Wie Pharmakonzerne Geld mit Gesundheit machen

Von Thomas Seifert · · 2023/Nov-Dez
New York 2015: Protestierende mit dem Bild des CEO von Turing Pharmaceuticals, Martin Shkreli. Die Firma hat den Preis für Daraprim, wichtig bei Aids, um über 5.000 Prozent erhöht. © Craig Ruttle / AP / picturedesk.com

Gesundheit ist ein umkämpftes Menschenrecht, das zeigte die COVID-19-Pandemie. Wie die großen Pharmaunternehmen ein Milliardengeschäft machen, während Kranke sich Medikamente nicht leisten können.

Medikamente sind ein Milliardenbusiness. Das globale Volumen des weltweiten Pharmamarktes belief sich laut Statista im Jahr 2021 auf rund 1,28 Billionen US-Dollar. Trotz, oder auch dank COVID-19. In der Pandemie, die per Definition ein globales Problem ist, war von internationaler Solidarität in vielen Bereichen wenig zu spüren. Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im April 2020 ins Leben gerufene Covax-Initiative sollte etwa den Impfstoff für alle Teile der Welt gerecht verteilen. Doch der Plan ging nicht auf. Während in reicheren Ländern unzählige Impfdosen gegen COVID-19 abliefen, warteten viele ärmere Länder vergeblich auf den begehrten Stoff.

Warum es keinen Impfstoff für alle gab, liegt für Meike Schwarz auf der Hand. Sie ist politische Referentin bei der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières/MSF). In einem Gastkommentar der deutschen Wochenzeitung Zeit Anfang 2023 schreibt sie: „Ein entscheidender Grund für die ungerechte Verteilung war, dass die Eigentumsrechte, Lizenzen oder gar Technologien, die dem Globalen Süden vermutlich schnell geholfen hätten, die Pandemie zu bekämpfen, nicht geteilt worden waren. Das geschah auch auf das Drängen der Pharmaindustrie hin.“

Ähnlich die Kritik von Initiativen wie der deutschen BUKO Pharma-Kampagne, gegründet vor über 40 Jahren als „Kampagne gegen die Praktiken der Pharmaindustrie in der Dritten Welt“, oder der NGO Public Eye aus der Schweiz.

In einem Report aus 2021 etwa beschreibt Public Eye, wie der Pharmagroßhandel „die Krise zum eigenen Vorteil ausnutzt, obwohl die Produkte massiv durch öffentliche Gelder finanziert wurden“. Die NGO kritisiert, dass reiche Länder die Interessen ihrer Pharmaunternehmen schützen, auf Kosten internationaler Solidarität. Die Konzerne selbst würden Wissen unter Verschluss halten und so künstliche Versorgungsengpässe herstellen – Stichwort Patente auf Medikamente.

Abhängig von den Konzernen. Dabei ist Gesundheit ein Menschenrecht: Am 16. Dezember 1966 verabschiedete die internationale Staatengemeinschaft den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, seither hat jeder Mensch das Recht auf das für ihn oder sie „erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit“.

Tatsache ist: Die Liefer- und Wertschöpfungsketten in dieser Industrie sind hochkomplex. Die Forschung erfolgt heute in Laboren, die meist eng mit Universitäten zusammenarbeiten. Verspricht ein Wirkstoff oder eine Technologieplattform Erfolg, dann steigen Pharmakonzerne groß ein. Ohne auf die Kapitalreserven und Testkapazitäten von Big Pharma, wie die mächtigen, ausschließlich auf Gewinn ausgerichteten Konzerne genannt werden, zurückgreifen zu können, kann es kaum ein medizinisches Produkt zur Marktreife schaffen. Nach den langwierigen und teuren klinischen Tests geht es darum, die Fachwelt und die Patient:innen vom entwickelten Produkt zu überzeugen. Die Vertriebskanäle sind aufgrund der notwendigen Kühlkette ebenfalls alles andere als simpel.

Auch das hat die Pandemie gezeigt: Als ab 2020 das COVID-19-Virus die Welt in Atem hielt, schielten bald viele Menschen auf die Pharmaindustrie, in der Hoffnung auf ein Vakzin.

