Alle gehen fort

Von Werner Hörtner · · 2009/06

Wendy Guerra

Roman. Aus dem Spanischen von Peter Tremp. Lateinamerika Verlag, Solothurn 2008, 280 Seiten, € 22,00

„Eine Kindheit in Kuba“ könnte man diesen Roman mit vielen selbst erlebten Erfahrungen auch nennen, oder: „Das Martyrium eines Mädchens“. Die Autorin, die heute noch in Kuba lebt, als Schauspielerin tätig war und bereits 1987, mit 17 Jahren, für ihre Gedichte den ersten Literaturpreis erhielt, begann schon sehr früh, Tagebuch zu schreiben. Und auf diesen Aufzeichnungen beruht großteils der vorliegende Roman.

Im Alter von 8 bis 10 schrieb Wendy Tagebuch und dann wieder von 16 bis 20. „Die Tagebücher der Kindheit und Jugend zu lesen, war eine Reise in den Schmerz“, bekennt die Autorin, im Buch Nieve genannt. Ihre – geschiedenen – Eltern sind beide Kinder der Revolution, und beide waren in ihrer Jugend Revolutionäre. Doch die Mutter wurde bald desillusioniert durch deren Verlauf, während der Vater, ein trunksüchtiger gewalttätiger Schauspieler, der Rhetorik nach immer noch der Revolution anhängt. Schließlich bringt das auch etwas. Die – männlichen – „Revolutionäre“ halten zusammen und richten sich ihre Geschichten. Etwa vor Gericht, wo der brutale Säufer trotz seiner bekannten Eigenschaften das Sorgerecht für seine Tochter erhält. Diese muss von der geliebten Mutter weg und in die Berge zum Vater ziehen. Wo sie die Hölle erlebt. Und es schließlich mit Schlauheit schafft, wieder zur Mutter zurückkehren zu können.

Im zweiten Teil des Buches, entsprechend der zweiten Tagebuch-Schreibphase, lebt Nieve mit ihrer Mutter in einem Künstlermilieu im Havanna der späten 1980er Jahre. Immer wieder verschwinden Freundinnen und nahe Bekannte aus ihrem Umfeld: „Alle gehen fort“. Während die Kindheit durch die väterlichen Schläge und Misshandlungen von Schmerz durchzogen ist, prägen in ihrer Jugend Traurigkeit und Verlassenheit die heranwachsende Frau.

Doch Nieve/Wendy bleibt. Sie befürchtet, bei einem Weggehen zu rasch die Erinnerung an ihre geliebte Insel zu verlieren. Und sie sträubt sich mit aller Kraft dagegen, dass Kuba eines Tages zu einem Satelliten Floridas werden könnte.

Ein in kühler Distanziertheit geschriebener, doch ungemein aufrüttelnder Roman. Sehr zu empfehlen.

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