Kann das Versehen eines Technikers eine weltweite Finanzkrise auslösen? In der Regel wohl nicht. Dass jedoch die Angst vor einer Art „Schmetterlingseffekt“ existiert, zeigte sich beim Gipfeltreffen der Organisation erdölexportierenden Länder (OPEC) in Riad Mitte November – aufgrund eines versehentlich nicht abgeschalteten Mikrofons. So erfuhr die Welt, wovor der saudi-arabische Außenminister Prinz Saud el Faisal in einer vertraulichen Sitzung warnte: Bloß zu überlegen, das Erdölgeschäft in Zukunft nicht mehr in US-Dollar abzuwickeln, könnte einen Kollaps der US-Währung nach sich ziehen.
Der Vorfall wirft ein bezeichnendes Licht auf den aktuellen Zustand des Weltwährungssystems. Denn genau das wird schon seit Jahren auch auf offizieller Ebene befürchtet: Eine „chaotische“ Anpassung der Wechselkurse, Kapital- und Handelsströme, die einen Ausgleich der bestehenden „globalen Ungleichgewichte“ erzwingen – sprich, der hohen Leistungsbilanzdefizite der USA und der entsprechenden hohen Überschüsse in Asien und in Rohstoffexportländern. Die von den USA ausgehende Dollarflut wird mangels Bedarf zumeist in Form von US-Staatsanleihen „zwischengelagert“ – und dieser Berg liquider Vermögenswerte wird immer höher (siehe Grafik).
So kann das natürlich nicht weitergehen. Die bisherige Abwertung des Dollar insbesondere gegenüber dem Euro ist durchaus Teil der offiziellen Wunschlösung, wie sie vom IWF, den G7 oder zuletzt am Gipfel der G20 (u.a. mit China, Indien und Brasilien) in Südafrika Mitte November wie ein Mantra wiederholt wird. Stets mit auf dem Wunschzettel stehen auch eine stärkere Aufwertung des chinesischen Yuan und eine Stärkung der Binnennachfrage in ganz Asien, inklusive Japan übrigens. Das sollte die Wahrscheinlichkeit einer plötzlichen Flucht aus dem Dollar reduzieren. Was aber getan werden könnte, wenn das doch passiert, bleibt im Ungewissen.
Vorläufig ist die Abwertung des Dollar jedoch nicht nur Teil der Lösung, sondern auch des Problems, denn sie sorgt dafür, dass die Kosten des aktuellen Wechselkurssystems steigen – nicht nur für die Länder, deren Währungen gegenüber dem Dollar aufwerten, sondern auch für jene, die ihre Währungen mehr oder weniger an den Dollar gebunden haben. Dazu gehören neben China etwa auch die arabischen Erdölexportländer am Golf.
Allein durch die Abwertung des Dollar in den letzten Jahren mussten ausländische Eigentümer von US-Staatsanleihen bereits mehr Verluste verkraften als durch jede bisherige Schuldenkrise von Entwicklungsländern, wie der britische Economist anmerkte. Und solange die „Dollarliquidität“ durch US-Importüberschüsse steigt, werden auch diese Verluste zunehmen. Indiens Zentralbank etwa kaufte allein im September fast zwölf Mrd. Dollar an, um der Aufwertung der indischen Rupie entgegenzuwirken, ein Rekordwert.
Diese so genannte „Sterilisierung“ von Kapitalzuflüssen, der Ankauf von Devisen, finanziert durch die Emission staatlicher Schuldtitel in der eigenen Währung, führt zu einem weiteren kostspieligen Effekt der Dollarschwemme – besonders in Ländern mit einer ohnehin boomenden Wirtschaft. Die zusätzliche Kreditausweitung erhöht die Wahrscheinlichkeit von Fehlinvestitionen, begünstigt die Spekulation mit Vermögenswerten wie Aktien und Immobilien und verstärkt gegebene inflationäre Tendenzen.