Der Markt an pharmazeutischen Rohmaterialien wird von China dominiert, gefolgt von Indien und den USA. Der Schauplatz der klinischen Versuche verlagert sich immer mehr nach Asien: Die USA liegen mit mehr als 22,65 % aller Versuche auf Platz eins, gefolgt von China (12,66 %), Japan (8,53 %) und Indien (7,38 %).

China und Indien legen seit Jahren zu, Grund ist die stetige Weiterentwicklung der Pharmaindustrie in diesen Ländern, in Indien wurden aber auch zunehmend klinische Versuche im Auftrag europäischer und US-amerikanischer Firmen durchgeführt. Zum Vergleich: Deutschland liegt bei 7,10 %, Österreich bei 1,7 %. Das große Geld machen freilich die Pharmakonzerne, die die medizinischen Produkte an die Patient:innen bringen.

Menschenrecht auf Gesundheit

 Artikel 12 (1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an. (2) Die von den Vertragsstaaten zu unternehmenden Schritte zur vollen Verwirklichung dieses Rechts umfassen die erforderlichen Maßnahmen a) zur Senkung der Zahl der Totgeburten und der Kindersterblichkeit sowie zur gesunden Entwicklung des Kindes; b) zur Verbesserung aller Aspekte der Umwelt- und der Arbeitshygiene; c) zur Vorbeugung, Behandlung und Bekämpfung epidemischer, endemischer, Berufs- und sonstiger Krankheiten; d) zur Schaffung der Voraussetzungen, die für jedermann im Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherstellen.

Internationaler UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966

Profit, Profit, Profit. Das Gesundheitswesen benötigt also die Infrastruktur der Konzerne. Doch einige Skandale zeigen, dass sie viel Macht haben – und diese immer wieder missbrauchen. Zynismus und Profitgier in der Pharmaindustrie bekamen etwa vor acht Jahren einen Namen: Martin Shkreli. Im Dezember 2015 trat der US-Amerikaner beim Forbes Healthcare Summit im New Yorker Lincoln Center auf, nachdem seine Pharmafirma Turing Pharmaceuticals den Preis des entzündungshemmenden Präparats Daraprim – das unter anderem für Aids-Patient:innen lebensrettend sein kann – von 13,50 Dollar auf 750 Dollar erhöht hatte. Er rühmte sich auf offener Bühne seines Profitstrebens.

Das Opioid Oxycontin kam auf den US-amerikanischen Markt, obwohl es keine Langzeitstudien und keine Bewertung seiner Suchtwirkung gegeben hatte. © Toby Talbot / AP / picturedesk.com

„Würden Sie heute etwas anderes machen, wenn Sie die Uhr um ein paar Monate zurückdrehen könnten?“, wurde Shkreli vor Publikum gefragt. „Ich hätte den Preis noch stärker erhöht“, sagte er. Und: „Pharmapreise sind unelastisch. Ich hätte … noch mehr Profit für unsere Shareholder machen können. Denn genau das ist meine Hauptaufgabe. Niemand traut es sich zu sagen, niemand ist stolz darauf: Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft, einem kapitalistischen System mit kapitalistischen Regeln und meine Investor:innen erwarten von mir, dass ich die Profite maximiere – nicht minimiere. Sie erwarten … 100 Prozent Anstrengung zur Profitmaximierung.“

2017 wurde Shkreli wegen Betrugs zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem er die Investor:innen von zwei Hedgefonds um mehrere Millionen US-Dollar erleichtert hatte.

Ein weiterer Stargast des damaligen Forbes-Events landete ein paar Jahre später im Gefängnis: Elizabeth Holmes ließ sich damals als Gründerin und CEO des vermeintlich höchst erfolgreichen Laborunternehmens Theranos feiern. Sie wurde im November 2022 wegen Anlagebetrugs zu elfeinhalb Jahren Haft verurteilt und sitzt seit Ende Mai 2023 in Texas in Haft.

Die Preise für Daraprim sind übrigens nie wieder auf das frühere Niveau gesunken, in den USA kosten 30 Pillen heute zwischen 50 und 70 US-Dollar.

