Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2008, 224 Seiten, € 19,90
Wir hören oder sehen kaum mehr hin, wenn vom jüngsten Selbstmordattentat im Irak oder einem neuen Blutbad in Palästina berichtet wird. Nachrichten aus dem Nahen Osten sind fast immer voller Gewalt und Blut. Wenige MitteleuropäerInnen können sich ausmalen, wie in den arabischen Ländern der Alltag funktioniert. Dass das Leben in Ägypten, Syrien, im Libanon, ja selbst im Irak trotz Verkehrskollaps, unerträglicher Luftverpestung, lärmender Nachbarn und vergifteter Melonen oft heiter und sicherlich lebenswert ist, entzieht sich unserer Vorstellungskraft. Dem hilft der taz- und ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary nach, der alte und neue Reportagen und Szenen aus dem Alltag in einem Band zusammengefasst und teilweise aktualisiert hat. Die meisten stammen natürlich aus seiner Heimat Ägypten, wo es nicht nur kafkaeske Bürokratie, eine Garagen-Mafia und ein Büro für Beleidigungen gibt, sondern auch jugendliche Teufelsanbeter, Vermittlerinnen von Sommerbordellen und Sana, die „Scheichin der Gasse“, die fast alle Probleme der Nachbarschaft unbürokratisch zu lösen versteht.
Wir erfahren, wie (und warum) Ägyptens Männer hinter der Viagra-Pille her sind, wie man am Golf mit Frauensport umgeht und wie der einst weit verbreitete Minirock immer mehr gegen den züchtigen Abaya-Umhang unterliegt. Der ORF-Korrespondent El-Gawhary, Sohn einer deutschen Mutter und eines ägyptischen Vaters, beobachtet nicht als Voyeur von außen, sondern steht mitten in diesem Leben, kann aber die Schwächen und Probleme seiner Landsleute, auch wenn sie ihn selbst betreffen, mit einem Augenzwinkern kommentieren.
Den im Irak allgegenwärtigen Krieg schildert der Autor nicht als „embedded journalist“ von der Front, sondern im Alltag einer irakischen Familie, die er jahrelang immer wieder besucht, bis sie schließlich schweren Herzens die Heimat verlässt. Gegenüber Bomben auf anonyme Menschenmengen kann man abstumpfen, aber nicht gegenüber einem Krieg, der Gesichter hat.