In Mexiko engagiert sich eine breite Allianz gegen den Konsum von stark zuckerhaltigen Lebensmitteln und Getränken.
Mexikanische Erwachsene nehmen täglich ein Drittel ihrer Kalorien über hochverarbeitete Lebensmittel und Getränke auf, bei Kindern und Jugendlichen ist der Anteil sogar noch höher. 85 Prozent der Mexikaner:innen konsumieren mehr Zucker als von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen.
Das geänderte Konsumverhalten der Mexikaner:innen überrascht nicht. Denn Lebensmittel- und Getränkewerbung ist allgegenwärtig: auf der Straße, auf digitalen Plattformen und sogar in Schulen. Viele Schulen verfügen nicht über Trinkwasseranschlüsse, aber Süßgetränke werden vor oder in jeder Schule verkauft. Werbung gibt es nicht nur in der offiziellen Landessprache Spanisch, sondern auch in verschiedenen indigenen Sprachen. Sie richtet sich stark an Kinder und Jugendliche.
Als die Schulen während der Corona-Pandemie geschlossen waren, schalteten die Konzerne die Werbung für hochverarbeitete Lebensmittel, zuckerhaltige Getränke und Fast Food auf den digitalen Lernplattformen.
Marktkonzentration. In wenigen Ländern der Welt ist der Markt für Lebensmittel und Getränke so stark konzentriert wie in Mexiko. Bei zuckerhaltigen Getränken haben vier Unternehmen einen Marktanteil von fast 96 Prozent. An der Spitze, wer hätte es gedacht, Coca-Cola.
Die wirtschaftliche Dominanz der Unternehmen transformiert sich in politische Macht: Wenn sie Einnahmeverluste und Imageschäden ihrer Produkte befürchten, versuchen die Konzerne immer wieder, Regulierungen zu blockieren.
Der hohe Zuckerkonsum hat Einfluss auf die Gesundheit der Mexikaner:innen. Etwa 35 Prozent der Kinder und 75 Prozent der Erwachsenen sind übergewichtig oder fettleibig. Bereits seit dem Jahr 2000 ist in Mexiko Diabetes die Haupttodesursache bei Frauen und die zweithäufigste Todesursache bei Männern. In mexikanischen Gemeinden mit einem hohen Anteil indigener Bevölkerung stieg die Zahl der Diabetes-Toten zwischen 2010 und 2020 um 139 Prozent.
Die Hersteller der Süßgetränke sind außerdem enorme Umweltverschmutzer. Weltweit sind Coca-Cola und Pepsi die größten Plastikverschmutzer und auch in Mexiko liegt Coca-Cola auf Platz eins.
Kein Steuerzuckerl. Seit Jahren gibt es Anstrengungen, die gesundheitlichen Schäden durch hochverarbeitete Lebensmittel und Süßgetränke in Mexiko einzudämmen. Teil davon ist die Kampagne für eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke, die 2012 an Schwung gewann. Die Verfechter:innen der Steuer setzten viele Strategien ein, um ihr Ziel zu erreichen: Zunächst einmal bildeten sie eine breit angelegte Koalition, die „Allianz für gesunde Ernährung“.
Dieses Bündnis brachte viele zivilgesellschaftliche Organisationen zusammen: Verbraucher:inneninitiativen wie El Poder del Consumidor (für die auch die Autorin aktiv ist, Anm. d. Red.), Organisationen für Kinderrechte, kleine und mittlere Erzeuger:innenorganisationen, Organisationen für Wasser- und Gesundheitsrechte sowie Organisationen, die sich für die Umwelt und das Recht auf Nahrung einsetzen.
Das Bündnis trat geschlossen auf und hatte so eine starke öffentliche Präsenz.
Von entscheidender Bedeutung war auch die Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen. Diese lieferten Modellstudien und wissenschaftliche Argumente, die das durch zuckerhaltige Getränke verursachte Gesundheitsproblem belegten.
Eine breit angelegte Kampagne in den Medien war ein weiterer wichtiger Bestandteil der Strategie, öffentlich Druck auf die Politik auszuüben, die Menschen zu informieren und zum Handeln aufzurufen. Unter dem Motto „12 Esslöffel Zucker“ umfasste die Kampagne drei Phasen: Sie benannte zuerst das Problem der Fettleibigkeit und chronische Krankheiten, dann den zugesetzten Zucker als verantwortliche Ursache und schließlich die Lösung in Form einer Steuer auf Süßgetränke.
In der Regel begleiteten zwei Fragen das Kampagnenmotto: „Würdest du zwölf Esslöffel Zucker essen? Warum trinkst du sie dann in einem Erfrischungsgetränk?“
Industrie schießt quer. Die Getränkelobby und die Industrie für hochverarbeitete Lebensmittel wendeten sich mit ihren Wirtschaftsverbänden vehement gegen die Zuckersteuer. Sie schalteten Anzeigen in Medien und organisierten eigene Kampagnen, in denen sie den Zusammenhang zwischen dem Konsum von zuckerhaltigen Getränken und Fettleibigkeit in Frage stellten.
Sie schürten Angst und legten nahe, die Steuer habe negative Auswirkungen auf Arbeitsplätze und die gesamte Wirtschaft. Und sie gründeten Tarnorganisationen, um den Anschein zu erwecken, die Bürger:innen und Kleinunternehmer:innen seien gegen die Steuer.
2013 wurde eine Steuer auf Süßgetränke von einem mexikanischen Peso pro Liter beschlossen. Das entsprach etwa zehn Prozent des Literpreises, die Steuerbefürworter:innen hatten zwanzig Prozent gefordert.
Untersuchungen zeigten für 2014 einen um sechs Prozent verringerten Konsum von Getränken mit zugesetztem Zucker, und um acht Prozent für 2015. Die Menschen kauften mehr Wasser und nicht besteuerte Getränke. Einkommensschwache Bevölkerungsgruppen kauften sogar 17 Prozent weniger Süßgetränke.
Die Konzernvorhersage eines Beschäftigungsrückgangs in der Branche erfüllte sich nicht.
In Mexiko versucht die Getränke- und Lebensmittelindustrie jedes Mal vor den jährlichen Haushaltsabstimmungen, die Steuer abzuschwächen oder abzuschaffen. Sie finanziert Untersuchungen und veranstaltet Foren, um die von unabhängiger Seite vorgelegten Nachweise für die Steuerwirksamkeit zu diskreditieren.
Viele Gruppen der Zivilgesellschaft, Wissenschaftler:innen und das mexikanische Gesundheitsministerium unterstützen heute die Steuer. Dennoch sind weitere Maßnahmen notwendig, um den Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel und gesüßter Getränke zu begrenzen: Dazu gehören gut sichtbare Warnhinweise auf Verpackungen, Vermarktungsbeschränkungen einschließlich bei Babynahrung, strenge Vorschriften für die Schulverpflegung, sowie Anreize für den Konsum unverarbeiteter, natürlicher und in Mexiko selbst hergestellter Lebensmittel.
Marisa Macari ist Anthropologin und bei der mexikanischen Verbraucher:innenrechtsorganisation El Poder del Consumidor tätig.
Aus dem Englischen von Gerold Schmidt
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