Das weltweite Artensterben schreitet voran. Doch Kamerun hat einen Erfolg zu verzeichnen. Das „afrikanische Stinkholz“ soll vor dem Aussterben bewahrt werden.
Licht fällt ins Innere der geräumigen Holzhütte, als Joseph Ekati die Fensterläden öffnet. Jetzt ist auch die große Maschine in der Mitte des Raumes vom Tageslicht beleuchtet. „Das ist unser Häcksler“, sagt Ekati mit einigem Stolz. Der Häcksler wurde aus Mitteln des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen bezahlt. Das Holzhaus, in dem er steht, haben die Menschen aus den Dörfern am Fuß des Mount Cameroon in Kamerun gebaut. In einem Nebenraum liegen Macheten, Sicherheitshelme, Seile, Schubkarren. Joseph Ekati ist Sprecher einer Genossenschaft, zu der sich 14 Dörfer am Fuß des Berges zusammengeschlossen haben. Gemeinsam ernten und verkaufen sie die Rinde des Baumes „Prunus africana“, die hier schon immer für ihre Heilkräfte bekannt war.
Ekati ist mit seinem Freund und Kollegen Luma Francis Ewome zu dem Treffen gekommen. Der hat sich unterdessen eine Machete genommen und ist bereits nach draußen gegangen. Dort bahnt er sich mit der Machete seinen Weg durch dichtes Gestrüpp. Vor einem Exemplar des „Prunus africana“ oder auf Deutsch „afrikanischen Stinkholzes“ bleibt er stehen. Der Baum hat eine dunkle, stark zerfurchte Rinde. Dieser hier ist vielleicht gut zwanzig Meter hoch, andere erreichen auch 36 Meter. Die afrikanischen Stinkhölzer wachsen nur in tropischen Bergregenwäldern, oberhalb einer Höhe von 1.500 Metern. Die Flanken des Mount Cameroon sind für den Prunus africana deshalb ideal. Der Berg ist 4.095 Meter hoch und damit der höchste in Westafrika. Und er liegt in der Nähe des Äquators, es regnet also viel.
Wie Joseph Ekati erzählt, benutzten die Menschen in der Region die Rinde schon immer: für die Behandlung von Malaria und gegen Schmerzen in der Brust. „Aber sie hilft auch bei Kopf- oder Magenschmerzen.“ Wenn er im Wald sei und Magenschmerzen kriege, löse er sich ein Stück der Rinde ab und kaue sie. „Sobald ich den Saft schlucke, geht es mir besser.“ Wenn er Fieber hat, kocht er etwas Rinde auf und trinkt den Sud. „Davon fange ich an zu schwitzen, und wenn ich das zwei oder drei Tage lang mache, geht es mir wieder gut.“ Wegen ihrer medizinischen Wirkung ist die Rinde auch bei Unternehmen der Pharmaindustrie in Europa begehrt. Italienische, spanische und französische Firmen verarbeiten Extrakte aus der Rinde in Medikamenten gegen Prostataleiden.
Einige Jahre lang wurde der Rohstoff auch aus den Dörfern am Mount Cameroon nach Europa exportiert. Das große Geschäft machten dabei die europäischen Pharmaunternehmen, aber Ewome, Ekati und die anderen Männer der Region haben mit der Ernte immerhin den Lebensunterhalt für ihre Familien verdient.
Doch seit 2007 läuft der internationale Handel ohne Kamerun. In diesem Jahr verhängte die Europäische Union ein Importverbot für die Rinde des Prunus africana aus dem westafrikanischen Land, weil das Überleben der Art durch die große Nachfrage aus Europa gefährdet war (vgl. SWM 6/2000). Ewome findet das Importverbot gut. „Natürlich leiden wir darunter, weil wir nichts mehr verdienen“, sagt der 30-Jährige. „Aber es gab gar keinen anderen Weg, als dass Europa Importe aus Kamerun verbietet.“ Denn bei ihren Wegen durch den Wald stießen die Männer immer wieder auf Bäume, die rundum geschält und deshalb abgestorben waren. „Wenn alles so weitergegangen wäre, hätten wir bald sowieso nichts mehr ernten können“, meint Ewome, „weil es keine Bäume mehr gegeben hätte.“
Sein Kollege Ekati schaltet sich ein: Die Dörfer hätten sich im Laufe der Jahre durch den Verkauf der Rinde verändert. Die Genossenschaft investierte einen Teil der Erlöse in die Infrastruktur, baute hier Trinkwasserleitungen, dort eine Markthalle und renovierte anderswo das Gemeindehaus. Seit Europa den Import verboten hat, ist das Geld aus den Dörfern der Region wieder verschwunden. „Tagsüber sieht man wieder mehr Kinder auf der Straße herumlaufen. Die Eltern mussten sie aus der Schule nehmen, weil sie die Schulbücher und die Schuluniform nicht mehr bezahlen können“, erzählt Ekati.
