Zuerst habe ich es an mir selbst beobachtet: Romane, Erzählungen, Gedichte lese ich am liebsten in meiner Muttersprache deutsch. Auch wenn ich etwa in einem Buch auf Englisch Wort für Wort, Satz für Satz verstehe, genieße ich es nicht. Dann habe ich bei einigen Freunden und Freundinnen nachgefragt, von denen ich weiß, dass sie eine bestimmte Sprache sehr gut sprechen, die aber doch eine Fremdsprache für sie ist. Die meisten lesen wie ich Literatur am liebsten auf Deutsch. Fachbücher seien etwas anderes. Warum? Bei Literatur schwingen Gefühle mit, meinte eine. Ein anderer sagte: „Du musst in einer Sprache träumen, um eine Erzählung, ein Gedicht in dieser Sprache wirklich genießen zu können.“ Ich kenne keine repräsentativen Umfragen zu dieser Thematik.
Solche Überlegungen zeigen eines deutlich: Literarische ÜbersetzerInnen müssen in eine andere als ihre Muttersprache sehr tief eindringen. Wie sonst könnten sie die „Seele“ eines Textes erfassen und übertragen? Auch die Kultur, in der etwa eine Erzählung angesiedelt ist, muss ihnen sehr vertraut sein, um sie den LeserInnen der Übersetzung zu vermitteln.
Noch etwas habe ich in Vorbereitung dieses Themas bei den Autorinnen und Autoren der folgenden Texte ganz deutlich gespürt: eine große Leidenschaft für ihre Tätigkeit, eine feine Sensibilität für sprachliche Ausdrücke und mitschwingende Bedeutungen, eine Exaktheit im Finden von Sprachbildern, auch eine Strenge mit mir, die ich ihre Texte redigierte. Natürlich steht die perfekte Beherrschung von mindestens zwei Sprachen am Beginn jeder literarischen Übersetzung. Aber sie allein ist eindeutig zu wenig, um Literatur aus einer anderen Sprache und Kultur vermitteln zu können.
Bei so viel Kompetenz unterwerfe auch ich mich gerne den Meistern auf ihrem Gebiet. Rudi Lindorfer sagt es in seinem Beitrag sehr schön: „Eine Übersetzung von Curt Meyer-Clason ist unvergleichlich besser, als es eine von mir wäre.“
Meine Bewunderung gilt trotzdem all jenen, die Literatur in einer Fremdsprache lesen (und genießen!) können. Schlechtes Gewissen ist nicht angebracht, wenn man guten Übersetzungen vertraut. Hauptsache:
Viel Spaß beim Lesen!
Brigitte Pilz