Wie ein Großprojekt für den Zuckerrohranbau und die Produktion von Bioethanol in Sierra Leone zu einem Albtraum für die Bevölkerung wurde.
Es handelt sich um einen der am besten dokumentierten und erforschten Fälle, der aufzeigt, wie großflächige agroindustrielle Monokulturen im Globalen Süden Umweltverschmutzung, Menschenrechtsverletzungen und Landgrabbing verursachen: Die in der Schweiz ansässige Oryx Gruppe (AOG) ist eine Holdinggesellschaft des Milliardärs Jean Claude Gandur. Seit Ende der 1980er Jahre handelte der Konzern in Afrika mit Erdöl und Erdgas. Im neuen Jahrtausend sah Besitzer Gandur die Chance, das Geschäft zu diversifizieren. Mit der Tochtergesellschaft Addax Bioenergy plante er ab 2008 ein Großprojekt in der Makeni-Region im westafrikanischen Staat Sierra Leone.
Die zivilgesellschaftliche Organisation Sierra Leone Network on the Right to Food (SiLNoRF) verfolgte das Projekt.
Die Versprechungen klangen verheißungsvoll: Addax Bioenergy kündigte an, auf einer Fläche von 54.000 Hektar Zuckerrohr zu produzieren und dieses in einer Raffinerie zu Bioethanol zu verarbeiten. Die anfallenden Zuckerrohrrückstände sollten in einem Biomassekraftwerk 30 Megawatt Strom erzeugen: für die eigene Raffinerie sowie das nationale Stromnetz. Den lokalen Gemeinschaften versprach Addax Schulen, Krankenhäuser und Jobs, den Kleinbauern und -bäuerinnen ein Entwicklungsprogramm und den Frauen Unterstützung für Gemüsegärten.
Das Unternehmen überzeugte mehrere europäische und afrikanische Institutionen für Entwicklungsfinanzierung, darunter die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), die mit öffentlichen Geldern rund die Hälfte des angepeilten Investitionsvolumens von insgesamt 455 Millionen Euro finanzierten.
Land verloren. Statt der ursprünglich anvisierten 54.000 Hektar pachtete Addax schließlich eine Fläche von 23.500 Hektar. Dies hatte direkte Auswirkungen auf 53 Dörfer und Siedlungen mit 25.000 Menschen. Die Landrechtssituation vor Ort ist komplex.
Viele direkt betroffene Menschen hatten keine Mitsprachemöglichkeit. Sie verloren das von ihnen bearbeitete Land, ohne sich dagegen wehren zu können. Diese Menschen können heute nur noch einen Bruchteil ihrer Nahrungsmittel selbst produzieren und müssen den Rest einkaufen, unter anderem teure, importierte Grundnahrungsmittel wie Reis.
Als Folge der Landverpachtung für die Zuckerrohrplantagen sind die Menschen stark von dem Unternehmen abhängig geworden, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Sie erzielen ihr Einkommen nur noch über Lohnarbeit beim Unternehmen oder über die Pachtgebühren.
Der jährliche Pachtzins von zuerst 12 und heute 14 US-Dollar pro Hektar ist gering. Die Hälfte der Zahlungen landet bei den Chiefs, Distriktbeamten und der Zentralregierung. Die Familienoberhäupter erhalten, was übrig bleibt. Die eigentlichen Landnutzer:innen, das heißt, die Mehrheit der direkt betroffenen Menschen, gehen leer aus.
Faktisch kommt die Pacht einem Landgrabbing gleich. Und: Der großflächige Monokulturanbau von Zuckerrohr auf eingeebnetem Land hat die Böden inzwischen stark verdichtet und die Bodenqualität verschlechtert.
Ebolafieber & Covid. Addax hielt sein Arbeitsplatzversprechen nur sehr bedingt ein. „Unsere Kinder haben aber nur befristete unqualifizierte Stellen bekommen, als Erntehelfer oder so“, so ein älterer Mann aus dem Dorf Kolisokor. Ab 2014 begann die Ethanol- und Stromproduktion auf der Plantage. Doch selbst in vollem Betrieb beschäftigte Addax Bioenergy nicht mehr als 3.850 Menschen.
Mitte 2014 brach in der Makeni-Region das Ebolafieber aus. Addax schränkte den Betrieb seiner Zuckerrohrplantage in der Folgezeit stark ein und verkaufte zwei Jahre später 75 Prozent seiner Geschäftsanteile an den britisch-chinesischen Konzern Sunbird Bioenergy. Dieser wiederum band 2019 die Browns Group aus Sri Lanka als Investor ein.