Trotzdem befürwortet auch er das EU-Verbot. Er und seine Kollegen von der Genossenschaft hätten schon lange gewusst, dass es so nicht weitergehen könne. „Viele, die geerntet haben, kamen von auswärts. Die wollten einfach nur schnelles Geld machen.“ Der Wald sei den fremden Arbeitern egal gewesen. „Wir denken anders. Wir wollen, dass auch die künftigen Generationen von diesem Rohstoff profitieren.“ Dass sich beides miteinander verbinden lässt, wissen die Menschen in den Dörfern schon lange: Wird die Rinde nach einem bestimmten Muster geerntet und bleibt ausreichend viel Stamm bedeckt, überleben die Bäume ohne Probleme.
Damit die Europäische Union das Importverbot aufhebt, muss Kamerun mehrere Bedingungen erfüllen. Die Regierung muss wissenschaftlich gesicherte Daten des verbliebenen Bestands vorlegen. Außerdem muss sie ein Konzept für die künftige Nutzung vorlegen. Und sie muss nachweisen, dass diese Nutzung den Bestand nicht gefährden wird, dass die exportierte Rinde also geerntet wurde, ohne dass der Baum dadurch zerstört wurde. Seit 2007 arbeitet die Regierung daran, die Auflagen zu erfüllen.
Ein Abend am Mount Cameroon. Einige Männer sitzen in einer kleinen Hütte am Feuer, kochen Reis mit Soße und wärmen sich die klammen Finger. Die Hütte liegt auf gut 2.000 Meter Höhe, da sind die Nächte auch in Kamerun kalt. Die Männer sind mit einer Gruppe von TouristInnen aufgestiegen, die jetzt draußen sind oder im Schlafsack liegen. Die Männer sitzen auf dem Boden rund um das offene Feuer, das den Herd ersetzt. Weil es in den letzten Tagen viel geregnet hat, ist das Holz durch und durch nass, die Hütte voll von beißendem Qualm. Aber das ist bei nur wenigen Grad über null immer noch besser als die Kälte draußen, deshalb wärmt sich auch Luma Francis Ewome am Feuer. Seit Ewome keine Rinde mehr ernten kann, arbeitet er so oft es geht als Träger für einen Verein, der am Mount Cameroon Öko-Tourismus betreibt. „Ich liebe den Berg“, sagt er. „Ich bin gerne hier oben unterwegs.“ Ewome ist am Fuß des Mount Cameroon geboren und aufgewachsen, er hat immer mit dem Blick auf den hohen Gipfel gelebt. Oder besser gesagt: mit dem Wissen, dass der Gipfel nicht weit entfernt ist. „Er ist oft von Wolken verhangen, meist sieht man ihn erst, wenn man fast oben ist“, erzählt Ewome. „Aber manchmal reißt die Wolkendecke auf. Wenn ich dann gerade im Tal bin, bleibe ich stehen und staune über die Schönheit des Berges, obwohl ich das schon so oft gesehen habe.“
Wenn Francis Luma Ewome als Träger arbeitet, bekommt er am Tag 6.000 Francs, umgerechnet gut neun Euro. Das ist kein schlechter Tagessatz, aber die touristische Saison dauert nur ein paar Monate im Jahr. Und selbst in der Hochsaison kommen nur ein paar Reisegruppen im Monat. Ewome und die anderen Träger verdienen mit dem Tourismus deshalb nicht genug zum Leben. Deshalb versucht Ewome alles Mögliche, um das Geld für seine kleine Tochter, seine Frau und sich selbst zu verdienen: Er beackert sein kleines Stück Land, arbeitet manchmal als Träger für TouristInnen, oder er kriegt mit etwas Glück einen anderen Gelegenheitsjob. Dann gräbt der 30-Jährige eine Latrine, hilft beim Hausbau, trägt Lasten oder leistet ähnliche Dienste, die körperliche Kraft erfordern.
Zurück im Dorf. Joseph Ekati und Luma Francis Ewome schauen wieder einmal bei ihrem Häcksler nach dem Rechten und schmeißen den Motor kurz an. Das tun sie häufiger, damit er sich während der langen Wartezeit nicht festsetzt. Die Maschine ist den Mitgliedern der Genossenschaft wichtig. Denn künftig wollen sie die Rinde vor dem Verkauf schon etwas zerkleinern, weil sie dann für das Kilo ein Vielfaches bekommen.
Voraussichtlich kann der Häcksler bald zum Einsatz kommen. Die Regierung Kameruns wird der EU die nötigen Unterlagen wohl noch in diesem Sommer vorlegen. Dann wird Europa den Handel wieder zulassen. Wahrscheinlich wird die erlaubte Quote allerdings deutlich niedriger sein als vor dem Verbot: 700 bis 800 Tonnen im Jahr statt 2.000 Tonnen wie früher. Die ersten Tonnen darf Kamerun inzwischen wieder exportieren: Für eine Region im Nordwesten des Landes konnte die Regierung nachweisen, dass der Wald durch die Ernte nicht zerstört wird. Die Studien rund um den Mount Cameroon begannen später, deshalb müssen die Menschen hier noch etwas länger warten. Aber die Geduld dafür haben sie jetzt auch, meinen Ekati und Ewome.
Bettina Rühl ist seit 1988 freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Afrika. Zuletzt arbeitete sie über den kollabierten Staat Somalia, den Krieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo und den Uranabbau im westafrikanischen Niger.
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