Mit 48,2 Prozent der Stimmen setzte sich der Mitte-Links-Politiker Alberto Fernández bei der Präsidentschaftswahl am 27. Oktober im ersten Wahlgang durch.
Von Jürgen Vogt, aus Buenos Aires
Alberto Fernández vom Partido Justicialista kam bei seinem Wahlsieg im Oktober über die erforderlichen 45 Prozent. Der amtierende konservative, neoliberale Präsident Mauricio Macri landete mit 40,3 Prozent auf Platz zwei. Entscheidend für den Wechsel war die katastrophale Wirtschafts- und Sozialbilanz der vier Präsidentschaftsjahre von Macri. Mit dem Sieg von Fernández errang die ehemalige Präsidentin Cristina Kirchner, sie war von 2007 bis 2015 Präsidentin, das Amt der Vizepräsidentin.
Fernández hatte in der Vergangenheit stets betont, dass die Wahl mit Kirchner nicht zu gewinnen sei, ohne sie aber auch nicht. Wegen ihres autoritären Führungsstils ist die ehemalige Präsidentin für viele ein rotes Tuch. Zudem sind mehrere Korruptionsverfahren gegen sie anhängig.
Auf der anderen Seite verfügt sie über eine treue Anhängerschaft. Die Entscheidung, für das Vizeamt zu kandidieren und Fernández zum Präsidentschaftskandidaten zu machen, erwies sich als genialer Schachzug. Dass dies wenig mit einer innerparteilichen Demokratie zu tun hat, stört in Argentinien kaum jemanden. PräsidentschaftskandidatInnen werden am Río de la Plata meist im Hinterzimmer ausgehandelt oder schlicht von mächtigen Personen bestimmt. Während sie mit ihren StammwählerInnen 30 Prozent einbrachte, gelang es Fernández, durch sein offenes Zugehen auf die unentschlossenen und „Anti-Cristina“-Stimmberechtigten den notwendigen Stimmenzuwachs zu holen.
Schweres Erbe. Das Erbe, das Fernández am 10. Dezember beim Amtsantritt von seinem Vorgänger Macri übernehmen soll, wiegt schwer: Seit knapp drei Jahren schrumpft die Industrieproduktion. Die Arbeitslosenrate ist mit 10,1 Prozent so hoch wie zuletzt vor dreizehn Jahren. 35,4 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. Die Inflationsrate von 55 Prozent ist die dritthöchste weltweit.
Mitte September musste der Kongress in Eilsitzungen den Ernährungsnotstand verlängern und bewilligte für den Rest des Jahres zusätzliche Lebensmittelhilfen für Arme und Notleidende im Wert von 170 Millionen Euro. Auch die Staatsverschuldung ist unter Macri enorm gestiegen. Allein im kommenden Jahr beträgt der Schuldendienst 45 Milliarden US-Dollar.
„In der aktuellen Situation der argentinischen Wirtschaft können wir die Schulden nicht bezahlen“, so Fernández. Er kündigte harte Schuldenverhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) an. Alles hängt vom Ergebnis dieser Verhandlungen ab. Deshalb hält sich der zukünftige Präsident mit konkreten Ankündigungen, wie die Wirtschaft wieder flott gemacht, der Konsum gesteigert sowie die Arbeitslosigkeit und Armut verringert werden kann, zurück.
Trotz seines Triumphes wird Fernández im zukünftigen Abgeordnetenhaus, wo die Hälfte der 274 Parlamentarier neu gewählt wurde, mit 120 Sitzen nicht über eine eigene Mehrheit verfügen. Macris Parteienbündnis wird mit 119 Mandaten stärkste Oppositionsfraktion im Parlament sein. Im zukünftigen Senat hingegen kann sich Fernández auf eine Mehrheit von 37 SenatorInnen stützen. Macris Bündnis kommt auf 29 Mandate.
Hoffnung für neues Gesetz. Die Zusammensetzung des zukünftigen Kongresses ist nicht nur wichtig für die Vorhaben des kommenden Präsidenten. Sie ist auch entscheidend für eines der wichtigsten Themen, das die argentinische Gesellschaft wie kein anderes in den vergangenen Jahren mobilisiert hat: die Lockerung des strikten Abtreibungsverbots. 2018 erhielt das „Gesetz für eine legale, sichere und kostenlose Abtreibung“ eine knappe Zustimmung im Abgeordnetenhaus, scheiterte aber letztlich im Senat.
Mit Fernández hat Argentinien erstmals einen Kandidaten zum Präsidenten gewählt, der sich für das Recht auf freiwilligen Schwangerschaftsabbruch ausgesprochen hat. Während im Abgeordnetenhaus mit einer neuerlichen Zustimmung zu rechnen ist, übernimmt im Senat mit Vizepräsidentin Kirchner ebenfalls eine Befürworterin des Gesetzes das Amt der Senatspräsidentin.
Jürgen Vogt lebt seit 2005 in Buenos Aires und ist u.a. Korrespondent der taz. Vor einem Jahr schrieb er für das Südwind-Magazin einen Beitrag zum Thema Abtreibung in Argentinien: „Wir haben die Straße gewonnen“.
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