Ras Bath aus Mali ist einer von ihnen: Wie meist junge und gebildete Menschen in afrikanischen Ländern aufbegehren, hat sich Bettina Rühl angesehen.
Eine feine Schicht aus Zementstaub liegt auf den Möbeln und Unterlagen in Mohamed Youssouf Bathilys Büro. Der Jurist hat seinen Schreibtisch auf einer Baustelle stehen. Nicht anders kann man die große Halle mit dem kleinen Nebenraum bezeichnen, auch wenn die Regierung das Gebäude großzügig „Maison des Jeunes“, Jugendzentrum, nennt.
Das „Haus der Jungen“ in der malischen Hauptstadt Bamako ist eine Bauruine, Schutt und Abfall liegen auf dem Boden des zentralen Versammlungssaals, die fahlgelb gestrichenen Wände sind dunkel von staubigen Spinnweben, Graffitis und Dreck. Offenbar wurde ein Umbau begonnen und schon vor langer Zeit aufgegeben.
An dessen Zustand lässt sich ablesen, wie wichtig die malische Regierung unter Präsident Ibrahim Boubacar Keïta die Jugend des Landes nimmt – immerhin zwei Drittel der malischen Bevölkerung sind jünger als 24 Jahre.
Verantwortung übernehmen. Vom Haus der Jugend aus organisiert Bathily sein zivilgesellschaftliches Engagement. Seinen Überzeugungen entsprechend sieht der Anwalt im Zustand des Gebäudes nicht nur ein Versäumnis der Regierung: „Wir müssen uns fragen, wo unsere Verantwortung liegt“, sagt er hinter dem staubigen Stapel Papiere auf seinem staubigen Schreibtisch. „Die Regierung darf Steuern einnehmen und verwalten. Wir Bürger haben die Pflicht, sie dabei zu kontrollieren.“
Damit das endlich tatsächlich geschieht, hat er schon 2012 das „Kollektiv für die Verteidigung der Republik“ ins Leben gerufen. Die Initiative und Bathily haben in der analogen und der digitalen Welt inzwischen tausende AnhängerInnen. Denen ist der Bürgerrechtler unter dem Namen „Ras Bath“ bekannt, der Kurzform von „Rasta Bathily“.
Der Künstlername stammt noch aus seiner Zeit als Moderator beim malischen Rundfunk. Aber im August 2016 bekam er wegen seiner politischen Aktionen eine Art Berufsverbot und darf bis auf weiteres in Radio und Fernsehen nicht mehr auftreten. Daraufhin wurde er in den sozialen Netzwerken umso aktiver.
Aufbegehren der Jungen. Seine gut 40 Jahre sieht man dem Aktivisten nicht an. Er trägt kurze Rasta-Locken, eine schwarz gerahmte Brille und eine kurze Kette um den Hals.
Der Malier ist einer von immer mehr AfrikanerInnen, die nicht länger bereit sind, Armut, Unterdrückung, Korruption und Misswirtschaft kampflos hinzunehmen. Stattdessen begehren sie gegen ihre Regierungen auf, klagen ihre demokratischen Rechte ein, verlangen ihren Anteil am Reichtum ihrer Staaten.
In den vergangenen Jahren sind unter anderem in Burkina Faso, der Demokratischen Republik Kongo, der Republik Kongo und dem Senegal, in Simbabwe und Tansania Widerstandsbewegungen von meist jungen und oft akademisch gebildeten AktivistInnen entstanden.
Durch soziale Medien wie Facebook oder Twitter sind sie über die Landesgrenzen hinweg miteinander in Kontakt und verbreiten ihre Botschaften über unterschiedliche Kanäle im Internet.
Ein Ausdruck dieser Bewegung ist die Initiative „Africans Rising“, gegründet im Sommer 2016. Unter Hashtags wie #AfricansRising, #AfricaWeWant oder #EndInEquality twittern junge AfrikanerInnen ihre Gedanken, Visionen und Forderungen. Da heißt es zum Beispiel: „Wir sind es leid, zum Schweigen gebracht, unterdrückt und isoliert zu werden.“ Oder: „Wir haben ein Recht auf Frieden, gesellschaftliche Teilhabe und einen Anteil am Reichtum.“
Unbedingt gewaltfrei. Viele junge AktivistInnen sehen sich in einer Linie mit Unabhängigkeitskämpfern wie Kwame Nkrumah, Patrice Lumumba, Nelson Mandela oder Julius Nyerere. Die neue Bewegung ist aber unbedingt gewaltfrei. Die AktivistInnen streben keine politischen Posten an, keine Beteiligung an der Regierung. Stattdessen wollen sie in vollem Sinne BürgerInnen sein.