Shkreli und Holmes sind Beispiele für Rücksichtslosigkeit in der Pharmabranche. Aber auch abseits dieser extremen Auswüchse steht die gesamte Industrie regelmäßig in der Kritik.

© SWM / Quellen: PharmaShots, Statista

Wundermittel Vermarktung. In den 1950er Jahren trat der CEO des US-amerikanischen Unternehmens Pfizer (damals noch vorwiegend eine Chemiefirma), John McKeen, als erster seiner Branche einen aggressiven Werbefeldzug an, bei dem er die damals neuen, revolutionären Antibiotika als Wundermittel vermarkten ließ.

Sein Credo: Warum sollte man in die Entwicklung von Medikamenten investieren, wenn diese nicht satte Gewinne abwerfen würden? 2021 war Pfizer mit über 80 Milliarden US-Dollar vor Johnson & Johnson der umsatzstärkste Pharmakonzern weltweit.

Eine Schlüsselrolle dabei spielte der studierte Mediziner und Werbeguru Arthur M. Sackler, der Mitte des 20. Jahrhunderts das Breitbandantibiotikum Terramycin mit einem bis dahin nie gekannten Werbebudget verkaufte, wie der US-Journalist Gerald Posner in seinem Buch „Pharma – Greed, Lies, and the Poisoning of America“ nachzeichnet.

Arthur M. Sackler wurde übrigens später als einer der drei Brüder hinter Purdue Pharma bekannt. Purdue ist jener Pharmakonzern, der das Schmerzmittel OxyContin auf den Markt brachte, das als Auslöser der tödlichen US-Opioid-Epidemie in den 1990er Jahren gilt. Mittlerweile sterben an dieser rund 45 Menschen pro Tag in den USA – allein an verschriebenen Opioiden. Tendenz steigend.

© SWM / Quelle: Statista 2023

Außer Kontrolle. Dass die Medikamentenpreise auf dem globalen Markt heute in keinem Verhältnis mehr zu den Entwicklung- und Vertriebskosten stehen, lassen die Gewinnmeldungen der Pharmakonzerne vermuten.

Ein Beispiel: Sovaldi, das Präparat zur Heilung von Hepatitis C von Gilead, kostete einst rund 42.000 Dollar pro Behandlung – das Medikament muss rund drei Monate lang eingenommen werden. Auf Druck europäischer Gesundheitsministerien konnten die Behandlungskosten auf rund 2.400 Euro gesenkt werden. In einer Vereinbarung konnte später zudem erreicht werden, dass das gegen Hepatitis C wirksame Generikum Myhep DVIR in Ländern des Globalen Südens um weniger als 80 Dollar pro Therapie angeboten wird.

Ärzte ohne Grenzen machte sich bereits im Jahr 1999 dafür stark, dass lebensrettende Medikamente für die Länder des Globalen Südens zu leistbaren Preisen zur Verfügung stehen müssen. Zuerst ging es um Zugang zu Medikamenten zur Behandlung von HIV, später aber auch um Tuberkulose-, Malaria- und Schlafkrankheit-Präparate.

Einzelne Regierungen des Globalen Südens drohten der Pharmaindustrie mit Zwangslizenzierungen patentgeschützter Medikamente für die lokalen Märkte; dies, mehr Konkurrenz unter den Herstellern, Druck von Seiten der NGOs und erfolgreiche Preisverhandlungen des Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria (GFATM) haben zu Preissenkungen für HIV-Präparate geführt. Die Preise für die Behandlung in Ländern mit geringen und mittleren Pro-Kopf-Einkommen sind von 10.000 Dollar im Jahr 2000 auf rund 75 Dollar im Jahr 2020 gefallen.

