Es war ein politischer Kampf, der sich über Monate hinzog: Bis zuletzt waren DiplomatInnen, Geberinstitutionen und MitarbeiterInnen äthiopischer Nichtregierungsorganisationen gegen die von der äthiopischen Regierung entworfene „Charities and Societies Proclamation“ Sturm gelaufen. Doch alles Zetern und Drohen half nichts: Anfang Jänner beschloss das Parlament das umstrittene Gesetz. Seitdem dürfen Hilfsorganisationen in Äthiopien kaum noch mehr leisten als humanitäre Nothilfe; Menschen- und Bürgerrechte, religiöse Versöhnungsinitiativen oder nachhaltige Entwicklung sind für die AktivistInnen ebenso tabu wie juristische Arbeit, die Gleichstellung von Frauen und die Rechte von Behinderten und Kindern. „Ich kenne kein Gesetz irgendwo auf der Welt, das so restriktiv ist“, wettert Chris Albim-Lackay von Human Rights Watch. Die internationale Menschenrechtsgruppe steht mit der Regierung von Premier Meles Zenawi schon lange auf Kriegsfuß.
Zwar gelten die Auflagen offiziell nur für ausländische Nichtregierungsorganisationen. Tatsächlich treffen sie aber genauso fast alle äthiopischen Gruppen, weiß Madhere Paulos, die Direktorin des äthiopischen Rechtsanwältinnen-Verbands. „Das Gesetz verbietet Organisationen wie unsere zwar nicht ausdrücklich“, so Paulos. „Aber wir dürfen nur weiterarbeiten, wenn mehr als 90 Prozent unserer Mittel aus Äthiopien stammen.“ In einem der ärmsten Länder der Welt, wo Staatszuschüsse und Großspenden unbekannt sind, schafft das fast keine Organisation. Paulos schätzt, dass ihr Verband knapp ein Prozent seines Etats mit Eigenmitteln aus Äthiopien bestreitet.
Bis Anfang des Jahres konnte sich Paulos, wie die meisten anderen, auf Gelder von ausländischen Stiftungen oder Hilfsorganisationen verlassen. Das Geld brauchen die Rechtsanwältinnen, um benachteiligten Frauen im ganzen Land zu helfen. Mehr als 18.000 von ihnen haben im vergangenen Jahr in einem der 54 Büros Schutz und rechtlichen Beistand gesucht. Viele waren von ihrem Mann misshandelt worden, andere brauchten Beistand bei Arbeits- oder Familienproblemen. All das, sagt Paulos, ist inzwischen prinzipiell illegal. „Die Gerichtsgebühren, die wir für unsere Klientinnen übernehmen, sind sehr hoch, und dazu kommen Transportkosten und die ärztliche Behandlung für Opfer von Vergewaltigung und sexueller Gewalt.“
„Wir bekommen hundert Prozent unseres Gelds aus dem Ausland“, erklärt auch Ato Amare, der Chef von OSSA, der „Organisation für soziale Dienste rund um Aids“. OSSA ist äthiopisch durch und durch: Vor fast 20 Jahren hat die Gruppe klein angefangen, als Aids in Äthiopien noch kein Thema war. Heute ist sie im ganzen Land präsent, beschäftigt 400 Menschen und 2.500 freiwillige HelferInnen. An vielen Orten macht OSSA die Arbeit, die der Staat nicht leistet. Doch staatliche Förderung gibt es nicht. „Und wer zu uns kommt, um sich helfen zu lassen, hat kein Geld. Wo also sollen wir Eigenmittel hernehmen?“ Nicht nur die OSSA-Programme für Mädchen, Anti-Aids-Clubs für Kinder und Jugendliche und dergleichen stehen infrage. Weil ganz oben in OSSAs Charta die „Verteidigung von Menschenrechten und der Kampf gegen Stigma und Diskriminierung“ steht, muss die Organisation entweder mit ihren Prinzipien brechen – oder dichtmachen. Darüber, dass die strengen Bestimmungen eingehalten werden, wacht eine neu geschaffene Behörde, gegen deren Entscheidungen kein Einspruch möglich ist – auch nicht vor Gericht. Für Gesetzesverstöße drohen bis zu 15 Jahre Haft. „Wir sind sehr verunsichert und haben Angst“, so Amare. Schließlich sind mehr als 40 Nichtregierungsorganisationen im Süden des Landes wegen angeblicher Verbindungen zu einer Rebellenbewegung bereits dichtgemacht worden.
