Kaum ein Staat der Welt verfügt über so viele Arbeitskräfte wie Indien. Die Autorin, selbst Betriebsrätin, reiste in das Land und führte Gespräche mit GewerkschaftsvertreterInnen. Ein Resümee.
Indien ist am Arbeitskräftepotenzial gemessen das zweitgrößte Land der Erde. Die ArbeitnehmerInnenschaft wächst jährlich um unglaubliche 12,8 Millionen. Etwa 130 Millionen Menschen im Land können sich aber trotz Arbeit aufgrund des niedrigen Lohns ihren eigenen Lebensunterhalt kaum leisten.
Über 90% der gesamten ArbeitnehmerInnenschaft ist im informellen Sektor tätig. Sie sind durch die Gesetze wenig bis gar nicht geschützt. HeimarbeiterInnen oder Menschen, die auf der Straße arbeiten, schuften meist unter katastrophalen Bedingungen und für zu wenig Geld. Dazu gehören etwa Obst- und GemüsehändlerInnen, FriseurInnen, Schuhputzer oder ArbeiterInnen, die nur auf Vertragsbasis beschäftigt sind und deren Vertrag oft nur auf ein Jahr befristet ist. All das sind Faktoren, die es GewerkschaftsvertreterInnen in Indien schwer machen, ihre Aufgaben zu erfüllen.
Privatisierung und Outsourcing sind auch in Indien Begleiter der Globalisierung. Der Verlust von Arbeitsplätzen zeichnet sich in vielen Branchen ab. Die Indian Railway, die staatliche indische Eisenbahngesellschaft, hat seit 1975 18 Millionen Stellen gestrichen. Weitere 2,5 Millionen Bedienstete sollen noch eingespart werden. In der Textilbranche wurden innerhalb eines Jahres 80 Fabriken im ganzen Land geschlossen. Die Firmen wanderten in benachbarte Billiglohnländer ab, wo noch günstiger produziert wird. Über 300.000 Menschen haben deshalb ihren Arbeitsplatz verloren.
Interessen richtig vertreten
Die Sozialakademie der Arbeiterkammer Wien bietet eine umfassende zehnmonatige Ausbildung für ArbeitnehmervertreterInnen an. Der Lehrgang bereitet auf die Tätigkeit in Betrieben und Dienststellen, in Gewerkschaften und im ÖGB sowie in den Arbeiterkammern vor. Erfahrungen in der betrieblichen oder überbetrieblichen Interessenvertretung sind Voraussetzung für die Teilnahme. Im Zuge der Ausbildung können die TeilnehmerInnen Auslandpraktika absolvieren. Sie haben so die Möglichkeit, betriebliche und gewerkschaftliche Strukturen anderer Länder kennenzulernen. Auch der internationale Zusammenhalt soll dadurch gestärkt werden.
Der Kurs beginnt jeweils im September und findet im Bildungszentrum der AK Wien im 4. Bezirk statt.
Nähere Informationen unter 01/ 501 65 0.
Mehr als 75.000 Gewerkschaften, denen zwölf nationale Dachgewerkschaften übergeordnet sind, kämpfen fortwährend um ihr eigenes Bestehen. Ihr Einsatz für die Rechte der ArbeiterInnen wird durch die geringen finanziellen Mittel erschwert, die sich aus den niedrigen Mitgliedsbeiträgen ergeben.
Die Gewerkschaften sind bestrebt, das Vertrauen in sie bei den ArbeiternehmerInnen zu stärken. Dies geschieht zum Beispiel über das Anbieten von Kursen zu Grundrechten, Frauenrechten oder zur Aufklärung über Kinderarbeit. Aufgrund der noch immer hohen Analphabetismusrate im Land werden auch Kurse angeboten, in denen Lesen und Schreiben unterrichtet wird. Gewerkschafterinnen gründeten außerdem eine eigene Institution, in der arbeitslosen Frauen, die keinen Beruf erlernt haben, gezeigt wird, wie man näht, strickt oder häkelt, wie man Räucherstäbchen fertigt oder Schmuck herstellt, um zum Familienlebensunterhalt beitragen zu können.
Viele Produkte, die wir konsumieren, werden in Indien unter schlechtesten Arbeitsbedingungen billigst erzeugt. Wir kaufen sie ohne Bedenken um den zigfachen Preis und fördern die Gewinnmaximierung der multinationalen Konzerne. Indien wird bald ein Viertel aller ArbeitnehmerInnen der Welt auf sich verbuchen können. Daher müssen wir auch die gewerkschaftlichen Kräfte länderübergreifend bündeln und internationale Lösungen zum Schutze aller ArbeiterInnen finden.
Petra Nehrer ist Betriebsrätin in der Wiener Niederlassung eines IT-Großkonzerns. Im Zuge ihrer Ausbildung an der Sozialakademie der Arbeiterkammer Wien verbrachte sie einen Monat in Indien, vorwiegend in Mumbai.
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