In Guatemala werden erstmals die Verantwortlichen für die Massaker an der indigenen Bevölkerung im Bürgerkrieg strafrechtlich verfolgt. Und gleichzeitig wird genau einer dieser Verantwortlichen neuer Staatspräsident.
Am 17. Juni 2011 gelang in Guatemala ein Durchbruch. An diesem Tag wurde der General im Ruhestand, Héctor Mario López Fuentes, ehemaliger Generalstabschef unter der Militärdiktatur von Efraín Ríos Montt (1982-83), verhaftet; im September wurde das Gerichtsverfahren eröffnet. Die Anklage lautet auf Völkermord gegen das Maya-Volk Ixil und andere schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Die große Mehrheit der Opfer des Bürgerkrieges, der erst 1996 nach mehr als drei Jahrzehnten mit einem Friedensabkommen endete, waren Angehörige eines der 23 in Guatemala lebenden Maya-Völker. Ihre systematische Verfolgung wurde jedoch bis heute weder national noch international als Völkermord anerkannt. Mit Fuentes López wurde nun erstmals einer der ranghöchsten Funktionäre der Militärdiktaturen und damit einer der geistigen Urheber dieses Genozids vor Gericht gestellt.
Nach Jahrzehnten der völligen Straflosigkeit überschlugen sich die Ereignisse im Anschluss an diese Verhaftung: Am 12. Oktober wurde der frühere Geheimdienstchef José Mauricio Rodríguez Sánchez festgenommen und ebenfalls vor Gericht gestellt. (Ríos Montt selbst verfügt aufgrund seines Abgeordnetenmandats über politische Immunität.) Im September waren vier Mitglieder der militärischen Eliteeinheit Kaibiles für das Massaker an der Bevölkerung des Dorfes Dos Erres zu jeweils 6.060 Jahren (!) Haft verurteilt worden; im Dezember wurde der Prozess wegen des Massakers im Dorf Plan de Sánchez eröffnet.
Geradezu paradox mutet in diesem Zusammenhang der Ausgang der Präsidentschaftswahlen Ende letzten Jahres an, die der Ex-General Otto Pérez Molina gewann. Der hohe Offizier wird beschuldigt, ab den 1980er Jahren selbst an Verbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen im nördlichen Quiché, dem Gebiet der Maya-Ixiles, beteiligt gewesen zu sein.
Wie kommt es, dass ein Land, in dem die kleinbäuerliche und indigene Bevölkerung die Mehrheit bildet, einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher zum Präsidenten wählt? Warum gibt es in Guatemala keine starke und progressive Volksbewegung, die auch die Wahlen hätte beeinflussen können? Die Antwort auf diese Fragen liegt zum Teil darin, dass die indigene Bevölkerung seit Jahrhunderten systematisch unterdrückt und ausgegrenzt wurde. Dass Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú, die auch bei ihrer zweiten Kandidatur nicht einmal vier Prozent der Stimmen bekam, keine Identifikationsfigur für die breite Bevölkerung darstellt, ist mittlerweile mehr als deutlich geworden. Dennoch ist ihr schlechtes Abschneiden kein Indiz dafür, dass die Bevölkerung mehrheitlich eine autoritäre „Politik der harten Hand“, wie der Wahlslogan von Pérez Molinas „Patriotischer Partei“ lautete, befürwortet.
Neben dem nach wie vor verbreiteten „Stimmenkauf“ und einer allgemeinen Vertrauenskrise des politischen Systems spielte dieses Mal auch die vereitelte Kandidatur der Ehefrau des letzten Präsidenten, Sandra de Colom, eine Rolle. Diese war als Leiterin des „Staatssekretariats der Ehefrau des Präsidenten“ für einen Großteil der staatlichen Sozialprogramme verantwortlich. Sie hätte gute Chancen auf einen Wahlsieg gehabt, doch untersagte ihr wegen der „Scheinscheidung“ des Präsidentenpaares ein Höchstgericht das Antreten zur Wahl.
Die ersten Erfolge bei der strafrechtlichen Verfolgung ehemaliger ranghoher Militärs sind, neben der Beharrlichkeit der Überlebenden und Angehörigen der Opfer, vor allem auf den couragierten Einsatz der neuen Generalstaatsanwältin Claudia Paz y Paz Bailey zurückzuführen. Die anerkannte Juristin und ehemalige Menschenrechtsverteidigerin hat sofort nach ihrem Amtsantritt vor rund einem Jahr eine Reform der Staatsanwaltschaft eingeleitet und dadurch die jahrzehntelange Blockade des Justizsystems überwunden. Das Engagement von Paz y Paz, deren Amtszeit insgesamt vier Jahre beträgt, mobilisierte jedoch auch den Widerstand jener gesellschaftlichen Kräfte, denen die Aufarbeitung der Verbrechen der Vergangenheit ein Dorn im Auge ist. Ende 2011 wurden gleich drei Anzeigen, unter anderem wegen „Terrorismus“, gegen ehemalige Angehörige der bis in die 1990er Jahre aktiven Guerilla-Bewegung erstattet, die eindeutig das politische Ziel verfolgen, der Generalstaatsanwältin zu schaden. Unter den Angeklagten findet sich neben führenden Persönlichkeiten der guatemaltekischen Menschenrechtsbewegung auch der Vater von Claudia Paz y Paz. Es bleibt zu hoffen, dass sie ihre Arbeit zur Überwindung der Straflosigkeit auch unter den geänderten Vorzeichen der neuen Regierung ungehindert fortsetzen kann.
Die Autorin war bis 2007 Koordinatorin des internationalen ZeugInnenbegleitprojekts der Guatemala Solidarität Österreich (www.guatemala.at) in Guatemala.
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