Österreich und Äthiopien
Seit 1993 ist Äthiopien Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA). Im Vordergrund stehen Verringerung der Armut, die Verbesserung der Gesundheitsversorgung und ländliche Entwicklung, Ernährungssicherung sowie Förderung von Frauen und Demokratieentwicklung.
Bereits in den 1960er Jahren gab es enge Wirtschaftsbeziehungen zwischen Äthiopien und Österreich. Seit Beginn der 1980er Jahre leistete Österreich wegen fortwährender Hungerkatastrophen Nahrungsmittelhilfe. 1996 wurde ein Koordinationsbüro der OEZA in Addis Abeba eingerichtet. Die gesamten öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen Österreichs (inklusive Länder, Städte und Gemeinden) an Äthiopien betrugen zwischen 1995 und 2007 65,21 Mio. Euro. Davon entfielen 41,37 Mio. Euro auf Leistungen der OEZA im gleichen Zeitraum.
Beim Besuch des äthiopischen Vize-Außenministers Tekeda Alemu in Wien (im Jänner 2009) äußerte Botschafterin Öppinger-Walchshofer, Geschäftsführerin der Austrian Development Agency (ADA), große Bedenken gegenüber dem Gesetz für Nichtregierungsorganisationen.
Die Einzigen, die die Bedingungen des neuen Gesetzes voll erfüllen können, sind die Organisationen der mächtigen Regierungspartei. Über allen anderen schwebt ein Damoklesschwert, das Regierungskritik deutlich leiser hat werden lassen. KritikerInnen halten das für den wahren Hintergrund des Gesetzes: Nach schweren Verlusten bei der Wahl vor vier Jahren hatte die autoritäre Regierung Zenawis alle Oppositionsführer und viele kritische Journalisten, Frauen wie Männer, verhaften lassen. „Jetzt sind die letzten verbliebenen Kritikerinnen und Kritiker dran“, sagt Nigussu Legesse von Äthiopiens Kirchlicher Hilfskommission. 2010 wird wieder gewählt; diesmal will die Regierung offenbar kein Risiko eingehen. Die Drohung ist deutlich: Wer das an entscheidenden Stellen schwammige Gesetz nach Ansicht der Regierung verletzt, muss mit harten Strafen rechnen. Auf Missachtung stehen bis zu 15 Jahre Haft. Zudem ist die Regierung in der Lage, Oppositionshochburgen gezielt zu bestrafen. Denn selbst Nothilfe ist nur noch in Regionen erlaubt, die von der Regierung selbst als notleidend eingestuft werden.
Einzig der Patriarch der äthiopisch-orthodoxen Kirche, der als enger Verbündeter Zenawis gilt, stützt das Gesetz. Es werde Äthiopien zu mehr Eigeninitiative antreiben, glaubt Abune Paulos: „Es wird dafür sorgen, dass die Leute endlich arbeiten und merken, sie müssen sich selbst helfen.“ Die Nichtregierungsorganisationen aus dem Ausland hätten Äthiopien derzeit fest im Griff und machten eine wirkliche Entwicklung unmöglich. Mit dieser Kritik steht Paulos tatsächlich nicht allein. 3.717 Hilfsorganisationen sind in Äthiopien registriert, so viele wie kaum sonst wo in Afrika. Und doch ist das Land immer noch eines der ärmsten. Dass da etwas nicht stimmen kann, hatten auch die äthiopischen Organisationen selbst erkannt und eine gesetzliche Regulierung gefordert. Dass diese Forderung sich verselbstständigt hat und jetzt jedes kritische Engagement untersagt ist, wollten sie freilich nicht.
Die neuen Verbote sind auch ein Affront gegen ausländische Nationen, die Äthiopien so viele Hilfsgelder zugestehen wie kaum einem anderen afrikanischen Land. Dass diese aus Protest gestrichen werden, muss Zenawis Regierung kaum fürchten. Für das Prestige einer international arbeitenden Hilfsorganisation ist Äthiopien als Standort ebenso wichtig wie für westliche Regierungen, die in dem Staat ein Bollwerk gegen Extremisten in Somalia und Eritrea sehen. So beschwert sich die EU-Direktorin von Human Rights Watch, Lotte Leicht, über die Reaktion aus Brüssel: Nicht nur unzureichend, sondern zudem in alarmierender Weise EU-Prinzipien missachtend sei die vorsichtige Kritik gewesen, die Brüssel nach Verabschiedung des Gesetzes geäußert habe. Das damit gesandte Signal sei fatal: „Die politische Unterstützung für Äthiopien geht offenbar ungeachtet aller Menschenrechtsverletzungen weiter wie bisher.“