Fünf Jahre lang arbeiten internationale ForscherInnen gemeinsam daran, wirksame Rezepte gegen Armut zu finden und Barrieren zwischen Wissenschaft und Politik zu überwinden.
Ina Ivanceanu und Caroline Tagesen
Oktober 2013, Madrid. In einem Klassenzimmer in der Universidad Autonoma de Madrid findet ein kommunikatives Experiment statt: ForscherInnen aus Europa, Afrika, Asien und Lateinamerika diskutieren mit VertreterInnen spanischer und ecuadorianischer Behörden. Die gemeinsamen Themen: Migration zwischen Ecuador und Spanien sowie das Verbesserungspotenzial von Entwicklungszusammenarbeit. Initiiert wurde der Workshop im Rahmen des EU-Forschungsprojekts „Nopoor“.
Nopoor, das steht für fünf Jahre Forschung auf vier Kontinenten und ein Ziel: innovative Vorschläge zur Armutsbekämpfung – gerichtet an PolitikerInnen und staatliche Gremien in Nord und Süd, internationale Organisationen wie Weltbank und UNDP, NGOs. Wissenschaft und Politik – eigentlich besteht zwischen den beiden Bereichen eine logische Verbindung. Doch die Wirklichkeit sieht meist so aus: Die Wissenschaft forscht. Die Politik trifft Entscheidungen. Relevante AkteurInnen bahnen sich ihren Weg durch Richtlinien und politische Vorgaben. Betroffene spüren die Auswirkungen. Und dazwischen herrscht zumeist Stille.
Doch gerade in Bereichen, wo Menschen von Armut betroffen sind, sollte die Politik möglichst informierte Entscheidungen treffen. Im Nopoor-Projekt arbeiten während des fünfjährigen Projektzeitraums über 100 ForscherInnen aus insgesamt 20 Ländern zusammen, um bestehende Lösungsansätze zu überprüfen, Konzepte zu überdenken, neue Methoden zu erforschen: Wie entsteht Armut? Wie entkommt man ihr? Welche Mechanismen machen Armut so hartnäckig und beständig, und was lässt sich dagegen tun? Nopoor umfasst über 100 Themen – vom Erforschen sozialer Netzwerke bis zur Analyse von Bildungs-und Sozialprogrammen.
Was das Projekt liefern soll: fundierte, empirisch überprüfte Erkenntnisse mit hoher Politikrelevanz und globale Aussagen über Armut. Rainer Thiele, Leiter des Bereichs „Armutsminderung und Entwicklung“ am Institut für Weltwirtschaftsforschung in Kiel, erforscht mit seinem Team ein Dilemma, vor dem die so genannten Geberstaaten stehen. Oft liegt gerade in den Ländern, die am meisten unter Armut leiden, auch eine schlechte Regierungsführung vor. Die Geber fürchten, dass ihre Mittel im Staatsapparat versickern. „In unserer empirischen Studie im Rahmen von Nopoor sehen wir, dass Geber dazu übergehen, solche Regierungen zu umgehen. Sie führen ihre Projekte direkt mit internationalen und lokalen NGOs durch. Das mag aus Gebersicht naheliegen, ist aber entwicklungspolitisch umstritten.“ Denn damit Projekte nachhaltig wirken können, müssen sie in die nationale Politik des Empfängerlandes eingebettet sein.
"Eingeschränktes Lernvermögen“
Anke Höffler vom Centre for the Study of African Economies der Universität Oxford arbeitet zu Wirtschaftswachstum und -entwicklung aus dem Blickwinkel politischer Ökonomie. Für das Südwind-Magazin erläutert sie die Relevanz ihrer Forschung für Armutsbekämpfung.
