Nur noch kurz die Welt retten

Von Magdalena Pichler · ·
Flipchart-Poster, die während des Workshops zu regenerativen Aktivismus entstanden sind
Regernativer Aktivismus am Papier © Magdalena Pichler

Regeneration statt Burn-out: Über den Versuch im Aktivismus eine regenerative Kultur zu schaffen.

Sie kämpfen nicht nur gegen die Ungerechtigkeiten der Welt, sondern auch gegen ihre eigene Erschöpfung: Auch Aktivist:innen sind Burn-out-gefährdet. Denn: Der Einsatz für eine bessere Welt braucht einen langen Atem. Regenerativer Aktivismus setzt genau hier an. „Es war eine Herausforderung einen anderen Blick darauf zu werfen, wie wir mit Aktivismus umgehen“, erzählt einer der Teilnehmenden nach dem Workshop „Regenerativer Aktivismus“, der im Rahmen der diesjährigen Wiener Festwochen im Volkskundemuseum in Wien stattgefunden hat. Überforderung bis zur Erschöpfung sei ein klassisches Problem unter engagierten Aktivist:innen, stellt er fest. 

„Aktivist:innen können einen Tendenz haben, wütend über den Zustand der Welt zu sein und bzw.  oder sich schuldig zu fühlen, nicht genug zu tun. Das ist recht normal, aber es ist auch ein sehr relevanter Faktor, der Burn-out triggert. Wir versuchen Werkzeuge vorzuschlagen, die helfen, sich mehr geerdet zu fühlen, sodass Aktivismus regenerativ anstatt erschöpfend sein kann“, sagt Isabelle Fremeaux. Sie ist eine der Veranstalter:innen des Workshops, Aktionsforscherin und arbeitet als Pädagogin im Bereich Volksbildung.

Kopfschmerzen und Konzentrationsprobleme
Dass Burn-outs bei Aktivist:innen ein mittlerweile gar nicht so seltenes Problem seien, machte auch Aktivist Massi 2022 in einem offenen Brief auf der Website der Umweltbewegung Extinction Rebellion (XR) Deutschland klar: „Also habe ich gearbeitet, gearbeitet und gearbeitet. Und von Tag zu Tag ging es mir schlechter. Die Baustellen wurden nicht weniger, aber die Kopfschmerzen dafür mehr. Meine Konzentration und die Fähigkeit, gute Entscheidungen zu treffen, verschlechterten sich von Tag zu Tag“.

Das Gefühl, „nur noch kurz die Welt retten“ zu müssen, setzt viele Aktivist:innen unter Druck. „Regeneration steht oft ganz unten auf der To-do-Liste von Aktivist:innen”, sagt Eva Posch von der deutschen Initiative Psychologists for Future, die die Fridays-for-Future-Bewegung unterstützt.
Ähnlich sieht das Afra Porsche, die sich bei der im Sommer in Österreich aufgelösten Bewegung Letzte Generation engagierte. Man müsse sich immer fragen, wie man weiter Aktivismus betreiben und sich wieder erholen könne, so Porsche. Die Letzte Generation sei nie als dauerhaftes Konstrukt gedacht gewesen, sagt sie. Man habe zwar auf Regeneration geschaut, aber manchmal auf diesbezüglich Abstriche machen müssen. Am wohltuendsten, sei es, wenn man etwas bewirke.

Neue Kultur des Aktivismus
Beim zweitägigen Festwochen-Workshop erarbeitete Fremeaux gemeinsam mit Aktivist:in und Künstler:in Jay Jordan und Teilnehmenden zwischen 20 und 60 Jahren Methoden und Elemente, wie man eine neue Kultur des Aktivismus schaffen kann. Jay Jordan wendet kreative Taktiken auf ökologische und soziale Gerechtigkeitsbewegungen an. Darunter eine Methodologie, die die alte Clown-Kunst mit den Techniken des direkten Handelns verbindet, wie das Labor für aufständische Imagination, kurz Labofii (Laboratory of Insurrectionary Imagination) in Frankreich, das eine Clownarmee hervorbrachte.

Beim Workshop wurden auch auf Flipcharts ganz neue Möglichkeiten des Aktivismus aufgezeichnet, die sich kapitalistischen Dynamiken entziehen. Der Hintergrund laut Jay Jordan: „Aktivismus wird von der Produktivität des Kapitalismus beeinflusst: wir wollen auch darin immer mehr und mehr tun”, sagt Jay Jordan. Von einem Leistungsgedanken, der im Aktivismus durchaus vorhanden sei, spricht auch Posch.

Nachhaltig agieren
Regeneration für Aktivist:innen bieten auch andere Projekte an. Ein Beispiel: Das Global Ecovillage Network, eine global agierende internationale Organisation von Einzelpersonen und Gemeinschaften in Ökosiedlungen. Laut Eigenbeschreibung stellt es Retreat-Räume für Aktivist:innen des sozial-ökologischen Wandels in Ökodörfern, Lebensgemeinschaften und Kommunen bereit – auch in Österreich, in Kärnten, in der Steiermark und in Niederösterreich.
Andere Projekte, die mit nachhaltigem oder regenerativem Aktivismus arbeiten, werden von Initiativen wie „Nachhaltig Aktiv – Engagiert mit langem Atem“, Roots of Resilience oder der Somatischen Akademie durchgeführt. Auch das Kampagnenteam von Südwind wendet Teile davon an.

Bis sich die Regeneration nachhaltig im Aktivismus durchzieht, wird es noch dauern. „Aktivismus ist kein Sprint. Wir werden nicht in zwei Jahren eine heile Welt erreichen können und müssen uns auf einen längeren (lebenslangen) Kampf einrichten“, schreibt Aktivist Massi in seinem offenen Brief.

Magdalena Pichler ist freie Journalistin mit Fokus auf Kultur und Gesellschaft. Sie studierte Politikwissenschaft, Theater-, Film und Medienwissenschaften und Journalismus. 

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