Ras Bath beschloss Anfang 2012, dass es in seiner Heimat so nicht weitergehen kann. In Mali hatte gerade die schwere politische Krise begonnen, die bis heute anhält. Im Jänner 2012 rebellierten im Norden die Tuareg, im März putschte das Militär, wenig später marschierten radikale Islamisten auf die Hauptstadt zu.
Die französische Armee griff kurzfristig ein und schlug den Vormarsch der Islamisten gemeinsam mit afrikanischen Truppen zurück. Inzwischen hat Mali eine neue Regierung unter Präsident Ibrahim Boubacar Keïta. Und eine große UN-Mission versucht, bei der Stabilisierung des Landes zu helfen. Trotzdem wird die Sicherheitslage im Norden und im Zentrum des Landes immer schlechter. Islamisten verüben Attentate auf UN-Soldaten und die malische Armee, Kriminelle rauben die Bevölkerung aus. Und Keïta, der bei seiner Wahl 2013 als Hoffnungsträger galt, hat seitdem vor allem durch Misswirtschaft, Korruption und die Begünstigung seiner Familie von sich reden gemacht.
Wandel benötigt. Nach dem Putsch im März 2012 stellten Ras Bath und einige seiner Freunde ihre Stühle zwischen den Schutt im „Maison des Jeunes“ und berieten, was zu tun sei. „Die meisten Menschen machten nur den gestürzten Präsidenten Amadou Toumani Touré und seine Entourage für den Militärputsch und das Scheitern des Staates verantwortlich“, erzählt Ras Bath im Rückblick. „Wir sagten uns dagegen, dass wir die Regierung offensichtlich nicht ausreichend kontrolliert haben.“
Das soll nicht wieder passieren. Deshalb berät Ras Bath seitdem in dem kleinen, halbwegs benutzbaren Raum im „Maison des Jeunes“ ratsuchende BürgerInnen oder bereitet sich auf öffentliche Versammlungen vor, zu denen er regelmäßig einlädt. Auch jetzt ist er angespannt, drängt zur Eile: Er ist schon über eine Stunde zu spät, seine AnhängerInnen warten heute in einem der Viertel am Rande von Bamako.
Eine halbe Stunde später wird er dort mit Applaus und Jubel empfangen.
Die Botschaft kommt an. Die Luft ist heiß und voller Staub, Müll liegt herum, aber die Menge ist begeistert. Ras Bath nimmt die Ovationen der rund 200 überwiegend jungen Menschen mit einem kaum sichtbaren Lächeln entgegen und greift zum Mikrofon. „Wir haben die moralische und verfassungsmäßige Pflicht, die Regierung zu überwachen.“ Die Menge applaudiert. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Regierung unsere Forderungen nicht vergessen kann!“ Erneuter Applaus.
„Er hat Recht mit dem, was er sagt“, sagt Abdoulaye Keita mit leuchtenden Augen. Der 22-Jährige studiert in Bamako Literaturwissenschaft und weiß: Wenn sich in Mali nichts ändert, führt sein Weg von der Universität direkt in den informellen Sektor. Er kann dann auf der Straße kleine Sackerln mit sauberem Wasser verkaufen, Parkplätze anweisen oder für AnalphabetInnen Briefe an Behörden schreiben. Einen regulären Job wird er vermutlich ebenso wenig finden wie die meisten anderen AkademikerInnen. Es sei denn, es gelingt den MalierInnen tatsächlich, die politischen Verhältnisse in ihrer Heimat zu ändern. Ras Bath arbeitet daran.
Bettina Rühl ist freiberufliche Journalistin für Printmedien und Radio. Sie lebt in Nairobi, Kenia.
Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!
Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.
Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.
Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!
Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.