Spät, aber doch, hat sich der globale Widerstand auch in Österreich formiert. Die Mobilisierung zum Weltwirtschaftsforum in Salzburg war ein erster Kristallisationspunkt der Bewegung.
Schon in den Tagen vor dem 1. Juli, dem Beginn des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Salzburg, war die romantische Mozartstadt von verschiedenen Polizei-Einheiten belagert; über die ganze Stadt war ein Demonstrationsverbot verhängt worden. Das konnte jedoch nicht verhindern, dass etwa 5000 DemonstrantInnen aus dem ganzen Land zusammengekommen waren: das stärkste Lebenszeichen eines politischen Widerstandes seit den 70er Jahren.
In der Nacht vor dem Gipfelbeginn wurde ein Schlafplatz von DemonstrantInnen von einer WEGA-Einheit angegriffen. Die etwa 50 Angehörigen der polizeilichen Sondertruppe stießen jedoch auf unerwarteten – und friedlichen – Widerstand. Die Angegriffenen hatten blitzschnell mehrere dichte Ketten gebildet und sangen lachend „Pippi Langstrumpf“, „Give Peace a Chance“ und „Singing in the Rain“. Die WEGA blies ihren Einsatz ab.
Die große Protestkundgebung vom nächsten Tag endete im mittlerweile berühmten „Kessel“: Die DemonstrantInnen wurden von der Polizei stundenlang eingeschlossen, angegriffen, Einzelne verhaftet. Dennoch kam es zu keinen größeren Auseinandersetzungen.
„Bemerkenswert die relative Ruhe und Friedfertigkeit der überwiegend jugendlichen, aus der linken Szene kommenden Demonstranten“, blickt Leo Gabriel zurück, Sprecher von „Euromarsch Österreich“ und einer der allseits präsenten Aktivisten der Bewegung. Für ihn war das Aufzeigen der Existenz eines globalen Widerstandes in Österreich der wichtigste Erfolg von Salzburg.
Die Mobilisierung zu den Protesten wurde vorbereitet und getragen von traditionellen Parteien wie KPÖ und Grünen; der Sozialistischen Jugend; von ATTAC sowie den relativ jungen Organisationen einer neuen Linken in Österreich, wie Linkswende, Sozialistische LinksPartei (SLP), ArbeiterInnenstandpunkt, Antifaschistische Linke (AL) u.a. Und Letztere sind es vor allem, die den globalen Widerstand auch nach Salzburg als zentrales Thema ihrer Aktivitäten verstehen und ihm eine klar antikapitalistische Ausrichtung geben.
„Unser vorrangiges Ziel ist heute, aus der antikapitalistischen Bewegung eine neue Linke zu formieren; das mittelfristige Ziel ist, die Inspiration und Agitationsformen der antikapitalistischen Bewegung in die Betriebe und Gewerkschaften einfließen zu lassen, eine neue soziale ‚Bewegung von unten‘ zu bilden“, fasst K. P. von der Linkswende die Zielsetzungen dieser Organisation zusammen. Die Linkswende, die sich wie die SLP auch stark und dauerhaft im Widerstand gegen die Schwarz-Blau-Regierung engagiert hat, ist Teil der „International Socialist Tendency“ (IST), einer in den 60er Jahren in England aus der Kritik am osteuropäischen Staatskapitalismus heraus entstandenen Bewegung mit Schwesterorganisationen in allen Kontinenten.
