Was demokratische Schulen können

Von Monika Austaller · ·

Mit Kindern philosophiert er am liebsten: Der argentinische Bildungsphilosoph Walter Kohan stellt im Gespräch mit Monika Austaller Rede und – Frage.

In Ihrer Arbeit ist ein gemeinsames Fragenstellen zentral. Darf ich mir daher erlauben, Sie um eine erste Frage zu bitten.

Die erste Frage wäre: Was kann aus einem Gespräch zwischen zwei Freund:innen in Sorge um die Welt entstehen, in Wien, während eines Krieges im Nahen Osten, während die Welt in Flammen steht?

Diese Frage öffnet den Raum für Gedanken wie: Welche Möglichkeiten haben wir, um etwas zu bewirken? Und: Warum wollen wir in Aktion treten?

Auch stellt sich die Frage nach der politischen Dimension des Journalismus und der Bildung. Welchen Wandel können sie hervorbringen? Ich wüsste nicht, welche Veränderung ich wollte. In meinen Augen muss ich das in der Bildungsarbeit nicht wissen.
Im Gegenteil: Ich denke, in einem Bildungskontext darf ich gar nichts voraussetzen, um einen Raum zu ermöglichen, in dem jene, die gemeinsam mit uns denken, lernen und unterrichten, sich eine Welt vorstellen können, die sie wollen. Das ist wie die Reise eines Irrenden, der sich offen einlässt ohne zu wissen, wo er ankommen wird. Bildung und Journalismus können kein Ziel dieser Reise vorwegnehmen. Sonst wäre es keine Reise, sondern eine Prophezeihung.

Wie kann eine politische Dimension von Bildung aussehen?

Bildung kann erfahrbar machen, wie man in Gemeinschaft lebt, wie Macht ausgeübt wird, wie man sich gegenseitig zuhört. All das findet in einem politischen Kontext statt. Unsere Welt ist sehr ungerecht, autoritär, hierarchisch und exklusiv.
In Institutionen wie Schulen können wir das problematisieren. Die Schule ist daher so wichtig, weil ich erfahren kann, dass mir zugehört wird und ich dabei lerne, anderen zuzuhören. Werde ich auf demokratische oder auf autoritäre Weise unterrichtet – ich werde es internalisieren und reproduzieren. Oder dagegen Widerstand leisten. Die Erfahrung ist viel wirksamer, als jemandem zu erklären, wie man demokratisch leben kann. Diese Vermittlung kann eine Stärke von Institutionen sein, aber auch einer Gemeinschaft, eines Viertels, eines Platzes.

Es bleibt das Vertrauen, dass, wenn wir Zeit haben, um miteinander nicht nur „Stoff“ zu lernen, sondern gemeinsam zu reflektieren, uns in Beziehung zu setzen, daraus Projekte entstehen, die uns helfen, in einer besseren Gesellschaft zu leben.

Genau. Aber es obliegt nicht einer Schule, das vorwegzunehmen. Sobald jemand für eine andere Person denkt, ist es schon vorbei. Außerdem denkt man anders, wenn man sich zuhört und gemeinsam denkt – eine Gnade, die weder selbstverständlich noch üblich ist.

Interview & Übersetzung: Monika Austaller

Walter Kohan ist Professor für Bildungsphilosophie an der staatlichen Universität von Rio de Janeiro, Brasilien. Seinen Fokus hat der Argentinier auf die Lehrer:innenausbildung gelegt.

Wer mehr erfahren will: Walter Kohan hat 2021 eine philosophische Biographie über Paulo Freire (Paulo Freire. A Philosophical Biography, Bloomsbury 2021, 296 Seiten, 28 Euro, derzeit noch keine deutsche Version erhältlich) veröffentlicht, in der er auf zentrale Themen in Freire’s Pädagogik wie Gleichheit, Liebe, Irren und Kindheit eingeht. Hier zum Buch bei Bloomsbury Publishing und hier zur Rezension auf der Seite des Paulo Freire Zentrums.

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