Inzwischen ist die Browns Group Hauptanteilseignerin der Plantage, ein Viertel der Anteile gehört jedoch immer noch dem Schweizer Milliardär Gandur.
Bereits vor dem Verkauf an Sunbird Bioenergy hatte Addax alle Kredite an die Entwicklungsbanken zurückgezahlt. Damit erloschen auch die gegenüber diesen Geldgebern eingegangenen sozialen und ökologischen Verpflichtungen.
Heute ist der Zuckerrohranbau auf 10.000 Hektar beschränkt. Zusätzlich lässt die neue Konzernführung auf 2.000 Hektar Cassava (Maniok) kultivieren. Das Biomassekraftwerk liefert inzwischen nur noch Strom für die eigene Raffinerie, da die Regierung den vom Unternehmen geforderten Preis für die Stromeinspeisung ins nationale Netz als zu hoch ablehnte.
Als 2020 die Covid-Pandemie ausbrach, reduzierte das Unternehmen die Zahl der beschäftigten Arbeiter:innen drastisch auf 2.000 – ein weiterer harter Schlag.
Auch das Einkommen aus Pachtzinsen brach weg. Der Konzern berief sich auf die Verluste durch Covid und zahlte nur noch die Hälfte.
Dorf im Stich gelassen. Von den 53 Gemeinden im Gebiet der Plantage ist eine besonders negativ betroffen: Das Dorf Rothonka liegt nur 200 Meter vom Biomassekraftwerk entfernt. Die Umweltschutzbehörde von Sierra Leone (EPA) stuft diese Zone wegen Brandgefahr und Gesundheitsrisiken als zu unsicher für die lokale Bevölkerung ein. Die Abwässer aus der Ethanol-Produktion verschmutzen nicht nur den in Dorfnähe strömenden Fluss Rokel, sondern auch das Grundwasser.
Die Bewohner:innen von Rothonka leiden deshalb unter Ausschlägen, Übelkeit und Durchfall.
Die EPA plädierte für eine Umsiedlung und übte zunehmend Druck aus. Ende 2018 besuchte der zuständige Chief Rothonka und erklärte, die Gemeinde müsse innerhalb weniger Tage fortziehen.
Diese Nachricht war ein Schock für die Gemeinde. Denn laut Joseph Saffa von der Organisation SiLNoRF werden bei Umsiedlungen einfach an einem anderen Ort Häuser gebaut, „dann werden die Menschen dort abgeladen und das war’s dann“. 2019 verkündete Sunbird Bioenergy, es gäbe keine Umsiedlung. Die Frage, wie mit den weiterhin bestehenden Gefahren umgegangen werden soll, bleibt unbeantwortet.
Hoffnung durch neues Gesetz. SiLNoRF bleibt an der Entwicklung der Zuckerrohrplantage weiter dran. Darüber hinaus hat die Organisation mit anderen das Beispiel der Zuckerrohrplantage erfolgreich dafür genutzt, ein neues Gesetz zu erreichen, das den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern mehr Landrechte einräumt: Seit August 2022 verfügt Sierra Leone über eine der weltweit fortschrittlichsten Gesetzgebungen.
Weiterlesen: Auch die Österreichische Entwicklungsbank (OeEB) investierte einst in das Sierra Leone/Addax-Projekt. Bis heute bleibt ein Beigeschmack: suedwind-magazin.at/rendite-fuers-gute-gewissen
Künftig haben die Gemeinschaften, die das Land besitzen und bewirtschaften, das letzte Wort bei dessen Verpachtung. Zentral dabei: Sagen sie Nein, haben weder Regierung noch lokale Chiefs eine Möglichkeit, dieses Veto auszuhebeln. Auch die Rechte der Frauen sind gestärkt. Dies ist ein großer Schritt im Kampf gegen den Landraub in Sierra Leone.
Lansana Hassan Sowa arbeitet beim Sierra Leone Network on the Right to Food (SiLNoRF). Das Netzwerk setzt sich seit 2008 für das Recht auf Nahrung und Land ein.
Silva Lieberherr befasst sich beim Schweizer Hilfswerk HEKS/Brot für Alle mit den Themen Landwirtschaft und Landrechte.
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