China liefert dafür ein perfektes Beispiel. Bisher hat die Regierung in Beijing vergebens versucht, den Investitionsboom durch eine Beschränkung der Kreditvergabe und durch Zinserhöhungen einzudämmen. Dazu kommt nun neuerdings ein Anstieg der Inflation durch die starke Verteuerung der Lebensmittel. Die Einlagezinsen sind weiterhin so niedrig, dass ein Großteil der Ersparnisse in die Aktienbörsen fließt. Nicht nur Privatpersonen spekulieren auf Kreditbasis, sogar Unternehmen sollen mit Billigkrediten in Aktien investieren und derart ihre Gewinne aufbessern, was wiederum ihren Börsenwert steigert – ein typisches Symptom spekulativer Exzesse.
Tatsächlich gehen die Spannungen in der Weltwirtschaft auch auf die Politik des billigen Geldes in den reichen Ländern zurück, wo die kurzfristigen Zinssätze in den letzten Jahren auf einen historischen Tiefststand fielen, zum Teil sogar real negativ waren und derart für eine übermäßig starke Kreditexpansion sorgten. In den USA wurde damit versucht, die Wirtschaft trotz des Platzens der „Dot.com“-Spekulationsblase auf Wachstumskurs zu halten – mit dem Ergebnis einer noch größeren „Blase“ im Immobiliensektor, was sich seit dem Sommer zu rächen beginnt.
Dazu gesellte sich noch der Effekt der niedrigen nominellen Zinsen in Japan (derzeit ca. 0,5 Prozent) in Kombination mit der laufenden Abwertung des Yen, was in den letzten Jahren eine Ausweitung der so genannten „Yen-Carry-Trades“ ermöglicht hat, die weltweit wahrscheinlich billigste Finanzierungsquelle für Spekulationen aller Art. Man verschuldet sich direkt oder indirekt in Yen und investiert in Vermögenswerte in höher verzinsten oder aufwertenden Währungen reicher Länder, in diverse Rohstoffe, aber auch in Brasilien, der Türkei oder in anderen Schwellenländern, die derzeit einen Aktienboom erleben und weit höhere Renditen bieten. Ein Merkmal der Carry Trades ist ihr sich selbst verstärkender Effekt: Der Verkauf der geliehenen Währung senkt deren Kurs und stabilisiert damit die Geschäftsgrundlage. Der Abbau solcher Geschäfte hat jedoch den umgekehrten Effekt, nämlich eine Aufwertung. Das könnte auch eine panikartige Flucht aus den Yen Carry Trades auslösen, deren Umfang Anfang des Jahres auf rund 1.000 Mrd. Dollar geschätzt wurde.
Das Problem besteht daher nicht nur aus einem überflüssigen Dollarberg, sondern auch aus einem noch weit höher aufgetürmten Gebirge international verschachtelter Kreditforderungen, das sich plötzlich als finanzielles Kartenhaus entpuppen kann. Mit der Verschärfung der Kreditkrise in den USA, die von manchen bereits als gefährlicher als jene nach dem Zusammenbruch des Hedgefonds LTCM (Long Term Capital Management) 1998 eingeschätzt wird, hat sich das Risiko einer „chaotischen Anpassung“ jedenfalls um einiges erhöht.
Die Schwellenländer haben die von den USA ausgehenden Schockwellen bisher bemerkenswert gut verkraftet – was im Vergleich mit dem Krisenjahr 1998 deutlich wird. Während die Aktienindizes damals deutlich und nachhaltig abstürzten, setzten die Börsen dieses Mal nach einer kurzen Korrektur ihren Aufwärtstrend wieder fort; bei den „Risikoprämien“, also der Zinsdifferenz zwischen Schuldtiteln der Schwellenländer und US-Staatsanleihen, waren die Auswirkungen noch geringer (siehe Grafik). Als Erklärung für diese „Schockresistenz“ werden unter anderem die beruhigend hohen Devisenreserven, die weit besseren Schuldenkennzahlen (z.B. Anteil an Exporterlösen), die positiven Leistungsbilanzen und die geringere öffentliche Verschuldung der Schwellenländer angeführt. Aus pessimistischer Sicht könnte man jedoch darin auch einen Effekt der weltweit hohen Bestände an frei beweglichen Finanzvermögen erblicken, die seit dem Beginn der Kreditkrise in den USA erst recht nach alternativen Anlagemöglichkeiten suchen. Zweifellos sind die Schwellenländer heute jedoch im Allgemeinen gut gerüstet, um eine Flucht aus dem Dollar relativ glimpflich zu überstehen. Für die USA selbst gilt das jedoch nicht unbedingt.