Anti-Werbung für Europa

Von Redaktion · · 2017/09

Warum der Vorschlag, das Mittelmeer zu „schließen“ unsinnig ist, und was eine Alternativlösung in der Migrationskrise wäre. Livia Klingl liefert Argumente.

Boote voller Menschen, die sich in Lebensgefahr begeben haben, um Europa zu erreichen: Man sieht sie täglich in den Medien und könnte den Eindruck bekommen, es landet tatsächlich halb Afrika „bei uns“. Wahr ist, die Zahl der Flüchtlinge und Migranten in Europa nimmt deutlich ab – mit Ausnahme von Italien und Spanien.

Österreich erreichten laut Innenministerium im ersten Halbjahr 14.627 AsylantragstellerInnen. Trotz der deutlich gesunkenen Zahl sind „die Flüchtlinge“ und „die Migranten“ nicht aus den Schlagzeilen wegzudenken und nicht wenige Politiker tun alles dazu, dass dies auch so bleibt.

Die 14.627 AsylwerberInnen beweisen, dass die Balkanroute mitnichten lückenlos geschlossen ist. Noch viel schwieriger wäre es, das Mittelmeer abzuriegeln und kein Durchschnittsmensch würde versuchen, wen oder was auch immer im Wasser zu stoppen, wenn es auch an Land möglich ist. Denn im Wasser ist es am Schwierigsten und am Kostspieligsten.

Ausweichmanöver. Am 9. August sind 50 Menschen in einem Schlauchboot an der andalusischen Küste gelandet und haben Frauen im Bikini und Männer in Badehosen in großes Erstaunen versetzt. Das Auftauchen der Hoffnungssuchenden am spanischen Strand und die steigende Zahl der Anlandungen, wie das in der Fachsprache heißt, in Spanien beweist: Wird die Route im östlichen Mittelmeer ob stärkerer See–kon–trollen schwieriger, weichen die Schlepper auf den noch viel gefährlicheren Westen des Mittelmeeres aus. Wer immer also auf die Idee kommt, das Mittelmeer „abzusperren“, lässt sich auf ein nervenaufreibendes Katz- und Mausspiel mit skrupellosen Menschenschmugglern ein, die den Vorteil haben, dass sie durch kein Gesetz und keine Moral gebremst werden.

Die EU hat ob des tatsächlich dringend zu lösenden Wanderungsproblems Schreibtischladen voller Vorschläge und Maßnahmen, wie mit der Migration aus Afrika umgegangen werden soll (vgl. auch Artikel dazu auf Seite 20 in dieser Ausgabe). Jedem Fachmann, jeder Fachfrau ist klar, dass nur ein in einander verschränktes Maßnahmenpaket und nicht zugespitzte Schlagzeilen Wirkung zeigen werden.

Schleppern widersprechen. Was eigenartigerweise bei all den vielen Vorschlägen, von Rückführung nicht asylwürdiger MigrantInnen in ihre Herkunftsländer im Gegenzug zu einer Quote für legale Einwanderer in die EU bis zu den kaum durchzusetzenden Auffanglagern in Nordafrika, nicht vorkommt, ist ein vergleichsweise billiger: Anti-Werbung für Europa.

Die frühere Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (heute Landeshauptfrau Niederösterreichs, Anm. d. Red.) hat einst mit Anti-Werbung im Kosovo mehr oder weniger über Nacht die Flucht von fast ausschließlich nicht asylwürdigen KosovarInnen nach Österreich beendet. Sie hat die Werbung der Schlepper, wonach bei uns Milch und Honig fließen, will heißen, besser bezahlte Arbeitsmöglichkeiten als im Kosovo vorhanden sind, konterkariert, hat mitgeteilt, dass es keinen Sinn hat, das wenige zu verkaufen, um das Geld den Schleppern in den Rachen zu stopfen. Sie hat klar gemacht, dass jene, die den Schleppern auf den Leim gehen, zurückgeschickt werden und dann nicht einmal mehr die zwei Schafe besitzen, die sie zwecks Schlepperbezahlung verkauft haben.

Eine solche Werbe-, vielmehr Antiwerbeaktion könnte Österreich, könnte die gesamte EU in den Hauptherkunftsländern von nicht asylwürdigen MigrantInnen in Afrika starten.

Die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR hat eine respektable Sammlung an krassen Lügen der Schlepper, diesen gelte es zu widersprechen: Für AsylwerberInnen, die keine Chance auf Asyl haben, wartet in Europa nicht das Paradies, sondern oft die Gosse oder das Gefängnis. Man kann meist nicht legal arbeiten, nicht das Schleppergeld zurückzahlen und nicht die Familie zu Hause finanziell unterstützen, man kann sich keine Zukunft aufbauen.

Selbst wenn die EU damit nicht alle Auswanderungswilligen erreicht: Jeder, der nicht kommt, erspart sich ein elendes Schicksal. Und uns Schlagzeilen und den Zulauf zu rechten Parteien.

Livia Klingl ist Journalistin und Autorin.

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