Cholera im Fokus. Marcus Bachmann (siehe auch Kommentar Seite 12) hat jahrelang in der Pharmaindustrie gearbeitet und ist seit September 2020 bei Ärzte Ohne Grenzen Advocacy & Humanitarian Affairs Representative: „Die pharmazeutische Industrie hat es geschafft, durch jahrzehntelanges erfolgreiches Lobbying die Interessenlage der verschiedenen Stakeholder, darunter Patientinnen, Patienten, Ärztinnen, Ärzte, immer mehr zu ihren Gunsten zu verschieben“, sagt er. Das erlaube ihnen, für neuartige medizinische Produkte extrem hohe Preise durchzusetzen.

Das sei für die Pharmakonzerne ein Anreiz, nur mehr in ganz bestimmte Produktgruppen, Produkte oder Märkte zu investieren. „Das Wohl der Patientinnen und Patienten, aber auch die Nachfrage – sprich, die Krankheitslast – spielt da immer weniger eine Rolle“, so Bachmann.

Er verweist auf das jüngste Beispiel von Shantha Biotechnics, einem indischen Tochterunternehmen des französischen Pharmakonzerns Sanofi. Dieses Unternehmen hat im Jahr 2022 die Produktion des Cholera-Impfstoffs Shanchol eingestellt, obwohl es insgesamt nur drei von der WHO zugelassene Impfstoffe gibt, von denen wiederum nur Shanchol und Euvichol (ein Produkt von EuBiologics) für Massenimpfungen geeignet sind.

Und das, obwohl Cholera zuletzt auf dem Vormarsch war: In Syrien und im Libanon gab es 2022 Cholera-Ausbrüche, in Haiti grassiert Cholera seit 2010 in regelmäßig wiederkehrenden Wellen. Nach WHO-Schätzungen gibt es jedes Jahr bis zu vier Millionen Cholera-Fälle, 143.000 Menschen starben vergangenes Jahr an der von einem Bakterium verursachten Krankheit.

Sanofi sorgt sich nicht. Warum man da die Produktion aufließ, ist für Bachmann nicht nachvollziehbar – für Sanofi stellt sich die Sache freilich anders dar: Im britischen Medium Guardian wurde im Oktober 2022 ein Sprecher mit den Worten zitiert, dass die Entscheidung im Kontext ohnehin schon geringer Produktion und der zu erwartenden geringen Nachfrage getroffen worden sei – zudem, so der Sanofi-Sprecher, hätten andere Produzenten angekündigt, ihr Cholera-Vakzin-Angebot zu vergrößern. Man habe die Entscheidung im Oktober 2020 getroffen und habe als „verantwortungsvoller Partner“ die globalen Gesundheitsbehörden und Cholera-Stakeholder drei Jahre vor dem Ende der Lieferbarkeit informiert. Zudem werde das Wissen für die Produktion von Shanchol weitergegeben – für Sanofi besteht also kein Grund zur Sorge.

Der Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, hat den Cholera-Vakzinhersteller Shantha und die Muttergesellschaft Sanofi gedrängt, die Entscheidung zum Produktionsstopp von Shanchol zu überdenken. Mittel- bis längerfristig soll nun die Produktion des oral verabreichten Euvichol-Vakzins nicht zuletzt mithilfe des südafrikanischen Unternehmens Biovac auf 80 bis 90 Millionen Impfdosen pro Jahr erhöht werden.

Der Impfstoff könnte bitter benötigt werden: Philippe Barboza, Vorstand der Sektion für Cholera und epidemische Durchfallerkrankungen der WHO warnt davor, dass die Klimakrise und damit einhergehendes extremes Wetter ein Grund für den Anstieg der Cholera-Fälle sind. Barboza fordert eine Verbesserung des Zugangs zu sauberem Trinkwasser und Grundgesundheitsversorgung.

Die deutsche BUKO Pharma-Kampagne fordert nicht nur eine rationale Arzneimittelpolitik, sondern auch den Einsatz gegen Armut und soziale Ungerechtigkeiten, die sie als Folge der wirtschaftlichen Globalisierung und Ursache für Krankheit sieht.

Expert:innen, etwa von MSF oder Public Eye, fordern u. a. zudem generell einen Technologietransfer an Hersteller im Globalen Süden.

Thomas Seifert studierte Biologie, ist langjähriger Journalist und war zuletzt stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Ressorts Europa/Welt der Wiener Zeitung.

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