Im Rahmen von Nopoor forsche ich dazu, was „freie und faire Wahlen“ ausmacht und wie sich diese Parameter messen lassen. Die Qualität von Wahlen wirkt sich direkt auf die politische, soziale und wirtschaftliche Lage im Land aus: es geht um den Rückgang von Korruption, die Verbesserung öffentlicher Dienste, steigendes Wirtschaftswachstum. Wichtig ist, dass Forschungsergebnisse Wirkung erzielen. Viele Programme der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) entstehen fast ohne wissenschaftlichen Input. Wenn WissenschafterInnen diese (mit)konzipieren und während der Umsetzung Daten sammeln, könnte das eine Verbesserung der Programme und damit auch der Lebenswelten von Menschen, die in Armut leben, bewirken. Anhand der Daten könnten die Programme auch evaluiert werden. Meist ist das Design eines EZA-Programms aber nicht für eine wissenschaftliche Evaluierung tauglich, das schränkt das Lernvermögen auf Geber- und Empfängerseite stark ein.
Die österreichische Forschungs-NGO Oikodrom hat im Rahmen von Nopoor den Auftrag, Kommunikationsprozesse anzuregen – zwischen den verschiedenen AkteurInnen, die Armut verändern wollen, können, sollen. In Österreich wird derzeit ein Pilotprojekt aufgebaut: In Workshops und durch Interviews mit PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen, VertreterInnen von NGOs und JournalistInnen werden Vorschläge erarbeitet, wie Forschungsergebnisse im Bereich Armutsbekämpfung besser in die Politik integriert werden können. Ein komplexer Prozess, mit vielen Barrieren auf beiden Seiten – auch das ist wissenschaftlich erforscht. PolitikerInnen treffen ihre Entscheidungen auf Basis ihrer politischen Orientierung, ihrer Erfahrung, ihrer vorhandenen Ressourcen, ihrer Werte und Gewohnheiten – und sie stehen unter dem Einfluss von LobbyistInnen und Interessenverbänden. Sie orientieren sich nur zum Teil an wissenschaftlichen Erkenntnissen und tendieren gemeinhin dazu, Forschungsergebnisse passend zu ihren politischen Zielen und Neigungen auszuwählen.
Auch auf Seite der ForscherInnen in Nopoor gibt es Vorbehalte, sich auf den Dialog mit der Politik einzulassen. Forschung braucht Zeit, die die Politik nicht hat. Forschungswissen wird im tagespolitischen Gebrauch verkürzt und verdichtet dargestellt – das führt oft zu Unschärfen und ungültigen Verallgemeinerungen. Es ist auch eine Frage von Sprache, Format und Meinungsbildung: etwa eine wissenschaftliche Publikation im Fachjargon und in Buchformat zu einer konkreten Politikempfehlung auf zwei Seiten zusammenzufassen. Den letzten Schritt beschreibt Edgar Aragon, mexikanischer Public Policy-Experte in Nopoor: „Das Forschungsergebnis muss dann zur richtigen Zeit an den richtigen Ort gelangen und auf eine aktuelle politische Debatte Bezug nehmen. Für diesen Prozess braucht es eigene BeraterInnen oder spezielle NGOs, die genau an dieser Schnittstelle arbeiten.“
Zurück zum Workshop in Madrid. Nach intensiven Diskussionen – unter anderem über Menschenrechte von MigrantInnen, unbefriedigende Geberkoordination und Steuerreformen in Lateinamerika – sind sich in der Schlussrunde Forschende und PolitikvertreterInnen einig: eine verstärkte Zusammenarbeit ist sinnvoll.
Bis der Name des Projekts Wirklichkeit wird und Armut abgeschafft werden kann, ist es noch ein weiter Weg. Aber im Idealfall stehen am Ende von Nopoor ein neues Verständnis von Armut und eine neue Allianz zwischen verschiedenen AkteurInnen, die diese gemeinsam bekämpfen.
Ina Ivanceanu ist Afrikanistin und leitet den Bereich Dissemination in Nopoor. Caroline Tagesen ist Kultur- und Sozialanthropologin und wissenschaftliche Assistentin in Nopoor.
Informationen und Kontakt zum Projekt: www.nopoor.eu, www.oikodrom.org
Oikodrom baut derzeit im Rahmen von Nopoor ein Pilotprojekt in Österreich zum Thema „Wissenschafts-Politik Transfer für bessere Armutsbekämpfung“ auf. Kontakt für Interessierte: caroline.tagesen@oikodrom.org
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