Auch die Sozialistische LinksPartei, die im vergangenen Jahr den Schritt von der AktivistInnengruppe zur Parteigründung gewagt hat, ist die österreichische Sektion einer britischen Linken, dem „Committee for a Worker’s International“ (CWI). Für die Mitgliedsorganisationen des CWI ist die globalisierte Protestbewegung schon seit einiger Zeit ein Schwerpunkt der Arbeit. „Bei dieser Bewegung entsteht ein antikapitalistisches Bewusstsein, das weltweit eine neue Qualität bedeutet“, so Sonja Grusch, Bundessprecherin der SLP. „Es wird nicht mehr der eine oder andere Missstand kritisiert, sondern das System an sich – der Kapitalismus – in Frage gestellt.“
Auch wenn die Teilnahme an den internationalen Protestaktionen für wichtig und beinahe verpflichtend gehalten wird: das „Summit Hopping“ allein, der Wanderzirkus der Proteste gegen die Gipfeltreffen der globalisierten Politik und Wirtschaft, wird als unzureichend betrachtet. Auch für den ArbeiterInnenstandpunkt – ebenfalls die österreichische Sektion einer „globalen“ Bewegung, der „Liga für eine revolutionär-kommunistische Internationale“ (LRKI) – ist das oberste Ziel die weltweite sozialistische Revolution gegen den globalen Kapitalismus. „Wir verstehen unter Globalisierung den in der Natur des Kapitalismus liegenden Drang nach weltweiter Durchdringung und Unterwerfung aller Völker und Nationen unter seine Herrschaft“, definiert Michael Pröbsting, Sprecher dieser bereits 1986 entstandenen Organisation.
Eine engere Zusammenarbeit des globalen Widerstands in Österreich erscheint allen Organisationen wünschenswert und sinnvoll – in der Praxis zeigen sich jedoch ziemliche Berührungsängste. „Es gibt in der Anti-Globalisierungsbewegung mehrere große Scheidelinien“, erklärt Michi Bonvalot von der Antifaschistischen Linken. „Eine davon wird durch die Frage gekennzeichnet, wie wir an die Organisationen des Kapitals (G8, Weltbank, Internationaler Währungsfonds, WTO, World Economic Forum…) herangehen. Einige Organisationen vertreten den Kurs einer Reformierung dieser Institutionen, andere – wie wir – halten es für unrealistisch, dass sich der Kapitalismus und seine Institutionen reformieren lassen.“ Die AL entstand vor zwei Jahren aus der antirassistischen Bewegung und versteht sich als revolutionäre und sozialistische Gruppe in trotzkistischer Tradition.
Der Vorwurf des Reformismus trifft vor allem ATTAC, das internationale „Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte“, das von Frankreich seinen Ausgang nahm. Die noch relativ junge Bewegung genießt eine beträchtliche Medienpräsenz und mobilisiert Menschen aus allen Altersgruppen und Bevölkerungsschichten. Das Kernthema von ATTAC sind die Finanzmärkte – Kennwort Tobin-Steuer –, „doch da diese Druck auf das gesamte Wirtschaftsgefüge ausüben, greifen wir auch andere Themen auf, etwa die WTO“, umreißt Karin Küblböck, Obfrau von ATTAC Österreich, das Arbeitsfeld der Organisation. ATTAC fühlt sich als Bestandteil des globalen Widerstandes und zugleich als Globalisierungsbefürworter im Sinne einer Reformierung des internationalen Finanz- und Wirtschaftsgefüges. Mit Freude stellt die Ökonomin Küblböck fest, dass nicht nur Gewerkschaften und entwicklungspolitische Organisationen Mitglieder von ATTAC sind, sondern sich auch immer mehr große etablierte Institutionen wie Greenpeace und Amnesty International verstärkt um wirtschaftspolitische Themen kümmern.
Salzburg – wo auf Einladung des Bürgermeisters auch in den nächsten fünf Jahren der WEF-Gipfel abgehalten werden soll – könnte somit auch in Zukunft ein Sammelpunkt und Prüfstein des globalen Widerstandes made in Austria werden. Und dieser Widerstand wird wohl anwachsen; das Unbehagen an der vorherrschenden Wirtschaftspraxis ergreift immer breitere Teile der Bevölkerung. Zur Zeit wird, vor allem von der „jungen Linken“, in Richtung Brüssel mobilisiert, wo Mitte Dezember der EU-Gipfel mit dem Schwerpunktthema Asylpolitik stattfinden wird.
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