Der Umfang der öffentlichen Beschaffung beträgt in Europa 17% des Bruttoinlandsprodukts. Bei einer Einkaufspolitik nach sozialen und ökologischen Kriterien würde sich viel verbessern auf der Welt.
In Marokko entfallen 30 Prozent aller Exporte auf die Bekleidungsindustrie, und 90% davon gehen nach Europa, vor allem nach Spanien. Der monatliche Mindestlohn von umgerechnet ca. 140 Euro wird häufig nicht ausbezahlt, bei den Lohnberechnungen wird geschwindelt, Sozialbeiträge werden oft wohl vom Lohn abgezogen, doch die BeitragszahlerInnen nicht angemeldet: das Geld bleibt beim Unternehmen. Über diese und andere ausbeuterische Arbeitsverhältnisse berichtete Albert Sales von der spanischen Nichtregierungsorganisation SETEM kürzlich in Wien. Er war von der Südwind Agentur und der Initiative für sozialfaire öffentliche Beschaffung zu einem europaweiten Seminar zum Thema eingeladen.
Albert Sales, Mitautor einer Studie von SETEM über die marokkanische Bekleidungsindustrie: „Es gibt eindeutige Hinweise darauf, dass Bekleidung für öffentliche Einrichtungen in Europa in illegalen und gefährlichen Werkstätten in Marokko genäht wird.“ Die spanische Supermarktkette Corte Inglés hat mit INDUYCO eine Tochterfirma gegründet, die im Bereich öffentliche Beschaffung in ganz Europa aktiv ist. So kaufen staatliche oder kommunale Betriebe Uniformen oder Berufskleidung ein, die unter menschenrechtsverletzenden Arbeitsbedingungen hergestellt wurden.
Aber es gibt auch erfreulichere Meldungen aus dem öffentlichen Beschaffungswesen. So kauft die Stadt Rom etwa wöchentlich 290.000 Fair Trade-Bananen für das Catering in den Schulen. Acht von zehn Regionen Italiens unterstützen aktiv den Fairen Handel. In den Brüsseler EU-Institutionen sind mittlerweile alle Kantinen auf den Einkauf von Fair Trade-Produkten umgestiegen: Immerhin wurden dort im Vorjahr neun Tonnen Kaffee konsumiert.
Astrid Hilaire von der EFTA, dem Europäischen Fair Trade-Verband, sitzt in Brüssel und verfolgt dort die EU-Politik in Sachen öffentliche Beschaffung vor Ort. Hier hat es in der letzten Zeit positive Entwicklungen gegeben. War früher im Vergabewesen der Preis eines Produktes das wichtigste Kriterium bei den öffentlichen Ausschreibungen, so werden jetzt soziale und ökologische Kriterien nicht nur toleriert; das EU-Recht fördert sogar die Aufnahme sozialer Kriterien in Ausschreibungen, wie Elisabeth Schinzel, Koordinatorin der Südwind-Initiative für faire Beschaffung, erwähnte. Die EU-Kommission hat eine neue Richtlinie zum Ausschreibungswesen ausgearbeitet, den „Buying Social Guide“, der im kommenden Dezember präsentiert wird.
Diese Änderung der EU-Position hat es auch ermöglicht, dass in den letzten Jahren von mehreren Ländern entsprechende Aktionspläne ausgearbeitet wurden, in Österreich etwa der „Nationale Aktionsplan zur Förderung einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung“.
Heuer wurde mit dem Ruhrgebiet erstmals eine ganze Region zur „Europäischen Kulturhauptstadt“ erklärt. Was einige engagierte Gruppen und Personen auf die Idee brachte, eine Initiative „Faire Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ ins Leben zu rufen. In einer zweijährigen Vorarbeit überlegten verschiedene NGOs und Agenda-Büros, wie sie die Kommunen dazu verleiten könnten, in der Beschaffung soziale und ökologische Kriterien einzubauen.
Der erste Schritt ist nicht besonders spektakulär, doch man verfolge eine Politik der kleinen Schritte, wie Christoph Löchle vom „Netzwerk Faire Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ erläuterte. Bis Juni 2010 unterschrieben VertreterInnen von 40 der 53 Gemeinden der Region einen Ratsbeschluss, wonach alle öffentlichen Ausschreibungen das Kriterium „Hergestellt ohne Kinderarbeit“ enthalten müssen. Später kamen noch drei weitere Gemeinden hinzu, womit nun insgesamt fünf Millionen Menschen erreicht werden.
In dieser ersten Phase mussten die Gemeindepolitiker und -politikerinnen erst einmal für das Thema sensibilisiert werden, berichtete Löchle. Das Netzwerk will auch nach dem Ende des „Kulturhauptstadtjahrs“ aktiv bleiben. Ziel ist, dass bis 2012 alle 53 Kommunen des Ruhrgebietes Fair Trade-Gemeinden werden.
In Österreich ist Graz seit Ende September erste Fair Trade-Landeshauptstadt des Landes – eine weltweite Initiative, der bereits 480 Städte angehören, darunter London, Rom, Brüssel und San Francisco.
Ausführlichere Infos auf www.fairebeschaffung.at
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