und sie können nicht raus. Also was kann man tun? Es wird sehr viel getratscht und beobachtet, was wer in der Nachbarschaft tut. Gewalterfahrungen und Traumatisierungen werden von einer Generation an die andere weitergegeben. Meine Großmutter hat ihren Verstand verloren, als sie im Negev von Israelis aus ihrem Haus vertrieben wurde und mit meinem Großvater nach Gaza lief, um zu überleben. Ich habe ihr Trauma auch durchlebt.
„Arabische Frau befreit sich von ihrer repressiven Kultur“ ist im Westen ein beliebtes Klischee. Wie kann man über Benachteiligung schreiben und gleichzeitig diesem Klischee entgehen?
Ich möchte das Stereotyp von der unterdrückten, verschleierten arabischen Frau nicht bedienen. Das möchte der Westen gerne in uns sehen, aber das sind wir nicht. Diese Form von Orientalismus ist eine westliche Fantasie. Meine Mutter etwa kann weder lesen noch schreiben, sie war nur kurz auf der Schule, aber sie ist sehr stark.
Aber man sieht – auch auch in der Literatur-, jüngere arabische Frauen wesentlich radikaler sind, oder?
Ja, die junge Generation von heute erhebt ganz andere Ansprüche als die Älteren. Es gibt Frauen, die ihr Leben riskieren, um zur Schule gehen zu können, während in Europa Feministinnen darüber diskutieren, ob wir uns die Haare rasieren sollen oder nicht. Diese Art von Feminismus interessiert mich nicht, wir müssen die wirklich wichtigen Fragen ansprechen – hier und in der arabischen Welt, wo viele Frauen Angst vor den Folgen haben müssen, wenn sie Missstände ansprechen.
Sie beschreiben die brutale Gewalt in Ihrer Familie. Trotzdem liest sich Ihr Roman leicht. Arbeiten Sie bewusst mit dem Mittel der Ironie, um die Schwere für den Leser abzufedern?
Wenn es für mich wirklich hart wurde beim Schreiben, weil schlimme Erinnerungen und Gefühle hochgekommen sind, habe ich fiktive Elemente und Ironie eingebaut. Ich wollte zeigen, wie man das Tragische in eine Komödie verwandeln und das Absurde darin zum Ausdruck bringen kann. Wir lachen viel in Gaza, das ist Teil unseres Widerstands. Wir machen uns über alle lustig, die Israelis, die Hamas und über uns selbst. Manchmal ist alles zu viel, aber danach machen wir wieder Witze. Über das Lachen können wir uns besser verbinden als über Tränen. Verdammt, wir wollen doch einfach nur leben.
Interview: Claudia Mende
Asmaa al-Atawna beschreibt in ihrem Roman „Keine Luft zum Atmen – Mein Weg in die Freiheit“ (Lenos, Basel 2021, 172 Seiten, 16,50 €) das Leben in Gaza aus der Perspektive des rebellischen Mädchens Asmaa, das in Familie und Schule aneckt und zahlreiche Gewalterfahrungen machen muss. Im Alter von 18 Jahren gelingt ihr mithilfe ihres Spanischlehrers die Flucht nach Europa; doch auch dort muss sie erst um ihre Selbstbestimmung kämpfen.
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