Leonardo Padura ist international gesehen Kubas meistgelesener zeitgenössischer Schriftsteller. Gleichzeitig hat er im eigenen Land kaum Sichtbarkeit.
Ihre Bücher handeln hauptsächlich von Kuba. Ist das Ihre wichtigste Perspektive?
Meine Arbeit, meine Form, das Leben zu verstehen, mich mit den Menschen zu verbinden, ist von meiner kubanischen Kultur geprägt. In meiner Literatur gibt es Episoden, die an anderen Schauplätzen stattfinden. Mein Buch aus 2012, „Der Mann, der Hunde liebte“, spielt in Russland, der Türkei, Frankreich, Norwegen, Mexiko, aber alles fängt mit Kuba an und hört mit Kuba auf. Die Vision, die Perspektive dieses Romans ist von Kuba aus.
Geht es darum auch in Ihrem neuen Roman „Personas Decentes“, der im kommenden Jahr auf Deutsch erscheinen wird?
Es geht um zwei historische Momente. Um 1909/1910 herum, kurz nach der kubanischen Unabhängigkeit von Spanien, passieren viele Dinge in der Gesellschaft. Es ist eine Zeit der Modernisierung, des wirtschaftlichen Aufschwungs, weil die Präsenz der USA sehr stark ist. Kuba geht aus dem Unabhängigkeitskrieg hervor und keine zehn Jahre später gibt es auf den Straßen von Havanna mehr Automobile als in Madrid und Barcelona zusammen.
Havanna wächst, und im Zentrum dieser Geschichte steht eine reale, berühmte Person, ein Zuhälter: Alberto Yarini, der italienische Wurzeln hat, aber 100 Prozent Kubaner ist. Um diese Figur herum entwickelt sich die Geschichte, die von einem jungen Polizisten erzählt wird, der im damaligen Rotlichtviertel von Havanna ermittelt.
Und es gibt eine zweite Ebene: Im Jahr 2016 ermittelt Kommissar Mario Conde andere Fälle. Warum 2016? Weil das so auch ein Hoffnungsmoment war. Die Beziehungen zu den USA wurden wieder geknüpft. US-Präsident Barack Obama besuchte Havanna, die Rolling Stones und Chanel-Chefdesigner Karl Lagerfeld kamen nach Kuba. Die Hauptfigur ist im Grunde Havanna und was in diesen Momenten dort passierte. Die Geschichte dreht sich um die Hoffnungen der Menschen, die sich später auflösen.
Mit der Detektivfigur Mario Conde haben Sie ein Weltpublikum erobert. Trägt er autobiografische Züge?
Er ist ein Mann meiner Generation mit den Erfahrungen des Lebens meiner Generation in Kuba und einer Reihe von Zügen, die seine sind, die aber meinen nahe kommen: Sein Gefallen an der Literatur, an Büchern, sein Verhältnis zu Freunden. Zu romantisch für seine Arbeit. Er hat einen pessimistischen Charakter in Bezug auf die Wirklichkeit und eine Art, sich durch Ironie gegen die Aggressionen der Welt zu verteidigen. Vor allem teilt er mit mir die Sicht auf die kubanische Realität.
Haben Sie Probleme mit den Behörden bekommen, wenn Sie zeitgenössische kubanische Themen aufgreifen?
Es gibt viele Perspektiven, über die Wirklichkeit zu schreiben: historisch, soziologisch, journalistisch. Meine ist romanhaft. In gewisser Weise versuche ich, eine literarische Chronik des zeitgenössischen Lebens in Kuba zu schreiben – ich betone: von der Literatur aus. Im Fall der Romane mit Mario Conde zum Beispiel bin ich mit ihm durch die Jahre 1989 bis 2016 gegangen, zuerst als Polizist und dann als Detektiv und Straßenverkäufer von Second-Hand-Büchern. „Der Mann, der Hunde liebte“ handelt von der Wahrnehmung der egalitären Utopie des 20. Jahrhunderts und vom Stalinismus. Mein Diskurs ist dabei nicht derselbe wie der offizielle kubanische. Das hat dazu geführt, dass ich als Schriftsteller in Kuba eine sehr geringe Sichtbarkeit habe. Ich stehe nicht in der Zeitung, bin nicht im Fernsehen oder im Radio präsent. Aber ich habe alle möglichen Preise bekommen, einschließlich des kubanischen Literaturpreises. Ich lebe in Kuba, schreibe über Kuba – doch wo ich die geringste mediale Präsenz habe, das ist in Kuba.
Leonardo Padura, geboren 1955 in Havanna, arbeitete zunächst als Journalist und begann in den 1990er Jahren Kriminalromane zu schreiben. International bekannt wurde er mit seinem Kriminalromanzyklus „Das Havanna-Quartett“. Sein mehrfach ausgezeichnetes Werk umfasst Romane, Erzählbände, literaturwissenschaftliche Studien sowie Reportagen. Leonardo Padura lebt in Havanna.
Sein neuer Roman „Personas Decentes“ (in deutscher Übersetzung: Anständige Menschen) erscheint 2024 auf Deutsch im Unionsverlag Zürich. Der genaue Titel steht noch nicht fest.
In Ihrem Roman „Wie Staub im Wind“ aus 2020 möchten fast alle Kuba verlassen. Gleichzeitig handelt die Geschichte von der Liebe zu Kuba …
Ich glaube, wir in Kuba haben ein besonders inniges Verhältnis zu unserem Land. Das Problem ist, wenn man beschließt, irgendwo anders zu leben, sagen wir in Südafrika oder Europa, dass dies mit Schwierigkeiten verbunden ist: Mal durfte man überhaupt nicht aus Kuba raus, mal nicht wieder zurück.
Eine Schlüsselfigur in diesem Roman sagt an einer Stelle: „Die Gründe zu gehen, sind triftig. Die Gründe zu bleiben, sind es auch.“ Darum geht es. Beides sollte man respektieren.
Worin besteht für Sie der Charme der Bücher?
Lesen erschließt die Möglichkeit zur Veränderung. Bücher haben nicht nur Personen verändert, sondern die Welt. Der Roman erlaubt außerdem, nicht nur die Realität zu verstehen, sondern versucht zu erklären, wie die Menschen sind, wie sie denken, was sie fühlen. Ich glaube, das ist der große Charme, den die Bücher haben können. Milan Kundera hat einmal gesagt, der Daseinszweck der Bücher sei die Erforschung des menschlichen Wesens.
Interview: Robert Lessmann
Robert Lessmann arbeitet als freier Journalist und Autor in Wien.
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