Über eine Evolution der Gewalt erzählt Dirk Hegmanns in einemempfehlenswerten Brasilien-Roman.
Mit Der Bandit ist dem deutschen Autor Dirk Hegmanns ein packender historischer Roman gelungen. Er erzählt von Menschen, die vor hundert Jahren im Nordosten Brasiliens lebten. Mit literarischer Kraft und klarer Sprache zeichnet er ein eindrückliches Bild der Halbwüste Sertão, in der kleinbäuerliche Familien damals wie heute ein entbehrungsreiches Leben führen.
Die Hauptfigur Lampião ist eine legendäre Persönlichkeit der brasilianischen Geschichte, der als Virgulino Ferreira da Silva, als Sohn einer Bauernfamilie geboren wurde und viel Grausamkeit erlebt. Seine Mutter stirbt um 1918. Wenig später wird sein Vater von Schergen habgieriger Großgrundbesitzer ermordet. Dem verwaisten jungen Mann gibt Hegmanns eine eindringliche Stimme: „Wer viele Schmerzen ertragen muss, wird irgendwann selbst Schmerzen zufügen.“
Getrieben von Unrecht, Missbrauch und Ausbeutung begibt sich Lampião fast zwei Jahrzehnte lang in eine Spirale eskalierender Gnadenlosigkeit. Davon zu lesen ist schockierend, aber auch fesselnd und bringt Erkenntnisgewinn. Es gelingt dem Autor, Verständnis für die Evolution der Gewalt zu wecken, die bis heute die Gesellschaften vieler Länder Lateinamerikas prägt.
„Bei mir wird niemand hungern“
Im Roman werden Lampião und seine berüchtigte Bande als Gesetzlose dargestellt, die über Jahre von den Reichen nahmen und den Armen gaben. Viele Menschen im so genannten Sertão sehen in ihnen tapfere Hoffnungsträger und mutige Kämpfer für eine bessere Welt. Lampião selbst formuliert seine Vision einer gerechten Gemeinschaft so: „Ich werde einmal eine eigene Fazenda haben. Bei mir wird niemand hungern. Es werden alle genug haben und wir werden leben wie eine große Familie.“ Doch dazu kommt es nie. Lampiãos Brüder und engste Vertraute sterben. Aus dem einstmals nachsichtigen, Gedichte schreibenden Anführer wird ein zunehmend kaltblütiger, willkürlicher Despot. Währenddessen rüstet die korrupte Staatsmacht auf und setzt sogar Flugzeuge und Giftgas gegen ihn ein. Das Ende ist von Anfang an vorhersehbar.
Im Internet finden sich Fotos aus dem Jahr 1938, auf denen elf abgetrennte Köpfe zu sehen sind. Zur Abschreckung wurden sie auf öffentlichen Orten im Sertão ausgestellt. Einer der Enthaupteten ist Lampião.
Dirk Hegmanns hat über viele Jahre in Brasilien gelebt und kehrt immer wieder dorthin zurück. Auch dem Genre des historischen Romans ist er seit langem verbunden. Bereits vor dreißig Jahren schrieb er einen Roman über die wahre Geschichte der Republik Palmares, einer Siedlung in Brasilien, gegründet von geflohenen Sklav:innen. Das Werk wurde mehrfach neu aufgelegt.
Unscheinbares Cover, lesenswerter Inhalt
Auch Der Bandit könnte ein großes Publikum begeistern. Umso bedauerlicher, dass diese literarische Perle in einer unscheinbaren Hülle verborgen ist. Wenn man bedenkt, dass kein Abschnitt eines Buchs so oft gelesen wird wie der Klappentext, stellt sich in diesem Fall die Frage: Wie sind die vier uninspirierten, geradezu misslungenen Sätze auf der Rückseite des Buchs zustande gekommen? Sie geben keinerlei Hinweis auf den großen Wert des Inhalts.
Noch rätselhafter ist die Entscheidung, auf dem ansonsten farblosen Umschlag ein grellbuntes, wenig vorteilhaftes Porträtfoto des Autors zu platzieren. Diese missglückte Verpackung wird kaum dazu beitragen, dem Roman die Aufmerksamkeit zu bescheren, die er verdient.
Dirk Hegmanns: „Der Bandit“
istolé Belletristik, Wuppertal 2024
454 Seiten, 21,50 Euro
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