Die Linke Claudia Sheinbaum könnte die erste Präsidentin Mexikos werden.
Würde die mexikanische Verfassung eine Wiederwahl nach der sechsjährigen Amtszeit erlauben, würde Präsident Andrés Manuel López Obrador (gemeinhin „AMLO“ genannt) wohl deutlich im Amt bestätigt werden. Bei der Wahl am 2. Juni stehen die Zeichen auf Kontinuität.
Fast 100 Millionen Mexikaner:innen stimmen an dem Tag über die Präsidentschaft, die beiden Parlamentskammern sowie zahlreiche Posten auf bundesstaatlicher und kommunaler Ebene ab. Seine Popularität versucht López Obrador auf Wunschnachfolgerin Claudia Sheinbaum zu übertragen. Die frühere Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt tritt für ein Bündnis um die regierende sozialdemokratische Morena-Partei (Bewegung zur Nationalen Erneuerung) an. Laut Umfragen gilt sie mit 20 bis 30 Prozentpunkten Vorsprung als klare Favoritin. „An die Regierung zu kommen, ist für uns kein Selbstzweck“, betont Sheinbaum: „Wir wollen Mexiko weiter zum Guten verändern“.
Präsidentin wahrscheinlich
Aussichtsreichste Kontrahentin ist Xóchitl Gálvez, die für ein Bündnis der rechten PAN (Partei der Nationalen Aktion), der ehemaligen Staatspartei PRI (Revolutionär-Institutionelle Partei) sowie der Mitte-links-Partei PRD (Partei der Demokratischen Revolution) kandidiert. Als Ex-Senatorin der PAN verkörpert sie die ehemalige politische Elite des Landes, aber hebt ihre indigene Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen hervor.
Inhaltlich will sie vor allem die Sicherheitspolitik und die Privatwirtschaft stärken. Damit wird Mexiko nach der Amtsübergabe Anfang Dezember mit großer Sicherheit erstmals von einer Frau regiert werden.
Der unabhängige dritte Kandidat Jorge Álvarez gilt als chancenlos.
Verbesserte Bedingungen
Sheinbaum steht für die Fortführung des unter López Obrador eingeschlagenen Weges der „Vierten Transformation“ (4T), wie der Präsident sein politisches Projekt bezeichnet. Nach der Unabhängigkeit in den 1820er Jahren, den Reformen des 19. Jahrhunderts sowie der mexikanischen Revolution von 1910 bis 1917 soll das Land zum vierten Mal grundlegend verändert werden.
Zwar blieben tiefgreifende Reformen zur Umverteilung des Reichtums in den vergangenen Jahren aus. Doch im Vergleich mit den neoliberalen 1990er und 2000er Jahren steht Mexiko nach AMLOs Präsidentschaft relativ gut da: Der Staat spielt eine aktivere Rolle, die wirtschaftliche Situation hat sich auch durch Sozialprogramme für viele Menschen verbessert. Neben Kontinuität in der Sozial- und Wirtschaftspolitik verspricht Sheinbaum unter anderem, die Bekämpfung der Korruption zu intensivieren, die Bildungsausgaben zu erhöhen und eine Wende zu erneuerbaren Energien einzuleiten.
Baustelle Menschenrechte
In der Kritik standen während AMLOs Regierungszeit vor allem Megaprojekte wie der Maya-Zug (Tren Maya), der von der Halbinsel Yucatán bis in den südlichen Bundesstaat Chiapas reicht, sowie der ebenfalls auf Schienen verlaufende „interozeanische Korridor“, der den Golf von Mexiko mit dem Pazifik verbindet. Die beiden Projekte sollen die touristische und industrielle Entwicklung fördern, bringen jedoch ökologische Probleme mit sich.
Keine überzeugenden Konzepte bieten die Kandidat:innen für die Menschenrechtskrise, die Mexiko seit Jahren erlebt. Das Organisierte Verbrechen rund um die mächtigen Drogenkartelle kontrolliert ganze Bundesstaaten und ist auf lokaler Ebene häufig eng mit der Politik verzahnt. Mehr als 110.000 Menschen gelten laut offiziellen Angaben als verschwunden, für Journalist:innen oder Umweltschützer:innen gilt Mexiko als eines der gefährlichsten Länder der Welt. Trotz fortschrittlicher Gesetze zum Schutz gefährdeter Gruppen werfen zivilgesellschaftliche Organisationen der Regierung vor, keine kohärente Menschenrechtspolitik zu verfolgen. Zudem unterstellt der Präsident kritischen Journalist:innen, Menschenrechtsorganisationen und feministischen Gruppen in seinen morgendlichen Pressekonferenzen (mañaneras) immer mal wieder, eine verdeckte oppositionelle Agenda zu verfolgen.
Neue Chance
Es ist aber genau die direkte Ansprache des Präsidenten, die in weiten Teilen der Bevölkerung gut ankommt. Die Physikerin und Umwelttechnikerin Sheinbaum hingegen gilt zwar als fachlich und politisch versiert, aber wenig charismatisch. Sie wird also einen anderen Politikstil prägen müssen. Ihre potentielle Präsidentschaft böte Möglichkeiten, positive Entwicklungen fortzuführen sowie Defizite in der Menschenrechts- und Umweltpolitik zu beseitigen.
Tobias Lambert arbeitet als freier Autor, Redakteur und Übersetzer überwiegend zu Lateinamerika. Er twittert unter @lambert_to
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